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1. Mai in Kiel:
Gegen Dumpinglöhne und Neo-Nazis

Ziemlich wenig war auf der Kieler 1. Mai-Demo von der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise zu spüren. Immerhin sind konkret bei HDW Gaarden mehrere hundert Arbeitsplätze bedroht, weil inzwischen acht Aufträge, zwei für Containerschiffe und sechs für Luxusyachten storniert wurden, bzw. kurz vor der Stornierung stehen. Doch zu stärkerer Mobilisierung hat das nicht geführt. Zwischen 1000 und 2000 waren zu Demonstration und Kundgebung am Gewerkschaftshaus gekommen. Erfreulich war in diesem Jahr allerdings, dass der Altersdurchschnitt der Demonstranten deutlich niedriger als in den Vorjahren war. Offensichtlich ist die Gewerkschaftsjugend wieder aktiver geworden.

Hauptrednerin auf der Abschlusskundgebung war Kirsten Jöhnck, stellvertretende Landesleiterin von ver.di Nord. „Arm trotz Arbeit und das in Deutschland, das ist ein Skandal. Besonders betroffen sind Kinder. Dumpinglöhne von heute sind die Niedrigrenten von morgen. Wir brauchen dringend einen gesetzlichen Mindestlohn, wobei unsere Forderung von 7,50 Euro nur ein Einstieg sein kann, denn Menschen sollen von ihrer Arbeit in Würde leben können. ...

Foto: Pewe, Gruppe Arbeiterfotografie

Beschäftigte der Heidelberger Druckmaschinen AG, bei denen Entlassungen drohen, am 1. Mai.

Foto: Pewe, Gruppe Arbeiterfotografie
Fotos: Pewe, Gruppe Arbeiterfotografie

Wir Gewerkschaften stellen uns allen Rassisten, Antisemiten und Nazis entgegen, die den 1. Mai, den Tag der Arbeit, für ihre menschenverachtende Gesinnung missbrauchen wollen. (...) An die Politik richten wir mehr denn je den dringenden Appell, alles zu tun, um ein NPD-Verbot voranzutreiben und den braunen Sumpf trocken zu legen."

Dem schloss sich auch Bettina Jürgensen vom Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus an, die ebenfalls vor dem Gewerkschaftshaus in der Legienstraße sprach. Sie wies daraufhin, dass die Nazis versuchen, die aktuelle Krise für ihre Propaganda auszubeuten, unter anderem, indem sie am 1. Mai Aufmärsche organisieren. Jürgensen: "Wir lassen den 1. Mai nicht von den Faschisten umdeuten: Er ist nicht zu begrenzen auf ein Land, in dem wir für unsere Forderungen und Rechte eintreten. Weltweit bleibt der 1. Mai der internationale Tag der Arbeiterklasse."

Größeren Raum nahm in ihrem Beitrag der jüngste Nazi-Terror in Kiel ein: "Die faschistische Aktions-
gruppe Kiel hat dieses Jahr zum „Kampfjahr 2009“ erklärt. (...) Vor wenigen Wochen wurden wieder die Scheiben beim Buchladen Zapata und in der Hansastr 48 eingeworfen. In Kiel arbeiten NPD, Freie Kameradschaften und andere faschistische Gruppen eng – auch personell – zusammen.Dass die Faschisten vor nichts zurückschrecken, haben wir am 18.4. erlebt. Der Runde Tisch hatte einen Informationsstand in der Innenstadt. Nachdem eine von den Nazikundgebung in Gaarden u.a. wegen der Proteste der Bevölkerung nicht stattfinden konnte, wollten sie in der Stadt unseren Infostand stürmen. Dieses Ziel wurde durch die Anwesenheit  vieler AntifaschistInnen vereitelt. Ein zufällig in der Nähe stehender Tänzer des städtischen Balletts jedoch wurde von einem Faschisten so brutal zusammengeschlagen, dass er sehr schwer verletzt ins Krankenhaus gefahren wurde."

Laut Kieler Nachrichten hat der Tänzer einen doppelten Schädelbasisbruch erlitten. Skandalös ist in diesem Zusammenhang, dass sowohl in einer offiziellen Pressemitteilung der Stadt als auch der Berichterstattung der KN der Eindruck erweckt wird, es habe sich bei diesem versuchten Überfall der Nazis auf einen Infotisch des Runden Tisches "um eine Auseinandersetzung zwischen Extremisten" bzw. "Auseinander-
setzungen (der rechten Szene) mit Angehörigen der gewaltbereiten linksextremistischen Szene" gehandelt.

Jürgensen dazu: "Nicht die Faschisten werden als das Problem in unserer Gesellschaft benannt, sondern es wird von einem 'Bandenkrieg zwischen Links- und Rechtsextremen' geredet, es wird suggeriert, die AntifaschistInnen tragen eine Mitschuld an den brutalen und menschenverachtenden Übergriffen der Nazis. Faschistische Aufmärsche, Kundgebungen und die Verteilung von Nazipamphleten mit der offenen Aufforderung zur Gewalt gegen Andere werden erlaubt. Derart geschützt fühlen sie sich dann geradezu aufgefordert  ihrer Meinung mit allen Mitteln – auch der körperlichen Gewalt – Gehör zu verschaffen."

Der Runde Tisch versuche seit geraumer Zeit mit den Rathausparteien über diese Situation ins Gespräch zu kommen. Vor dem Hintergrund, dass sich der Ältestenrat der Ratsversammlung am Dienstag nach Redaktionsschluss (5.5.) mit den Spitzen der örtlichen Polizei und des Verfassungsschutzes treffen will, wurde die anwesende Stadtpräsidentin Cathy Kietzer gebeten, mit dem Runden Tisch zu sprechen und sich klar an seine Seite zu stellen: "Wir wollen, dass dem Treiben der Nazis ein Ende gesetzt wird und sie nicht mehr die Möglichkeit erhalten – rechtlich abgesichert – ihre menschenverachtende Politik zu propagieren."

Gemessen an der üblichen Behäbigkeit der Kieler Mai-Demonstrationen wurde die Rede mit viel Beifall bedacht. Offenbar war vielen Anwesenden klar, dass der Kampf um soziale und ökonomische Forderungen der Gewerkschaften eng mit dem Kampf gegen die Nazis zusammenhängt. Weitere Mai-Kundgebungen gab es in der Region in Eckernförde, Heikendorf, Rendsburg und Neumünster.

(wop)