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Novemberrevolution 1918 in Kiel:

Revolutions-Gedenken

Am 7. November 2009 organisiert die Stadt Kiel einen Gedenkmarsch auf den Spuren der revolutionären Matrosen und Arbeiter, die im November 1918 das Signal zur deutschen Revolution gegeben haben. Die Demonstration beginnt um 10 Uhr beim Vereinsheim des VfB Kiel an der Waldwiese (Hamburger Chaussee 79) und führt zum Vorplatz des Hauptbahnhofs. Dort soll gegen 12 Uhr mit einer  Ansprache des Ober-
bürgermeisters Torsten Albig (SPD) die Abschlusskundgebung beginnen. Kieler SchauspielerInnen werden Szenen aus dem Stück „1918“ von Robert Habeck und Andrea Palusch spiele; der Ernst-Busch-Chor wird die Aktion musikalisch unterstützen. An die TeilnehmerInnen des Gedenkmarsches sollen rote Fahnen verteilt werden – „nicht als parteipolitische Zuordnung, sondern wie damals als Symbol für Veränderung verstanden“, so zitieren die „Kieler Nachrichten“ vom 24.10. den Kulturreferenten Rainer  Pasternak. Die rote Fahne, das Symbol der Revolution und des bewaffneten Aufstands, die am 5. November auf allen Schiffen der  Kriegsmarine im Kieler Hafen gehisst wurde, wird im Verständnis der Kulturverantwort-
lichen zu einer Art folkloristischem Winkelement degradiert.

Es ist unbedingt zu begrüßen und aller Unterstützung wert, dass die Stadt Kiel nun das Gedenken an die Novemberrevolution zu einem festen Programmpunkt im politischen Leben unserer Stadt machen will. Zu dieser Unterstützung muss es gehören, die öffentliche Diskussion auch über die Hintergründe dieser Revolution, über die Widerstände, gegen die die Revolutionäre zu kämpfen hatten, und über die Gründe ihres Scheiterns beim Versuch, nicht nur die Monarchie zu stürzen, sondern das kapitalistische System insgesamt zu überwinden, zu befördern. Die gesellschaftlichen Kräfte, die diesen Versuch zum Scheitern brachten, trugen dazu bei, dass die neue Republik nicht einmal 15 Jahre lang Bestand hatte. Sie sind bis heute nicht überwunden. Das aber bleibt unser Ziel.

Im Gegensatz zu den Stadtoberen und dem Kieler Bundestagsabgeordneten und Rüstungspolitiker Hans-Peter Bartels, der bestimmt mitmarschieren wird, bleibt es unser Bestreben, noch einmal auf allen Schiffen und Kränen rund um die Förde die roten Fahnen einer neuen Revolution wehen zu lassen, als Zeichen für die endliche Erfüllung des Menschheitstraums von Frieden und Freiheit. Dafür gilt es zu kämpfen. Der Widerstand gegen den Versuch, unsere Stadt weiter zu einem Zentrum der Rüstungswirt-
schaft und der Kriegsmarine auszubauen, gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Militarisierung der Gesellschaft gehört neben vielem anderen dazu.
 

Einer der dümmsten Sätze zum 91. Jahrestag des revolutionären Aufstandes von Matrosen und Arbeiter-
Innen in Kiel findet sich – wie kaum anders zu erwarten – in den „Kieler Nachrichten“ (KN, 24.10.09, S.24): „Der Berliner SPD-Abgeordnete Gustav Noske löste als Vorsitzender des Soldatenrats den Militärgouverneur Admiral Souchon ab, was das Ende der Monarchie einläutete.“ Als bloße Schludrigkeit mag durchgehen, dass Noske hier als Berliner SPD-Abgeordneter bezeichnet wird; er war zwar Abgeordneter in Berlin, weil sich dort der Reichstag befand, und war aus Berlin nach Kiel gekommen, sein Abgeordneten-Mandat hatte er jedoch für den 16. Wahlkreis des Königreichs Sachsen erhalten – er war Chemnitzer Abgeordneter in dem Sinne, wie man etwa Carl Legien als Kieler Abgeordneten bezeichnen kann. Aber ausgerechnet die Übernahme des Gouverneurs-Postens durch Noske als entscheidenden Anstoß zum Ende der Monarchie zu bezeichnen, zeugt von so viel Ahnungslosigkeit, dass man auf solcher Grundlage vom Artikelschreiben die Finger lassen sollte, oder von politischer Absicht, die dann auf die Verschleierung statt Aufhellung der Ereignisse in Kiel im November 1918 gerichtet wäre. Letzteres will ich gar nicht unterstellen.

