Der schleswig-holsteinische Landtag
gehört mit regulär 69 Abgeordneten eher zu den kleineren Volksver-
tretungen, und die hiesige Linkspartei
nicht gerade zu jenen, die sich Hoffnung auf eine absolute Mehrheit machen
können. Dennoch herrschte Mitte August reichlich viel Gedrängel,
als es auf dem Landesparteitag in Kiel um die Aufstellung einer Liste für
die Landtagswahlen am 27. September ging. Gleich 45 Bewerber gab es für
die 15 Listenplätze, die zu besetzen waren, eine beachtliche Zahl
bei etwa 1.200 Mitgliedern im Landesverband. Ebenso erstaunlich war, wie
viele frisch gebackene Ratsleute und Kreistagsabgeordnete, darunter auch
manch Fraktionsvorsitzender, schon zu Höherem strebten. Da fragt man
sich schon, wie ausgeprägt das Interesse am Aufbau einer kommunalpolitischen
Basis ist.
Auftritt Oskar Lafontaine
Am 27. sind bekanntlich auch Bundestagswahlen
und da verirrt sich schon mal Bundesprominenz in den hohen Norden. In diesem
Falle war es Oskar Lafontaine, der die knapp 100 Delegierten mit einer
kämpferischen Rede in Stimmung brachte. In scharfen Worten griff er
die Politik der Bundesregierung an, die aus der Finanzkrise nichts gelernt
habe. Es würden weiter Geschäfte mit Steueroasen zugelassen und
die Genehmigung von Hedgefonds nicht zurückgenommen. In Sachen Finanzwirtschaft
gebe es einen gesetz-
losen Zustand. Auch die Grünen
bekamen für ihre Kriegspolitik ihr fett ab. Die Linke sei die einzige
Anti-
kriegspartei. In Hinblick auf mögliche
Regierungsbeteiligungen oder Unterstützung von Minderheits-
regierungen definierte Lafontaine,
der selbst derzeit im Saarland einen Landtagswahlkampf führt,
drei "Brandmauern". Mit der Linkspartei gebe es keinen Sozialabbau, keine
Entlassungen im öffentlichen Dienst und keine Privatisierungen.
Das ist bei Lafontaine durchaus auch als innerparteiliche Kritik zu verstehen,
denn im Berliner Landesverband, der mit der SPD koaliert, hält man
von derlei Grundsätzen wenig.
Aufstellung der Liste
Auch die hiesigen Delegierten trieb die Gretchenfrage um. Immerhin ist eine Konstellation nicht ganz ausgeschlossen, in der CDU und FDP die Mehrheit verfehlen. Dann könnten zum Beispiel SPD und Grüne mit Tolerierung des SSW und der Linkspartei regieren. Theoretisch. Die Frage ist, ob die Linkspartei das prinzipiell will, und wenn ja, welche Bedingungen gestellt werden müssten. Entsprechend wurde an die Kandidaten in der Vorstellungsrunde von verschiedenen Delegierten immer wieder die Regierungsfrage gestellt. Die Stimmung war allerdings ziemlich einhellig. Nach Jahren des Personalabbaus im öffentlichen Dienst und der jüngsten milliardenschweren Vernichtung von Steuergeldern bei der gemeinsam mit Hamburg betriebenen HSH Nordbank, sah die allermeisten Bewerber wenig Chancen, dass eine SPD geführte Regierung von der Linken unterstützt werden könnte.
Auch Antje Jansen aus Lübeck, die auf Platz eins gewählt wurde, äußerte sich entsprechend. Noch vor wenigen Monaten hatte das ganz anders geklungen. Da hatte sie sich in der Presse für eine Wahl des SPD-Vorsitzenden Stegners zum Ministerpräsidenten durch eine etwaige Linksfraktion ausgesprochen. Woher der Meinungswandel kommt, erklärte sie nicht. Offenbar hatten sich einige Bewerber, die von den Delegierten der mitgliederstarken Kreisverbände und daher dominanten Kiel und Lübeck unterstützt und schließlich durchgesetzt wurden, entschlossen, bei der Vorstellung heftig links zu blinken.
