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CO2-Abscheidung und Einlagerung:

Mit beschränkter Haftung

Von den deutschen Stromkonzernen ist man ja allerlei Wahnsinn gewöhnt. Dass sie sich nicht sonderlich um unsere Gesundheit und Sicherheit scheren, demonstrieren sie uns immer wieder mit ihren Atomkraft-
werken. Sollte jemand angesichts all der schönen grünen Werbung, mit der sie immer wieder gerne die Zeitungen füllen, gedacht haben, dass die Konzerne inzwischen dazu gelernt haben, wird er von RWE eines besseren belehrt. Der Konzern plant allen Ernstes aus dem Rheinland, wo er derzeit an gigantischen neuen Kraftwerken für den dreckigsten und klimaschädlichsten aller Brennstoffe, für Braunkohle baut, eine Pipeline für das Treibhausgas CO2  nach Schleswig-Holstein zu bauen. Hier, entweder in Nordfriesland oder in Ostholstein, will er den Klimakiller tief in der Erde versenken. Mit der Erkundung der potenziellen Lagerstätten soll schon bald begonnen werden.

Die Betroffenen vorort sind empört. In Schafflund kamen 500 zu einer Informationsveranstaltung über das Vorhaben der Saal tobt, berichtet das "Flensburger Tageblatt". Bürger kündigen an, den RWE-Technikern den Zutritt zu ihren Grundstücken zu verwehren. Für die Erkundung des Untergrunds muss das Unter-
nehmen seismische Untersuchungen anstellen. Dafür müssen tausende Geomikrofone an der Oberfläche gelegt werden. Eine Einladung zur Sabotage, meint der Flensburger Journalist. Auch der Bauernverband wendet sich in einer Erklärung gegen die CO2-Einlagerung und verweist darauf, dass die Region eine der Hochburgen der Produktion "sauberen" Stroms ist. Viele Anwohner empfinden es als besonders perfide, dass RWE dort den Abfall aus seinen Braunkohlekraftwerken einlagern will.

Doch worum geht es eigentlich? Glaubt man Vattenfall, RWE und den anderen großen Stromkonzernen, dann ist ihnen die Quadratur des Kreises gelungen. Sie können weiter ihre Kohlekraftwerke, die für über ein Drittel der hiesigen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind, laufen lassen und dennoch das Klima schützen. Man brauche nur den Übeltäter im Kraftwerk Kohlendioxid (CO2) abscheiden und im Untergrund oder am Boden der Ozeane ablagern. Die Technik wird nach ihrer englischen Bezeichnung Carbon Capture and Storage auch kurz mit CCS bezeichnet.

Sie hat allerdings gleich mehrere Haken: Die Technik existiert bisher nur in der Theorie, sie wird nicht in alte Anlagen eingebaut werden können und die Sicherheit etwaiger Lagerstätten ist bisher unbewiesen und im Falle der Ozeane eher unwahrscheinlich. Zudem wird das Ganze eine höchst kostspielige und auch energieaufwendige Angelegenheit. Selbst Fachleute der Energiekonzerne geben zu, dass Abscheidung, Verflüssigung, Transport und Einlagerung den effektiven Wirkungsgrad der Kohlekraftwerke um rund zehn Prozent vermindern würde. Selbst moderne Großkraftwerke werden dann nur noch maximal 35 Prozent der in der Kohle gebundenen chemischen Energie in Strom umwandeln.

Dennoch werden von der EU-Kommission, der Bundesregierung und verschiedenen Konzernen Euro-
Summen im dreistelligen Bereich in die Entwicklung dieser Technik gesteckt. Außerdem versucht die Bundesregierung im Schnelldurchgang ein CCS-Gesetz durch zu drücken. Am 19. Juni, wenn die Ausgabe bei den Abonnentinnen und Abonnenten ankommt, wird der Bundestag in zweiter und dritter Lesung über ein Gesetz verhandeln, dass für die neue Technologie den rechtlichen Rahmen schaffen soll, das so genannte "Gesetz zur Regelung von Abscheidung, Transport und dauerhafter Speicherung von Kohlendioxid".

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der voraussichtlich am 19. Juni bereits verabschiedet wird, sieht unter anderem vor, dass die Betreiber die Haftung für die Lagerstätten 30 Jahre nach der letzten Befüllung an die jeweiligen Bundesländer abgeben dürfen. Voraussetzung ist, dass die langfristige Sicherheit nach Stand von Wissenschaft und Technik gewährleistet werden kann. Langfristig müsste im Falle des CO2s allerdings ewig heißen, denn es bleibt auch noch nach Millionen Jahren klimaschädlich. Eine ewige Stabilität geologischer Schichten gibt es jedoch nicht, denn die Erdkruste ist in ständiger Bewegung. Nicht zuletzt die Salzstöcke in  Nord- deutschland, die der Grund für RWEs Pläne sind, sind dafür ein Beleg. Sie arbeiten sich aus tieferen Schichten der Erdoberfläche entgegen, weil das Salz leichter als die über ihm lagernden Gesteinsschichten ist.

