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Ein Jahr Linksfraktion im Rathaus:

Die anderen Fraktionen haben sich an uns gewöhnt

Am 25. Mai 2008 erreichte die Linkspartei in den Kommunalwahlen 11,1 Prozent der Stimmen und zog erstmalig ins Kieler Rathaus ein. Wir veröffentlichen nachfolgend eine Bilanz des ersten Jahrs ihrer Arbeit, die aus der Feder ihres Fraktionsvorsitzenden Florian Jansen stammt.

Nach über hundert eigenen Anträgen und Anfragen in den Ausschüssen und der Ratsversammlung hat sich die Ratsfraktion DIE LINKE als feste Größe in der Kieler Politiklandschaft etabliert. Unser sachlich ge-
führter Oberbürgermeister-Wahlkampf und das - in Anbetracht seiner aussichtslosen Außenseiterposition - sehr erfolgreiche Abschneiden unseres Kandidaten Raju Sharma haben dazu beigetragen, deutlich zu machen, dass DIE LINKE auch in der Kieler Kommunalpolitik ein ernstzunehmender Faktor ist und zukünftig zunehmend sein wird.Die anderen Ratsfraktionen haben sich nach anfänglichen Unsicherheiten an uns gewöhnt, und sich auf verschiedene Strategien im Umgang mit uns festgelegt: Besonders die Kooperationsfraktionen versuchen konsequent jeden Antrag von uns abzulehnen. Dort, wo SPD und Bündnis 90/Die Grünen keine Gründe finden, eine  Ablehnung unserer Anträge vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen oder deren Nein-Stimmen ihren eigenen politischen Zielen zuwiderlaufen würde, schieben sie die Anträge in die Ausschüsse ab, um sie abseits der großen öffentlichen Aufmerksamkeit der Ratsver-
sammlung abzuhandeln.

Selbst unseren Antrag zur „Anpassung der Mietobergrenzen“ z.B. bei Hartz IV-Beziehern, der von knapp 1000 innerhalb nur eines Monats von uns gesammelten Unterschriften und  auch durch die gängige Rechts-
sprechung der Sozialgerichte gestützt wurde,  überwiesen die Kooperationsfraktionen im Januar 2009 in den Sozialausschuss. Es kostete uns ein halbes Jahr beharrlichen Nachhakens und die Landeshauptstadt eine noch unbekannte Summe an Prozesskosten für verlorene Mietrechtsverfahren, bis wir die sozial gerechte und längst überfällige Anpassung der Mietobergrenzen endlich durchgesetzt hatten.

Bisweilen trieb diese Überweisungs-Praxis der sogenannten „Dänen“-Ampel eher seltsame Blüten: So be-
antragte SPD-Ratsherr Schulz in der Ratsversammlung am 9.10.2008, unseren Berichtsantrag „Ein-
bürgerung und Integration in Kiel“ in den Ausschuss für Soziales, Wohnen und Gesundheit zu überweisen. Allerdings forderte er die Verwaltung auf, schon vorzuarbeiten und zu den im Antrag gestellten Fragen die Antworten schon in der gleichen Ausschusssitzung vorlegen – nichts anderes hatten wir beantragt. So gelang es der Kooperation das Kunststück, unseren Antrag zuerst in den Sozialausschuss zu verweisen und ihn dort abzulehnen –  dabei aber die Forderungen unseres Antrages gleichzeitig zu erfüllen.

Ein denkwürdiges Eigentor schoss die SPD-Fraktion zur Ratsversammlung am 19.2.2009, mit dem Ver-
such, unseren Berichtsantrag „Prozesse der Landeshauptstadt Kiel um Kosten der Unterkunft“ dadurch zu unterlaufen, dass Ratsherr Schulz eine Kleine Anfrage mit unseren nahezu wortgleich abgeschriebenen Fragen zu derselben Ratsversammlung stellte. Nicht nur, dass sich die SPD damit den Unmut der Fraktionen von CDU und FDP zuzogen, die selbst genügend Erfahrung mit der Beschneidung der Rechte von Oppositionsfraktionen gesammelt hatten. Entgegen der Hoffnung der SPD-Fraktion lag die (intern wohl in Aussicht gestellte) Antwort auf die Kleine Anfrage zu dieser Ratssitzung noch nicht vor und die Kooperations-Fraktionen mussten so viel öffentliche Kritik der gesamten Opposition in der Ratsver-
sammlung einstecken, dass sie eine Sitzungsunterbrechung beantragten und sich entgegen ihrer ursprüng-
lichen Absicht während der  Ratsversammlung entschieden, unserem Antrag zuzustimmen. Unser Antrag wurde daraufhin einstimmig angenommen.

Bei Anträgen, wo sich eine Verschiebung in die Ausschüsse nicht begründen ließ oder zu unpopulär gewesen wäre, bemühten sich die Kooperationsfraktionen als Mitantragssteller aufzutreten, um so wenigstens den Schein zu waren, alleinige Forderungen der Ratsfraktion DIE LINKE wären für sie grundsätzlich nicht zustimmungsfähig.

