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Pannenserie im AKW-Krümmel:

Außer Kontrolle

Glaubt man Politikern der CDU und der Liberalen, dann sind Windräder und andere umweltfreundliche Energieerzeuger ganz schrecklich unzuverlässig, weshalb wir leider noch nicht auf die Atomkraft verzichten können. Hamburger dürften spätestens seit Samstag letzter Woche andere Meinung sein. An dem Tag fielen nämlich nicht nur die meisten Ampeln in der Hansestadt aus, sondern auch die Stromversorgung einiger Einkaufszentren sowie der Stahl- und Aluminiumwerke. Der Grund: Das Atomkraftwerk Krümmel in Geesthacht an der Elbe hatte sich mal wieder selbst abgeschaltet. Ursache waren Probleme an einem Maschinentransformator, der den im Kraftwerk produzierten Strom für die Einspeisung ins öffentliche Netz umwandelt. Das war bereits die zweite Schnellabschaltung in einer Woche. Drei Tage zuvor hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben. Ein anderer, für die Eigenversorgung des Kraftwerks zuständiger Transformator war ausgefallen. Nach Angaben des Betreibers Vattenfall hatte ein Mitarbeiter ein Ventil falsch eingestellt. Noch einmal zwei Tage vorher war festgestellt worden, dass elektronische Systeme für die Regelung von Notfällen nicht funktionieren.

Diese bemerkenswerte Pannenserie ist besonders pikant, weil der Reaktor erst eine Woche zuvor nach fast zwei Jahren Stillstand und technischer Untersuchungen wieder ans Netz gegangen war. Zur Zwangspause war es gekommen nach dem im Juni 2007 ein Kurzschluss einen Transformator im Brand setzte. Laut Angaben von Vattenfall war auch am Samstag ein Kurzschluss im Transformator Auslöser des Zwischen-
falls. Die für die Atomaufsicht zuständige Kieler Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) meint daher, der jetzige Störfall könnte eventuell mit den Ereignissen vor zwei Jahren vergleichbar sein. Es handele sich um einen baugleichen Transformator. In beiden Fällen war der Kurzschluss im Transformator aufgetreten. Die Ministerin kündigte die Prüfung der Zuverlässigkeit Vattenfalls an. Nach dem Atomgesetz ist diese eine der Voraussetzungen für den AKW-Betrieb. Allerdings haben derlei Verfahren in der Vergangenheit regelmäßig damit geendet, dass Werksleiter oder vergleichbares Personal ausgetauscht wurden. Vorstände oder gar Konzernchefs tragen in den Augen der Gerichte offenbar keine Verantwortung für die Abläufe in Atom-
kraftwerken.


ROBIN WOOD geht auf Flosstour – hier 2008 vor dem AKW Krümmel

Verstopfungen

Unterdessen hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der die Weisungsbefugnis gegenüber den Aufsichtsbehörden in den Ländern hat, die Atomaufsicht für Krümmel an sich gezogen. Das sei aber nicht als Kritik an seiner Kieler Parteifreundin gedacht. Vermutlich will Gabriel sich im Wahlkampf etwas als Anti-AKW-Kämpfer profilieren.Seine Argumente haben allerdings Hand und Fuß. Am Freitagabend hatte er den niedersächsischen Umweltminister Heinrich Sander (FDP) gerüffelt, der zu einem Gespräch über ungelöste Sicherheitsprobleme in AKW-Kühlsystemen nicht erschienen war. Seine Behörde erhielt nun die Weisungen, die verlangten Sicherheitsnachweise bis Mitte Juli zu liefern oder von den Betreibern mit Frist 7.August einzufordern. Der Hintergrund ist folgender: 1992 kam es in dem zwischenzeitlich stillgelegten AKW Barsebäck zu einem brenzligen Zwischenfall. Aus einer Kühlwasserleitung trat unter 30-fachen Atmosphärendruck Wasserdampf aus. Der Strahl hatte eine solche Kraft, dass er große Mengen Isolier-
material von den Rohren riss. Diese sammelten sich am Boden des Sicherheitsbehälter im so genannten Reaktorsumpf. Dort lief auch wie geplant das aus dem Dampf kondensierte Wasser zusammen. Dieses Wasser fließt im „Reaktorsumpf“ durch Siele und wird in den Reaktorkern zurück gepumpt. So sehen es die Notfallpläne der meisten Siede- und Druckwasserreaktoren vor, wie sie auch in Deutschland betrieben werden. Nur in Basebäck klappte dies nicht. Das Isoliermaterial verstopfte Siele und Pumpen, die Kühlung wurde zeitweise beeinträchtigt.