Jansen konnte sich mit denkbar knapper
Mehrheit von 47 Stimmen gegen die der Parteilinken zuzu-
ordnenden Heidi Beutin aus Stormarn
(43 Stimmen) und Andrea Brunswick aus Lauenburg (3 Stimmen) durchsetzen.
Sie in den 1990ern lange Zeit für die Grünen in der Lübecker
Bürgerschaft gesessen. 2000 verließ sie ihre Partei aus Protest
gegen die Regierungspolitik, seit 2008 vertritt sie die Linke im Kommunalparlament
der Hansestadt.
Kräftig links blinkte auch Heinz-Werner Jezewski, der im Rat der Stadt Flensburg sonst schon mal gegen seine Fraktion mit der CDU stimmt, wenn es um den Bau neuer Einkaufszentren geht. Jezewski setzte sich in der Stichwahl um den zweiten Listenplatz mit 59 zu 37 Stimmen gegen Ralf Iden aus Stormarn durch. Iden arbeitet in der Antikapitalistischen Linken mit. Bemerkenswert war an diesem Wahlgang, dass die Kiel-Lübecker Phalanx den Landessprecher der Partei, Björn Radke, aufliefen ließ, den sie im letzten Winter gegen Lorenz Gösta Beutin von der Antikapitalistischen Linken auf diesen Posten gehieft hatte.
Radke ist nach dem Landesparteitag
zurückgetreten und war offenbar tief enttäuscht. Das damit allerdings
die "Realos" eine Schlappe erlitten haben, wie einige bürgerlichen
Zeitungen unkten, ist pure Phantasie. Jezewski verkündete zum Beispiel
nach seiner Wahl stolz, er habe soeben einen Anruf vom Bundesge-
schäftsführer Dietmar
Bartsch – ein rechter Apparatschick und Strippenzieher wie er im Buche
steht –, der ihm gratuliert habe.
In der Tat waren in den zum Teil
hitzig geführten Debatten programatische Meinungsverschiedenheiten
kaum auszumachen. Auch aus dem Kreis der Neumünsteraner und Ostholsteiner
Delegierten, von denen einige in den Tagen nach dem Parteitag ausgetreten
sind, war zwar viel Unmut zu vernehmen, aber keine ernsthaften politischen
Interventionen zu verzeichnen. Dabei hätte man zum Beispiel an der
Frage einer künftigen Regierungsbeteiligung durchaus versuchen können,
inhaltliche Klärung zu erzwingen. Doch im Grunde wichen alle Gruppen
den heiklen Fragen aus, so dass sie für den Außenstehenden kaum
unter-
scheidbar sind und der verdacht
im Raume steht, dass es vor allem um ein paar recht lukrative Pöstchen
ging.
Auf den weiteren Listenplätzen folgen Ellen Streitbörger (3), Bartsch-Spezi und langjähriger, von Berlin eingesetzter PDS-Landesgeschäftsführer Ulrich Schippels (4), Ranka Prante (5) und Björn Thoroe (6). Gegenwärtig liegt die Linkspartei in den Umfragen bei fünf Prozent und könnte den Einzug also knapp schaffen. Vorausgesetzt, es gibt eine Reihe von Überhangsmandaten, dann wären ihr vier Sitze mehr oder weniger sicher. Mit etwas Glück und Rückenwind aus dem Saarland könnten es auch fünf oder sechs werden.
Keine Solidarität
Nach dem Landesparteitag gab es
eine kleine Austrittswelle. Einige der enttäuschten Ostholsteiner
erklärten, sie wollten in die DKP eintreten. Cornelia Möhring,
Landessprecherin und Spitzenkandidatin für die Bundestagswahlen findet
das zwar bedauerlich, zählt es aber "zu den unvermeidbaren Klärungsprozessen
einer jungen Partei. ... Wir haben allen Grund, mit großem Optimismus
und ebensolcher Motivation in die Wahlkämpfe zu ziehen. Nicht interne
persönliche Animositäten stehen für uns im Mittelpunkt,
sondern die Sorgen und Nöte der Menschen im Lande." Mit den Sorgen
und Nöten der eigenen Mitglieder nimmt man es hingegen nicht besonders
ernst. Der jungen Lübecker Ratsfrau Asja Huberty verweigerte der Landes-
vorstand mehrheitlich, deren
Mitglied Huberty ist, eine öffentliche Solidaritätserklärung,
nach dem sie eine Reihe von Morddrohungen durch Neonazis bekommen hatte.
