Die alljährlichen großen Tarifbewegungen beginnen
in diesem Jahr mit dem öffentlichen Dienst. Am 13. Januar trafen sich
die Tarifparteien in Potsdam, um über die künftigen Tarifentgelte
für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen zu verhandeln.
Im Vorfeld hat die Arbeitgeberseite – Kommunen und Bund – keine Gelegenheit
ausgelassen, um auf die infolge der globalen Wirtschaftskrise explodierende
Staatsschuld als erschwerenden Faktor der Tarifpolitik hinzuweisen. Trotzdem
bestehen die Beschäftigten bei Bund und Kommunen und ihre Gewerkschaften
– allen voran Verdi – zu Recht auf einer Entgelter-
höhung. Ungleich schwieriger sieht die Lage dagegen
in der Metall- und Elektroindustrie aus. Viele erinnern sich noch an den
vergangenen Herbst, als der Verdi- Vorsitzende Bsirske öffentlich
ankündigte, seine Gewerkschaft werde auf Entgelterhöhungen bestehen,
während fast zeitgleich der IG Metall- Vorsitzende Berthold Huber
in einem Zeitungsinterview erklärte, Lohnerhöhungen würden
im kommenden Jahr vermutlich nicht im Zentrum der Bemühungen der IG
Metall stehen, zudem seien die Rahmenbedingungen dafür schlecht. Manche
Zeitungen versuchten damals, aus diesen unterschiedlichen Aussagen der
beiden Vorsitzenden einen Richtungskonflikt im gewerkschaftlichen Lager
zu fabrizieren. Tatsächlich waren die beiden unterschiedlichen Aussagen
von Bsirske und Huber nur einer von vielen Indikatoren, dass die
Ausgangsbedingungen für die kommenden Tarifauseinandersetzungen in
der Metall- und Elektroindustrie dieses Mal – leider – erheblich schlechter
sind als im öffentlichen Dienst.
Kurzarbeit und kein Ende der Krise
In Zahlen: Die Metall- und Elektroindustrie umfasst bundesweit etwa 22.000 Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten, zusammen 3,45 Millionen Beschäftigte. Rechnet man die Betriebe mit 20 bis 50 Beschäftigte hinzu, kommt man auf 33.000 bis 34.000 Betriebe mit zusammen 3,7 bis 3,8 Millionen Beschäftigten. Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit schätzte kürzlich die aktuelle Zahl der Kurzarbeiter auf bundesweit etwa eine Million („Die Welt“, 6.1.10). Da Branchen wie die Nahrungsmittelbranche sehr viel weniger auf den Export angewiesen sind, Teile der chemischen Industrie wie die Pharmabranche von der globalen Krise sogar fast gar nicht betroffen sind, wird allgemein davon ausgegangen, dass etwa 80% der Kurzarbeit in der von der Weltwirtschaftskrise und dem damit verbundenen Einbruch der Exporte am meisten betroffenen Metall- und Elektroindustrie stattfindet. 80% heißt: 800.000 Beschäftigte, das sind etwa ein Viertel aller Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie, sind in Kurzarbeit. Und: Eine schnelle Änderung ist nicht in Sicht. Das Statistische Bundesamt meldete am 7. und 8. Januar, im Oktober und November 2009 habe die Produktion im gesamten produzierenden Gewerbe arbeitstäglich um 10,2% niedriger gelegen als in den beiden Vergleichsmonaten des Vorjahres.
In der Metall- und Elektroindustrie allein dürfte das Niveau etwa doppelt so niedrig gelegen haben, also ca. 20% unter Vorjahr. Bei den Auftragseingängen zeichnet sich zwar nach den enormen Einbrüchen in den Vorquartalen eine leichte Besserung ab. Die Auftragseingänge aus dem Ausland etwa lagen im gleichen Zeitraum, also Oktober und November 2009, „nur“ noch um 5,2% unter Vorjahr. Aber auch diese Zahlen gelten für das gesamte produzierende Gewerbe. In der Metall- und Elektroindustrie, besonders in den Bereichen Automobil und Maschinenbau, sieht die Situation weiterhin ungleich schwieriger aus. Das zeigt ein Blick auf den Export, der bei Auto und Maschinenbau zwischen 60 und 80% des Absatzes ausmacht.
Ebenfalls am 8. Januar meldete das Statistische Bundesamt,
dass die deutschen Ausfuhren von Januar bis November 2009 etwa 180 Milliarden
Euro niedriger lagen als im gleichen Zeitraum 2008. Das ist ein Einbruch
um ziemlich genau 20%. Noch schroffer als das Statistische Bundesamt kommentierte
– nicht überraschend – der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Situation
der Branche. Die Zahlen des Bundes-
amtes seien „enttäuschend“: „Dies zeigt, dass die
Hoffnungen auf eine rasche Belegung der Konjunktur verfrüht waren.“
(Gesamtmetall-Pressemitteilung vom 7.1.10) Und, ebenda: „Um auf den Stand
von vor der Krise zu kommen, müssen die Aufträge um 34% wachsen“.
Gemeint ist damit nicht das gesamte produzierende Gewerbe. Wohl aber die Metall- und Elektroindustrie. Allgemein wird in der Branche erwartet, dass das Produktionsniveau von 2008, also vor Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise, im allerbesten Fall 2011, vermutlich aber erst in den Jahren 2012 bis 2013 erreicht wird. Für Teilbereiche wie etwa die Automobilindustrie gibt es sogar nicht wenige, die davon ausgehen, dass die hiesigen Werke ihre Fertigungs-Stückzahlen von 2008 gar nicht mehr erreichen werden – einfach deshalb, weil bis zu einer technologischen und strukturellen Erholung dieser Branche beträchtliche Fertigungsmengen endgültig nach Osteuropa, Indien, China oder in andere Regionen verlagert worden sind. Wie man’s auch nimmt, eines scheint festzustehen – mit einem schnellen Anziehen von Aufträgen und Fertigungszahlen rechnen in der Metall- und Elektroindustrie nur wenige.
Was tun in 2010?
Damit aber rücken zwei Themen in den Vordergrund,
jedenfalls auf IG Metall-Seite. Erstens: Bei Kurzarbeit lässt sich
schlecht streiken. Zweitens: Irgendwann läuft jede Kurzarbeit aus.
Was dann? Von der amtierenden Bundesregierung erwarten, um es klar zu sagen,
beide Tarifparteien nicht viel, nicht die Arbeitgeber, und schon gar nicht
die IG Metall. Nach dem fulminanten Auftakt von Schwarz-Gelb mit dem „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“
und so furiosen konjunktur- und wachstumspolitischen Volltreffern wie der
Mehrwertsteuersenkung für das deutsche Übernachtungsgewerbe ist
das Vertrauen in den wirtschafts-
politischen Sachverstand dieses Kabinetts, um es mal
sehr höflich auszudrücken, bestenfalls grenzwertig.
Zwar hat die Bundesregierung die geltenden Regelungen
für Kurzarbeit noch einmal bis Mitte 2011 ver-
längert. Aber diese Regelungen besagen: nach maximal
24 Monaten ist Schluss mit Kurzarbeit. Und nicht wenige Betriebe der Branche
haben Ende 2008 bzw. Anfang 2009 mit Kurzarbeit begonnen. Deren Möglichkeiten,
Kurzarbeitergeld der Agentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen, laufen
also Ende 2010 aus. Mit einer Verlängerung der Möglichkeit zur
Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld rechnet niemand, zumal das Mehrkosten
für die Agentur für Arbeit bedeutet und ohnehin schon alle Welt
über eine Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
nach- denkt.
Was dann? Zumal, wenn die Auslastung in der Metall- und
Elektrobranche bis dahin möglicherweise immer noch 10 oder 20% niedriger
liegt als Ende 2008? Diese Frage stellt sich nicht nur, aber vor allem
die IG Metall. Seit Dezember gab es diverse regionale Sondierungsgespräche
zwischen den Tarifparteien. Im Kern geht es dabei darum, welche tariflichen
Möglichkeiten zur Sicherung von Beschäftigung und Aus-
bildung in der Branche möglich sind. Dabei geht
es zum einen um mehr Ausbildungsplätze und längere Übernahmeregelungen
für Auszubildende in der Branche. Die Zahl der Ausbildungsplätze
ist bereits im vergangenen Jahr in der Branche um mehr als 10% gefallen.
Noch schneller stieg die Zahl der Auszu-
bildenden, die nach ihrer Ausbildung keine dauerhafte
Übernahme in ihrem Betrieb schafften und nun von Arbeitslosigkeit
bedroht sind, wenn sie nicht schon arbeitslos sind. Das ist viel, vor allem
im Hinblick auf die demografische Struktur nicht weniger Belegschaften,
wo in den nächsten Jahren viele Facharbeiter ausscheiden.
Zweiter und vermutlich noch gewichtigerer Teil des „Job-Pakets“, über das die Tarifparteien sondieren, sind Maßnahmen zur allge- meinen Beschäftigungssicherung in der Branche, darunter Anschlussregelungen für den Fall des Auslaufens des Kurzarbeitergelds. „Wir benötigen Lösungen, die schneller sind als die Probleme, denen wir uns 2010 in den Betrieben zu stellen haben“, hatte etwa der NRW-Bezirksleiter der IG Metall, Oliver Burkhard, betont. Das „Handelsblatt“ berichtete am 7. Januar: „Im Zentrum steht die Idee, eine bestehende Option im Tarifvertrag zu erweitern, die Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnsenkung erlaubt.
Bisher können Betriebe die Arbeitszeit von 35 auf 29 bezahlte Stunden pro Woche senken. Nun geht es darum, den Rahmen etwa bis 25 Stunden zu öffnen – wobei die IG Metall dann aber Einkommensverluste mindestens durch einen „Teillohnausgleich“ begrenzen will. Und sie will bei alledem sicherstellen, dass es jedenfalls dort ein Lohnplus gibt, wo es Firmen trotz Krise gut geht.“ Was das Blatt verschweigt: Nicht wenige in der IG Metall erwarten eine Kombination von „Job-Paket“ plus einem – konjunkturell bedingt niedrigen, vielfach erwartet wird ein Plus von 2% – Entgeltanstieg.
Denn die Preise – etwa bei Benzin – steigen schon wieder, und die von der FDP betriebene Kopfpauschale in der Krankenversicherung bedeutet ebenfalls eine kräftige Kostenverlagerung weg von den Arbeitgebern, hin zu den abhängig Beschäftigten. Die Überschrift des Berichts im „Handelsblatt“ – sie lautet: „Schluckt die IG Metall wirklich eine Nullrunde?“ – ist deshalb mehr dem Wunschdenken der Arbeitgeber geschuldet als der Diskussion in der Gewerkschaft.
Vorentscheidung Ende Januar?
Der derzeitige Tarifvertrag der IG Metall läuft Ende
April aus. Das bedeutet: nach den üblichen Verfahrens-
regeln würde irgendwann Mitte Februar der IG Metall-Vorstand
seine erste Forderungsempfehlung vor-
stellen. Dann beraten die regionalen Tarifkommissionen
auf dieser Grundlage über ihre Forderungen. Anfang bis Mitte März
besteht dann eine „Forderungslage“, auf deren Grundlage erste Sondierungs-
gespräche mit den Arbeitgebern beginnen, um vor
Ablauf der Friedenspflicht Ende April die Möglichkeiten einer Lösung
und einer Einigung zu prüfen. Diese Situation ist jetzt angesichts
der anhaltenden Krise etwas anders. Bereits Ende Januar will der IG Metall-
Vorstand das Ergebnis der regionalen Sondierungsgespräche mit den
Arbeitgebern zusammenfassen und bewerten. Dann könnte möglicherweise
eine Vorentscheidung fallen, wie es in dieser Branche tarifpolitisch weitergeht.
(rül - aus Politische Berichte 1/2010 - Quellen: Handelsblatt, 7.1.2010; Die Welt, 6.1.2010; Gesamtmetall-Pressemitteilung vom 7.1.2010; Statistisches Bundesamt, Pressemitteilungen vom 7. und 8.1.2010.)