Noske war am Abend des 4. November zusammen mit dem Staatssekretär Haußmann in Kiel eingetroffen, nachdem Souchon am 3. November dem Reichsmarineamt telegrafisch von „äußerst gefährlichen Zuständen“ berichtet und seine Depesche mit dem Satz  be- schlossen hatte: „Bitte, wenn irgend möglich, hervorragenden sozialdemokratischen Abgeordneten hierherzuschicken, um im Sinne der Vermeidung von Revolution und Revolte zu sprechen.“ Am 4. November lag die Macht allerdings bereits in der Hand der Soldaten und Arbeiter, hatte Karl Artelt im Namen des ersten Soldatenrats der Friedrichsorter Torpedo-
Division den Gouverneur unter anderem mit der Forderung nach Abdankung des Hohenzollernhauses, Freilassung aller gefangenen Kameraden und sämtlicher politischen Gefangenen sowie der Einführung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts für Frauen und Männer konfrontiert. (Die wenig später vom neuen Soldatenrat der Garnison proklamierten berühmten „14 Punkte“ fielen demgegenüber an politischer Konsequenz deutlich ab und beschränkten sich auf die Auseinandersetzung mit dem Militärregime.) Nachdem bereits die Arbeiter der Germaniawerft und der Torpedowerkstätten in den Ausstand getreten waren, war für den nächsten Tag der Generalstreik beschlossen worden. Der wurde dann von dem in den Morgenstunden des 5. November gebildeten Arbeiterrat geführt, der paritätisch von SPD- und USPD-Vertretern besetzt war; an seiner Spitze stand Gustav Garbe, der Vorsitzende des Kieler Gewerkschaftskartells. Admiral Souchon gelang es am 4.11., die aufständischen Matrosen bis zum Eintreffen Noskes und Haußmanns hinzuhalten, nachdem er wenigstens der Freilassung eines Teils der inhaftierten Soldaten zugestimmt hatte.

Dass sich Gustav Noske so freudig empfangen wurde und sich am 5. November zum Vorsitzenden des Soldatenrates ausrufen lassen konnte, ist ein Beweis für die Naivität der Matrosen und für die Tatsache, dass sie selbst mit der Macht, die sie sich erobert hatten, nicht viel anzufangen wussten. Noske bemühte sich, das revolutionäre Potential, das sich aus ihrer Machtstellung ergab, abzutöten und die Bewegung in „ruhige Bahnen“ zu lenken. Er schilderte in einem Telefongespräch mit Philipp Scheidemann am 6. November die Lage in Kiel als „fast hoffnungslos“. Es drohe ein allgemeines Chaos. Er setzte sich ebenso wie Haußmann, der inzwischen nach Berlin  zurück- gefahren war, für die Amnestierung der gefangen-
gesetzten Matrosen ein und widersprach den Plänen zur gewaltsamen Niederwerfung des Aufstandes, weil er sie für undurchführbar hielt und nach dem vorhersehbaren Scheitern eines solchen Versuches, der erneut Tote und Verletzte fordern musste, eine weitere Radikalisierung der Soldaten und Arbeiter fürchtete. Ebenso sprach er sich für die Abdankung des Kaisers aus, denn Wilhelm Zwo war eine unhaltbare Figur geworden - das bedeutete allerdings keine Absage an den Fortbestand der Monarchie. Im Gegenteil - Ebert, Noskes Bruder im Geiste, bezeichnete am nämlichen Tage in einer Besprechung bei General Groener in Berlin, in deren Vorfeld das Telefonat zwischen Scheidemann und Noske stattgefunden hatte, die Abdankung des Kaisers als „letzte Gelegenheit zur Rettung der Monarchie“ - einer der kaiserlichen Prinzen sollte mit der Regentschaft betraut werden. Der Führer der deutschen Gewerkschaften, Carl Legien, trat übrigens ebenfalls für diese Lösung ein.


Das Denkmal zur Novemberrevolution im Kieler Ratsdienergarten

Noske, der absolut kein Freund von Arbeiter- oder Soldatenräten war, setzte sich in einer Besprechung mit Führern der SPD und der USPD am Abend des 6. November mit dem Ansinnen durch, ihn in der für den 7. November anberaumten Versammlung der Soldatenräte für den Gouverneursposten vorzuschlagen. Dafür sollte der USPD-Vorsitzende Lothar Popp den Vorsitz des Soldatenrats übernehmen. So geschah es dann auch. Damit hatte Noske eine Machtposition des alten Regimes über die Revolutionszeit gerettet und begann, was Popp offensichtlich nicht begriffen hatte, die Machtorgane der Revolution beiseite zu schieben. Der Soldaten- und der Arbeiterrat hätten ohne weiteres den Gouverneur absetzen und seinen Posten ersatzlos streichen können, wenn sich die Arbeiter und Soldaten denn selbst die Ausübung der ganzen Macht zugetraut hätten; dann aber hätten sie wohl auch jemanden aus ihren eigenen Reihen an die Spitze des Soldatenrats gestellt. Noske hätte auch als Vorsitzender des Soldatenrats de facto – gestützt auf das durch die Revolution gesetzte Recht – die Befehlsgewalt über die Kieler Garnison besessen, aber sein Ziel war die Entmachtung der Räte. Noske trat am 7.11. auch erfolgreich der Absicht des Kieler Arbeiterrats entgegen, unverzüglich die Republik Schleswig-Holstein auszurufen und eine provisorische Provinzialregierung einzusetzen. „Noske hatte es in der Hand, in Kiel zusammen mit dem Arbeiterrat ein republikanisches Signal zu setzen. Er ist diesen Schritt nach vorn jedoch nicht gegangen und hat seine eigenen Genossen in ihrem Tatendrang gebremst“, schreibt der Historiker Wolfram Wette in seiner Noske-Biografie. Ein Konterrevolutionär war an die Spitze der politischen Entwicklung in Kiel getreten.

Entsprechend erfreut willigte Admiral Souchon in die Übergabe seines bisherigen Amtes an Noske ein. „Ausübung der Gouverneurs- befugnisse durch Abgeordneten Noske bietet einzige Aussicht, die Erhebung in ruhige Bahnen zu leiten. Meine Person dabei hinderlich. Bitte um Anerkennung dieser Auffassung der Lage“, telegrafierte er ans Reichsmarineamt. Und Wolfram Wette bilanziert: „Mit der Übernahme des Gouverneurs-Postens durch Noske war jene Phase abgeschlossen, in der die Kieler Matrosenbewegung revolutionäre Impulse gab, die in das ganze Reich ausstrahlten.“

Allerdings hatte Noske nicht verhindern können, dass Hunderte von Matrosen aus Kiel die revolutionäre Botschaft des Aufstandes der Soldaten und Arbeiter ins Land trugen; bis zum 7. November 1918 hatten sie bereits in den wichtigsten deutschen Küstenstädten zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten beige-
tragen, bis hinunter nach Köln ist ihr Einfluss auf die Erhebung von Arbeitern und Soldaten nachgewiesen.

So stimmt es immerhin, was heutzutage auf einer Metalltafel an der Außenwand unseres Kieler Gewerk-
schaftshauses zu lesen ist, dass von den Kieler Arbeitern und Matrosen der Anstoß ausging zur Ausrufung der ersten deutschen Republik am 9. November 1918 in Berlin. Dass sie dort „offiziell“ von einem Streik-
brecher und Kriegsbefürworter ausgerufen werden konnte, ist schon bezeichnend für diese Revolution; allerdings war sie längst, bevor Scheidemann ans Fenster des Reichstags treten konnte, vieltausendfach auf den Straßen Berlins ausgerufen worden, der Fortbestand der Monarchie war vollkommen unmöglich.

D.L.