Ein Beispiel für diese Praxis ist unser Antrag für eine offizielle jährliche Gedenkveranstaltung zum Kieler Matrosenaufstand von 1918: Nachdem die Kieler Nachrichten über unsere Veranstaltung zum 90. Jahrestag des Aufstandes und unseren geplanten Antrag auf eine jährliche Gedenkveranstaltung im Artikel „Erinnerung im Schein der Fackeln“ berichtet hatten, sprangen SPD und Bündnis90/Die Grünen auf und dieser Antrag wurde gemeinsam gestellt und mit großer Mehrheit in der Ratsversammlung beschlossen.

Trotz ihrer gewöhnlich sehr strengen Fraktionsdisziplin konnten die Kooperationsfraktionen ein einheitliches Abstimmungsverhalten nicht immer durchhalten und verstießen damit gegen eine Bestimmung ihres eigenen Kooperationsvertrags. Schon am 18.9.2008 zeigte sich bei unserem Antrag zur Neuwahl des Vorstandes der Stiftung „Jugend in Kiel“ in der Ratsversammlung, wie dünn und zerbrechlich die Einheit der Kooperation sein kann. Traditionell wurde dieser Stiftungs-Vorstand mit allen in der Ratsversammlung vertretenen Fraktionen besetzt. Aber auch bei einem eigenmächtigen Abweichen und einer Besetzung streng nach d'Hondt hätte der Ratsfraktion DIE LINKE ein Sitz zugestanden. Dennoch gaben die Spitzen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Abstimmungsorder, diesen Stiftungsvorstand ohne Beteiligung der LINKEN und der FDP zu besetzen.

Bei der Abstimmung über unseren entsprechende Änderungsantrag zu diesem Vorhaben zerbrach eine solche Einheit und mehrere Ratsleute der Grünen und Frau Danker vom SSW stimmten trotz der Fraktionsdisziplin innerhalb der Kooperation nicht gegen unseren Antrag.

Auch von Seiten der CDU finden unsere Anträge naturgemäß wenig Zustimmung – zu groß sind die politischen Unterschiede und die Vorurteile gegenüber allem, was sich links der Mitte bewegt. Dennoch nimmt uns die CDU-Fraktion als Teil der Opposition in der Ratsversammlung ernst. Das zeigt sich unter andern an ihrer Bereitschaft uns bei dem Antrag „Prozesse der Landeshauptstadt Kiel um Kosten der Unterkunft“ zu unterstützen, um zu verhindern, dass die Rechte der Oppositionsparteien durch zweifelhafte Methoden der Kooperationsfraktionen beschnitten werden.

Allein die FDP war von Beginn an bereit, die Anträge der Ratsfraktion DIE LINKE ohne ideologische Scheuklappen zu behandeln und bei gelegentlicher inhaltlicher Zustimmung auch tatsächlich zuzustimmen. Die Bereitschaft, unsere Anträge ernst zu nehmen und unvoreingenommen zu behandeln, wird beispielsweise deutlich an dem Ergänzungsantrag den die FDP-Fraktion zu unserem Antrag „Bericht über 1-Euro-Job-Maßnahmen in Kiel“ in der Ratsversammlung am 11.6.2009 gestellt hat. Der Ergänzungsantrag stellte eine sinnvolle Erweiterung unseres Antrages da und wurde daher von uns gern übernommen.

Nach einem Jahr in der Ratsversammlung können wir feststellen: LINKS wirkt! Mit viel Engagement und einem langen Atem ist es uns gelungen, eine Anpassung der Mietobergrenzen an die tatsächlichen Mietkosten durchzusetzen.

Auf unsere Initiative hin hat die Ratsversammlung die offizielle jährliche Gedenkveranstaltung zum Matrosenaufstand von 1918 beschlossen und inzwischen auch einem entsprechendem Konzeptvorschlag der Verwaltung zugestimmt.

Wir haben es geschafft, dass alle demokratischen Mitglieder der Ratsversammlung einer von uns initiierten gemeinsamen Resolution gegen die zunehmenden rechtsextremen Aktivitäten und Übergriffe in Kiel zustimmten, an der sich die Behörden und die Politik zukünftig messen lassen müssen.

Mit unserer Beteiligung wurden die Hallennutzungsgebühren für Sportvereine zurückgenommen, die Entscheidung für die  Rekommunalisierung der KVG getroffen und das Großkohlekraftwerk verhindert.

Wir konnten öffentliche Diskussionen über eine Weihnachts- und Schulmittelbeihilfe für Leistungs-
empfängerInnen, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an den kommunalen Entscheidungen in Form von Kinder- und Jugendortsbeiräten, die Zulässigkeit von 1-€-Job-Maßnahmen, die Notwendigkeit eines Sozial/Mobilitäts-Tickets und vielen weiteren Themen anregen.

Auch zukünftig werden wir für die Bürgerinnen und Bürger in der Ratsversammlung aktiv sein und besonders auf die  Probleme der finanziell schlechtgestellten Bürgerinnen und Bürger aufmerksam machen und in enger Zusammenarbeit mit Betroffenen  sachgerechte Lösungsvorschläge in die Diskussion einbringen.