In der Parteizentrale in Berlin erhielt sie von Bundesgeschäftsführer
Bartsch die Anweisung, der jungen Welt kein Interview über diesen
Fall zu geben.
Der Hintergrund: Huberty war von
Esther Harthmann aus Neumünster in ihrer Austrittserklärung wegen
eines Artikels über Spätabtreibungen indirekt als Wegbereiterin
der Euthanasie bezeichnet worden. Harthmann, die in Neumünster als
Direktkandidatin der Linkspartei antritt und im Stadtrat sitzt, hatte
ihre Austrittsbegründung an die Presse geschickt, die die Geschichte
aufgriff. Huberty, die in ihrem Beitrag auf der homepage der Partei für
das Recht auf Abtreibung eingetreten war, geriet daraufhin in das Kreuzfeuer
rechter Internetforen, wo auch ihre Kontaktdaten verbreitet wurden. Bei
der Ratsverwaltung in Lübeck riet man ihr daraufhin zur Strafanzeige
gegen Unbekannt, doch das Wahlbüro und die Mehrheit im Landes-
vorstand wollen offenbar im Wahlkampf
nicht mit dem kontroverse Thema Abtreibungsrecht in Verbindung gebracht
werden, und halten deshalb auch angesichts der Morddrohungen lieber Stillschweigen.
Der Artikel wurde von der Seite genommen.
SSW und Grüne
Auch die schleswig-holsteinischen
Grünen und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) haben
in-
zwischen ihre Listen aufgestellt.
Der SSW, der von der Fünf-Prozent-Hürde ausgenommen ist, machte
erneut Anke Spoorendonk zur Spitzenkandidatin, die die Regionalpartei seit
1996 im Kieler Landtag vertritt. Der SSW kann sich Hoffnungen auf drei
eventuell auch vier Sitze machen, falls der Landtag wegen Über-
hangmandaten vergrößert
wird. Letzteres ist ziemlich wahrscheinlich, denn vermutlich wird die CDU
wegen der miesen Aussichten für die SPD diesmal mehr Direktkandidaten
durchbringen, als ihr nach den Stimmen-
anteilen für die Landesliste
zustehen. Dann müsste der Landtag vergrößert werden. Anke
Sporendonk meinte, dass für den Fall, dass der SSW das Zünglein
an der Waage sein sollte, die Verbesserung der Minderheitenpolitik und
die Ablehnung der CO2-Endlager für den SSW die wichtigsten Punkte
in den Verhandlungen sein werden.
Bei den Grünen legte man unterdessen
viel Wert darauf, sich alle Optionen offen zu halten. Gegebenenfalls ist
die einstige Protestpartei auch bereit, mit der besonders konservativen
Nord-CDU zu koalieren, mag es nur nicht so laut sagen. Statt dessen wird
die Botschaft indirekt gestreut, indem jede klare Aussage über eine
Koalition mit der SPD vermieden wird. Auf Platz eins ihre Liste wählte
sie den 39jährigen Landesvor-
sitzenden Robert Habeck, der erstmals
in den Landtag einziehen wird. Der langjährige Fraktionsvorsitzende
Karl-Martin Hentschel verzichtete auf eine Kampfkandidatur. Als er auch
in der Stichwahl um Platz vier nur ein Patt gegen Andreas Tietze, einen
weiteren potenziellen Landtagsneuling schaffte, warf er das Hand-
tuch. Grund für sein Scheitern
waren allerdings weniger politische Differenzen, als der Wunsch nach einem
Generationswechsel.