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Sozialproteste:
Liste der Grausamkeiten

Am 27. und 28. Juni traf sich in Kassel eine Aktionskonferenz der sozialen Bewegungen. Gekommen waren zirka 80 Aktive aus  Er- werbsloseninitiativen, lokalen „Krisenbündnissen“, dem Netzwerk der Gewerk-
schaftslinken. Letztere waren am stärksten vertreten. Auch einige ATTACies waren gekommen. Das neue Angriffe auf die Lohnabhängigen und Ausgegrenzten bevorstehen, war den Versammelten ebenso klar wie, dass gemeinsame Gegenwehr organisiert werden muss. Nach der Bundestagswahl, so formulierte es Jutta Sundermann von ATTAC, wird die neue Regierung eine Liste der Grausamkeiten präsentieren. Zeit also, sich über den Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Schultern der Arbeitenden und Erwerbslosen zu unterhalten.

Organisiert wurde das Treffen von einem Bündnis diverser Initiativen und Organisationen, das bereits die Krisen-Proteste in Berlin und Frankfurt/Main am 28. März organisiert hatte, an dem sich seinerzeit rund 50.000 Menschen beteiligten. Eigentlich eine ansehnliche Zahl, zumal sieben Wochen später der DGB mit einer zentralen Großdemonstration mit 100.000 Teilnehmern nachzog. Dennoch herrschte in Kassel eine gewisse Ratlosigkeit. Viele sahen einen Widerspruch zwischen dem Ausmaß der Wirtschaftskrise und den bisherigen Protesten. In der Bevölkerung herrsche größtenteils Verunsicherung und eher Passivität, wobei jedoch einzelne Beispiele, wie vor allem der Bildungsstreik aber auch der Kampf der Erzieherinnen und Erzieher für bessere Arbeitsbedingungen Mut machen.

Letztere planen, wenn es nicht doch noch im Sommer zu einem Tarifabschluss kommt, ab Mitte September in den unbefristeten Streik zu treten. Das könnte auch für die in Kassel vertretenen sozialen Bündnisse zu einem wichtigen Anknüpfungspunkt werden. Manchem Initiativenvertreter ist es nämlich wichtig, noch vor der Bundestagswahl am 27. September ein deutliches Zeichen gegen weiteren Sozialabbau zu setzen. Vorgeschlagen wurde von einigen unter anderem der 17. des gleichen Monats als dezentraler Aktionstag.

Das Problem ist allerdings, dass der politische Kalender im September bereits randvoll ist. Am 5. eröffnen die Anti-AKW-Initiativen mit einer Demonstration gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten in Berlin den Reigen. Am gleichen Tag will die IG Metall in Frankfurt am Main zentral für die Übernahme der Auszubildenden nach der Lehre demonstrieren.

Eine Woche später, am 12.9. ruft ver.di zu einem dezentralen Aktionstag für Mindestlohn auf. In der Woche vor der Wahl wird es schließlich aus dem Spektrum der Globalisierungskririker um ATTAC Aktionen anlässlich des zu der Zeit stattfindenden G-20-Treffen geben, auf dem die mächtigsten Staaten über eine gemeinsame Antwort auf die Weltwirtschaftskrise beratschlagen. Letztendlich werden sich wahrscheinlich die meisten an diesen Aktionen beteiligen. Ohnehin, so verschiedene Teilnehmer, gehe es vor allem erst einmal darum, lokale Bündnisse aufzubauen.

In einigen Orten, wie in Leipzig gibt es schon entsprechende Strukturen. Dort plant man, Anfang Herbst wöchentliche Montagsdemonstrationen zu starten, auch vor dem Hintergrund, dass es im Herbst in der Sachsen-Metropole offizielle Jubelfeiern geben wird, die an die regelmäßigen Demonstrationen der DDR-Opposition vor 20 Jahren erinnern sollen. Das Erinnern an die Demonstrationen möchte man ungern den neuen Mächtigen Überlassen, sondern diese widerständige Tradition für die sozialen Bewegungen reklamieren. Bis dahin wird aber noch einige Überzeugungsarbeit nötig sein. In Leipzig, so berichtete eine Studentin von dort, hätten sich nur 500 Studierende an den Protesten beteiligt. Zum Teil müsse man die jungen Menschen erst einmal informieren, das Demonstrationen und Vorlesungs- boykotte ihr gutes Recht sind.

Was bundesweit für den Herbst geplant wird, bleibt zunächst offen. Aus Berlin kam der Vorschlag, eine bundesweite Demo für das nächste Frühjahr anzupeilen, aber letztendlich war den meisten das wohl zu weit weg. Nun wird es erst einmal den dezentralen Aktionstag am 17. September geben. Im Herbst, wenn die Koalitionsverhandlungen der nächsten Regierung durch sind und die Liste der Grau- samkeiten vorgelegt wird, will man sich wieder treffen, um Weiteres zu beraten.

(wop)