Dazu muss man wissen, dass die Kühlung der Brennstäbe das A und O, der Sicherheit ist. Fällt sie und auch alle Notkühlsysteme aus, so kommt es zur Schmelze des Reaktorkerns. Gibt es im Kern auch noch Explosionen zum Beispiel weil das Restwasser so stark erhitzt wurde, dass sich Wasserstoff und Sauerstoff bilden, dann kann dieser zerstört und große Mengen hochradioaktiven Materials freigesetzt werden. Beim Atomunfall im ukrainischen Tschernobyl war dies im April 1986 der Fall. Im März 1979 war es im AKW Three Mile Island in der Nähe der US-amerikanischen Stadt Harrisburg ebenfalls zu einer Kernschmelze gekommen. Eine Explosion konnte gerade noch verhindert werden. In dem große Mengen radioaktiv verseuchten Dampfs an die Umwelt abgegeben wurden. Zuletzt entging das Vattenfall-AKW Forsmark in der Nähe von Stockholm im Juli 2006 einem ähnlichen Unfall um Haaresbreite.

Keine Lösung

Seit 17 Jahren mühen sich in verschiedenen Länder die Fachleute ab, das Barsebäck-Problem in den Griff zu bekommen. Bisher vergeblich. Das einzige Ergebnis ist bisher, dass man Materialien gefunden hat, die zu kleineren Bruchstücken zerfallen. Das führt jedoch lediglich dazu, dass das Material mit dem Wasser in den Reaktorkern gepumpt würde, was ebenfalls die Kühlung behindern könnte. Das Bundesumweltministerium hat daher nach langem Hin und Her im März die entsprechenden Landesbehörden aufgefordert, von den Betreibern einen Nachweis zu verlangen, wie sie künftig die beschriebenen Vorfälle sicher managen wollen. Vier der fünf betroffenen Länder haben bisher Unterlagen geschickt, die derzeit geprüft werden, Nur Niedersachsen versucht sich zu widersetzen. Offensichtlich versucht man mit Blick auf die Bundestags-
wahlen auf Zeit zu spielen.


Aktion von Robin Wood am 1. Juli gegen die 50-Jahrfeier des Atomforums in Berlin

Demo in Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Mittwoch angekündigt, die Atomkraft zum Thema im Bundes-
tagswahlkampf machen zu wollen. Ihre Partei tritt für die Verlängerung der Laufzeiten und den Weiterbau des – noch nicht genehmigten – Endlagers in Gorleben ein. Laut einer Studie der Landesbank Baden-
Württemberg, von der am Samstag die Berliner Zeitung berichtet, könnten die Stromkonzerne mit verlängerten Laufzeiten 200 Milliarden Euro zusätzlichen Gewinn machen. Ein Bündnis aus  Umwelt-
schützern und Anti- AKW-Bürgerinitiativen hat die Herausforderung von CDU und Atomwirtschaft angenommen. Aus dem  niedersächsischen Wendland, in dem Gorleben liegt, startet Ende August ein Bauern-Treck Richtung Berlin, um den Ausstieg aus der  Atomwirtschaft zu fordern. Am 5. September soll es dann in der Hauptstadt eine bundesweite Demonstration gegen die strahlenden Pläne von Union und Liberalen geben. 


 (wop)