Auch der schleswig-holsteinische Landtag beschäftigt sich diese Woche mit der CO2-Einlagerung und dem CCS-Gesetz. Minister- präsident Carstensen, ein Fan neuer Kohlekraftwerke und des steuerfinanzierten Casino-Kapitalismus, macht sich auch für die Deponie- pläne der Stromkonzerne stark. Der SSW bringt hingegen im Landesparlament einen Antrag ein, dass die Landesregierung im Bundesrat das CCS-Gesetz ablehnen soll. Zustimmung werden sie dafür vermutlich von den Grünen und von der FDP bekommen. Lars Harms, Umweltsprecher des SSW, begrüßt eine entsprechende Erklärung der Liberalen, weist aber darauf hin, dass die schleswig- holsteinische FDP-Bundestagsabgeordnete Christel Happach-Kasan das Gesetz unterstützt. Die Landes-SPD windet sich unterdessen mal wieder. Irgendwie ist man gegen das Gesetz, steckt aber in Kiel und Berlin in großen Koalitionen.

Davon unabhängig werden die Landesbehörden vermutlich demnächst die Genehmigungen für die Erkundungen erteilen. Auch in der Probstei halten sich hartnäckig Gerüchte, dass dort eine CO2-
Deponierung geplant sein könnte. Dort werden nämlich derzeit Erdöllagerstätten untersucht, die sich wahrscheinlich nach der Ausbeutung als CO2-Speicher eignen würden. Zum Teil sind diese Lager schon in den 1960er Jahren und später ausgebeutet worden. Sie ziehen sich von den Offshore-Feldern vor Schwedeneck, die ab Anfang der 1980er mit Ölplattformen erschlossen wurden im Bogen durch die Probstei nach Süden.

Schleswig-Holstein ist wegen seiner vielen Salzstöcke und mächtigen Sandsteinschichten für die Kraftwerk-
betreiber besonders attraktiv. Wenn überhaupt, dann sind dies die in Frage kommenden geologischen Formationen. In der Nähe von Köln soll eine 450-Megawatt-Pilotanlage für die CO2-Abtrennung entstehen. Laut RWE-Plan wird das Gas von dort über eine 500 Kilometer lange Pipeline in den Norden gepumpt. Der finanzielle und energetische Aufwand dürfte enorm sein, so dass das Projekt sich für RWE eigentlich nur rechnen kann, wenn reichlich Subventionen fließen.

Der SSW will das verhindern: "Keiner in Nordfriesland möchte auf Kohlendioxid leben. Wir fordern die Landesregierung auf, alles zu unternehmen, damit der nordfriesische Untergrund und das Wattenmeer nicht zum Endlager für die Abgase der Kohlekraftwerke von RWE-Dea werden", erklärt SSW-Sprecher Lars Harms. "Die Diskussion um das unsichere Endlager Asse hat gezeigt, dass Salzstöcke sich nicht so verhalten, wie Kraftwerksbetreiber es gern hätten."

Vor allem zwei Gefahren gehen von den Pipelines und den Lagerstätten aus: Zum einen, dass das Gas doch noch in die Atmosphäre gelangt und dort das Klima verändert. Zum anderen kann es in höheren Konzentrationen Mensch und Tier ersticken. Das passiert allerdings nur, wenn die Quelle in einer Senke liegt und Windstille herrscht. Dann kann dort das Gas, das schwerer als Luft ist, den lebenswichtigen Sauerstoff verdrängen.

Derlei Unfälle sind bereits bekannt. In Mönchengladbach hat sich erst im letzten Jahr ein entsprechender Unfall ereignet, bei dem es aber zum Glück keine Toten gab. In einer Fabrik waren größere Mengen CO2 aus einer Löschanlage ausgetreten. In der Nachbarschaft wurden daraufhin mehrere Anwohner ohnmächtig. Ein Rettungssanitäter musste auf der Intensivstation behandelt werden. Weniger glimpflich kamen über Tausend Menschen in Kamerun davon, als dort 1986 ein Vulkansee nach einem kleinen Erdbeben größere Mengen CO2 freisetzte.

Der einzige Weg derlei hierzulande 100-Prozent sicher zu vermeiden ist, auf den Bau weiterer Kohlekraftwerke zu verzichten und die bestehenden in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten nach und nach still zulegen. Möglich wäre es. Der Bundesverband Windenergie rechnet der Bundesregierung vor, dass schon 2020 fast die Hälfte unseres Stroms mit Windrädern, Biogasanlagen, Solarzellen und Wasserkraftwerken erzeugt werden könnte. Nötig dafür ist aber, dass die Stromkonzerne endlich ihre Sabotagepoltik aufgeben und den Netzausbau nicht mehr behindern. Auch die neuen Großkraftwerke, wie sie in Kiel immer noch nicht ganz vom Tisch sind und wie gleich vier in Brunsbüttel gebaut werden sollen behindern den Ausbau der Erneuerbaren erheblich.

(wop)

 

Nachtrag: Nach Redaktionsschluss hat der Protest erste Erfolge gezeigt. Ministerpräsident Carstensen ließ am Dienstag (16.6) wissen, er werde im Bundesrat gegen das CCS-Gesetz stimmen. In Bundestag hat derweil die Unionsfraktion kalte Füße bekommen. Ebenfalls am Dienstag beschloss sie, die für Freitag (19.6.) vorgesehene zweite und dritte Lesung (nach der das Gesetz hätte beschlossen werden können) zu verschieben. Nun wird es vermutlich in der letzten Sitzungswoche der Legislaturperiode auf die Tagesordnung kommen, womit fraglich ist, ob der Bundesrat noch vor den Bundestagswahlen im September sein Votum abgeben kann.
 

wop