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Veranstaltung im Landeshaus:

Warnung vor Bürgerkrieg in Israel

Am 17. April hatte der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein den israelischen Historiker und Soziologen Moshe Zuckermann zu einem Vortrag über die gegenwärtige politische Krise des Staates Israel nach Kiel einge-
laden. Professor Moshe Zuckermann, Sohn polnischer Holocoaust-Überlebender, lehrt an der Universität Tel Aviv Geschichte, Soziologie und Politik. In Kiel hatte er die Aufgabe, nach dem Krieg im Gaza-Streifen und mit Blick auf den jüngsten Wahlsieg ultrarechter Parteien in Israel, eine Zwischenbilanz nach 60 Jahren Staatszionismus in Israel zu ziehen und einen Ausblick in die Zukunft des jüdischen Staates zu werfen.

In den mit über 170 TeilnehmerInnen gut gefüllten Schleswig-Holstein-Saal des Kieler Landeshauses erläuterte der israelische Wissenschaftler die für Israel und seine Gesellschaft anstehenden Ent-
scheidungen. Für Zuckermann hat der zionistische Staat dabei nur die Wahl zwischen zwei von ihm gleichsam ungeliebten Alternativen: "Er könnte die seit 1967 besetzen palästinensischen Gebiete zurückgeben. Aber dann würden sich bürgerkriegsähnliche Szenen abspielen. Israel kann anderseits beschließen, die Gebiete zu behalten, ,riskiert' dadurch aber unaufhaltsam eine Entwicklung zu einer binationalen Bevölkerungsstruktur." Beides würde im Ergebnis das Ende des zionistischen Projektes bedeuten, und davor hätten alle israelischen Politiker große Angst.

Zur Möglichkeit eines Bürgerkrieges führte Zuckermann aus: "Heute das Westjordanland zu räumen, -- ein Gebiet, auf dem ca. 250.000 bis 300.000 Israelis angesiedelt sind -- würde zum Widerstand von möglicherweise einigen tausend Siedlern führen. Denn die werden das ihrer Überzeugung nach von Gott verheißene Land nicht freiwillig preisgeben und unter Preisgabe ihres Lebens mit allen Mitteln verteidigen. In dieser Situation wäre der Staat gezwungen, sein Gewaltmonopol auszuüben, anders ausgedrückt: Juden würden auf Juden schießen!"

Mit den ersten Toten und Verletzten bei diesen Räumungsaktionen, würden - im Zuge einer Welle der Solidarisierung vieler Israelis für die Siedler -- die innerhalb Israels ohnehin vorhandenen Risse der Gesellschaft, die in ökonomischen, ethnischen und Klassenproblemen angelegt seien und die zwischen Religiösen und Säkularen bestünden, aufreißen.

Ein Indiz für eine zunehmende, sich pozentiell auch gegen sich selbst richtende Gewalt innerhalb der israelischen Gesellschaft ist für Zuckermann auch während des Gaza-Krieges Anfang dieses Jahres sichtbar geworden: "Eklatant war, dass die Bevölkerung mit viel größerer Schadenfreude und Blutrünstigkeit reagiert hat als in vorangegangenen Kriegen. Selbst angesichts der konkreten Opfer und Zerstörungen hat sich unter Israels Bevölkerung keine Besonnenheit verbreitet." Daneben existierten jedoch auch kritische Stimmen in Israel, ergänzt Zuckermann. Aber die seien schon immer marginal gewesen, und seien es auch in diesem Fall geblieben.

"In den israelischen Salons wird derzeit zwar immer offener über die Zwangsdeportation der arabischen Bevölkerung als legitime Strategie der ultimativen Judaisierung Israels parliert," ergänzt Zuckermann. Aber dies sei, angesichts des damit ggf. einhergehenden, in den USA und nicht zuletzt in der arabischen Welt provozierten Zugzwangs, selbst für die Ultrarechten in der israelischen Regierung keine realistische Option.

Ungeachtet dessen würde aber die schon seit der israelischen Staatsgründung stattfindende, gegen die palästinensische Bevölkerung gerichtete schleichende "ethnische Säuberung" z.B. in Form von Enteignungen, Hauszerstörungen oder dem auf Grundlage alter osmanischer Gesetze bzw. im Zuge des Mauerbaus vollstreckten Landraubs sowohl in der besetzten Westbank wie auch innerhalb der ,grünen Grenze' weitergehen.

Auf die Frage nach Ursache und Verantwortung für die israelisch-palästinensische Gewalt erteilt Zuckermann den in politischen Kreisen auch in der Bundesrepublik gern gepflegten Debattenritualen eine Absage: "Die Frage, wer hier angefangen hat und wer nicht, ist letzten Endes belanglos. Hier ist etwas angelegt, das historisch so nicht weitergehen kann. Die Okkupation kann nicht fort und fortbetrieben werden, als sei das der Normalzustand. So lange die Besatzung existiert, ist jede Waffenruhe im Grunde genommen nur  eine Chimäre."

(Presseerklärung des  Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein)