Militärhöriger Obrigkeitsstaat in Aktion
Am 24. September verwandelte die Bundeswehr den Paradeplatz
in Rendsburg – öffentlichen Raum der Zivilgesellschaft – in einen
Kasernenhof und zelebrierte einen „Großen Zapfenstreich“ anläßlich
der Stand-
ortschließung, durch die Rendsburg nach 345 Jahren
militärfrei wird. Der „Zapfenstreich“ ist das höchste Zeremoniell
der Bundeswehr, stammt in der heutigen Form im wesentlichen aus dem Preußen
des 19. Jahr-
hunderts und findet bei Dunkelheit statt. Ein wichtiger
Bestandteil der Formation besteht aus Fackelträgern. Dieser vordemokratische
Mummenschanz dient heute dazu, die Unterstützung und Bewunderung der
Bevölkerung für das Militär zu erbetteln und reaktionäres
Denken zu verbreiten: Untertanengeist, Befehl und Gehorsam und religiöse
Überhöhung des Soldatentums. Die Bundeswehr umgibt sich mit einer
feier-
lichen Aura der Heiligkeit und Erhabenheit, während
sie gleichzeitig in Afghanistan brutale Massaker anrichtet für die
imperialistischen Ziele einer kleinen Kaste von Kapitalisten, Offizieren
und Politikern.
Kieler AntimilitaristInnen von SDAJ, DKP und DFG-VK beschlossen
daraufhin, diese anachronistische Nebelkerze mit freundlichen Abschiedsgrüßen
zu bereichern und die GenossInnen der Antifaschistischen Aktion Rendsburg
(AARD) und der Rendsburger „Die LINKE“ zu verstärken. „Die LINKE“
hatte direkt am Paradeplatz (am Lornsen-Denkmal) eine Kundgebung angemeldet,
die sich 20 Meter hinter der Rück-
seite der Tribüne für die offiziellen Gäste
des „Zapfenstreichs“ befand und mit zahlreichen „Raus aus Afghanistan“-Plakaten,
mehreren Laternen und antimilitaristisch pink angestrichenen (Kiefern-)Zapfen
(beigesteuert von Kieler Aktivisten) einen optisch ansprechenden Eindruck
machte und ergänzt wurde von Transparenten der AARD („Bundeswehr wegtreten“)
und SDAJ („Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“). Leider war die Kundgebung
nur mit der Auflage erlaubt worden, daß keine Dezibel über normale
Gesprächslautstärke hinaus erzeugt würden, aber der Großteil
der etwa 1.500 Zuschauer (lt. Polizei sogar 2.500) mußte an der Kundgebung
vorbei und wurde mit verschiedenen Flugblättern von der AARD, DKP
/ SDAJ und DFG-VK versorgt. Ein sehr großes Transparent der DFG-VK
(„Bundeswehr abschaffen“) wurde direkt gegenüber der Tribüne
mit ihren etwa 400 Offiziellen platziert und war bestens sichtbar.
All dies fand statt unter den argwöhnischen Blicken
der Schergen des Feldjägerdienstkommandos Eckernförde und der
in massenhaften Rudeln anwesenden Rendsburger Polizei, die aus anderen
Teilen Schleswig-Holsteins unterstützt wurde. Als das Militärspektakel
kurz nach 21 Uhr begann und Martin Kayenburg, der Präsident des Schleswig-Holsteinischen
Landtags, eine lobhudelnde Tirade auf die Bundeswehr abließ, skandierten
drei Aktivisten, die sich hinter den ehrfürchtig gaffenden und lauschenden
Zuschauern postiert hatten: „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit
in aller Welt“. Nach nicht einmal einer Minute wurden die Spielverderber
von einer aggressiven Meute des „Verkehrsüberwachungs-
dienstes Neumünster“ umringt und angeherrscht, sich
in eine Seitenstraße zu begeben. Lautstarker Protest gegen diesen
Versuch, kritischen Bürgern das Maul zu stopfen, führte bei den
Uniformierten zu dem dringenden Bedürfnis, die Personalien der ungehorsamen
Untertanen festzustellen. Das Verlesen der wesentlichen Passage eines Urteils
des Bundesverwaltungsgerichts zu absolut legalem Protest gegen Militärzeremoniell
in der Öffentlichkeit („Lübeck-Urteil“ von 1990) wurde glatt
ignoriert. Ein „schönes“ Beispiel für die Verselbständigung
der Exekutive. Gerade in dem Moment, als zwei Militärpfaffen per Mikrofon
für das deutsche Militär beteten, wurden schließlich den
drei Antimilitaristen Platzverweise erteilt. Die Frage, worin nun die „Gefahr“
bestand, die § 201 des Landesverwaltungsgesetzes als Voraussetzung
für einen Platzverweis vorschreibt, wollte der Rudelführer nicht
beantworten und meinte, man dürfe lediglich „Fähnchen schwenken“.
Bei Gehorsamsverweigerung wurde den platzverwiesenen Untertanen Gewahrsam
bis zum Veranstaltungsende angedroht. Taktisches Ausweichmanöver war
also angesagt, denn schließlich führen irgendwie alle Wege nach
Rom…
Zu einem späteren Zeitpunkt drängte in die Kundgebung
von „Die LINKE“ aus unerfindlichem Grund ein ganzer Pulk grün uniformierter
Lakaien, die offensichtlich so etwas Ähnliches wie Einschüchterung
verursachen wollten. Nachdem die grüne Ansammlung von Kund-
gebungsteilnehmern dicht umringt worden war, zog sie sich etwas zurück.
Bullizei raus aus unseren Kundgebungen!! Als am Ende der Militärjubelparade
die Nationalhymne ertönte, kam es zu einiger Geräuschentwicklung
(Tröten, Pfeifen etc.). Zwei Personen wurden von Bullizisten in Gewahrsam
genommen. Besonders bei der Ingewahrs-
annahme des (ebenfalls) völlig gewaltfreien Aktivisten
der DFG-VK mutierten einige Uniformierte zu veritablen Brutalo-Bullen und
ließen ihrer angestauten Gewaltbereitschaft und ihrem Sadismus freien
Lauf: ins Gesicht greifen, Arm verdrehen, mit Gesicht auf das Straßenpflaster
hinter einen Polizei-Bulli werfen (möglichst ohne Öffentlichkeit),
Haltegriff am langen Arm, Handschließen, zwei Bullizisten-Knie auf
dem Rücken. Vollkommen rechtswidrige und unverhältnismäßige
Gewalt, die nur als klare Körperverletzung im Amt bezeichnet werden
kann: der militärhörige Obrigkeits- und Polizeistaat in voller
Aktion. Keiner der zahlreich anwesenden anderen Schergen fühlte sich
bemüßigt, mäßigend auf die aufgeputschten Kollegen
einzuwirken: Korpsgeist „über alles in der Welt“. Wahrscheinlich haben
nur der sofort einsetzende lautstarke Protest und das Fotografieren der
Szene weitere Übergriffe verhindert. Eine Feldjägerstreife, die
das Fotografieren behindern wollte, wurde in deutlichster Weise darauf
hingewiesen, daß sie nichts zu melden habe und sich verpissen solle
(was sie dann auch gemacht hat). Um die Polizeigewalt im Nachhinein zu
rechtfertigen, wird – so war es ja leider zu erwarten – das Opfer kriminalisiert:
„Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“, § 113 StGB. Die Allzweckwaffe
der Schergen, um unter dem Schutz der Uniform straffrei gegen vollkommen
friedliche Bürger Gewalt anzuwenden. Ein dermaßen mieses Schauspiel!!
Was sagt uns das? Selbst höchstrichterliche Urteile
scheinen nur noch Fassade zu sein. Die herrschende Klasse und ihr Apparat
reagieren mittlerweile extrem aggressiv auf antimilitaristische Proteste,
besonders seitdem sie schon seit Jahren Krieg führen gegen den klaren
Mehrheitswillen der noch relativ kriegsun-
lustigen Bevölkerung. Kritik soll im Keim erstickt,
der Protest kriminalisiert werden. Den Gefallen, sich einschüchtern
zu lassen, sollte man den Kriegstreibern und ihren Lakaien nun wirklich
nicht tun. Besser wäre: Anti- militaristische Proteste verstärken,
Erfahrungen sammeln, daraus lernen und immer effektiver werden, gerade
hier in Kiel mit seinen 4.400 Dienstposten der Bundeswehr, dem größten
Standort in Schleswig-Holstein (im Munitions-Depot Laboe nochmal 150 dazu).
Besonders das „Marine-Ehrenmal“ in Laboe – der erigierte Marine-Phallus
– mit seinen zahlreicher werdenden Bundeswehr- Veranstaltungen, aber
auch das „glorreiche“ Ein- und Auslaufen irgendwelcher Schiffe „unserer
schimmernden Wehr“ nach Somalia oder sonstwohin, die regelmäßigen
„Feierlichen Gelöbnisse“ auf den Marktplätzen in Plön und
Lütjenburg, die Marine-PR zur Kieler Woche, Militärwerber bei
Job-Messen (am 31.10./ 1.11. auch in Kiel) etc. sollten durch antimilitaristische
Proteste aufgewertet werden. Schon kleinere Sticheleien können einen
Militärauftritt vermiesen, was doch gleich gute Laune erzeugt.