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Zentrale Sozialproteste in Berlin und Stuttgart:

Ein Anfang ist gemacht

Gegen die Kürzungspolitik der schwarz-gelben Regierung gingen am 12. Juni in Berlin 20.000 und in Stuttgart über 22.000 Menschen auf die Straße. Die Demonstrationen richteten sich gegen die Tatsache, dass die Kosten der Krise den sozial Schwachen und der breiten Bevölkerung aufgebürdet werden, wobei die Verursacher und Profiteure der Krise nicht zur Kasse gebeten werden. „Trotz kühlem Nieselwetter sind unsere Erwartungen an die Teilnehmerzahlen übertroffen worden“, kommentiert Michael Prütz für das Berliner Bündnis. „Die Menschen akzeptieren nicht, dass sie für die neoliberale Politik, die in die Krise geführt hat, zahlen sollen, während Banken und Konzerne als Verursacher ungeschoren davon kommen“, sagt Christina Kaindl, Sprecherin des Berliner und des bundesweiten Bündnisses. Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Linkspartei, wies in ihrer Abschlussrede zurück, dass die Menschen über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Gerd Buddin, Ver.di Berlin, bezeichnete die Pläne der Regierung als „Sauerei“ und kündigte den Widerstand der Gewerkschaften an.

Christina Kaindl: „Mit der Hälfte der Einsparungen sollen Erwerbslose und Geringverdiener zur Kasse gebeten werden. Die Krisenverursacher dagegen bekommen Hunderte Milliarden zur Sicherung ihrer Profite. Die Finanz-, Wirtschaft- und Eurokrise soll in ganz Europa auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden.“ Niemand solle sich täuschen. Als nächstes sollen 60 Millionen gesetzlich Versicherte Sonderabgabe oder Kopfpauschale zahlen, dies bringt für die gesetzlich  Versicherten massive Belastungen mit sich. Währenddessen werde der Energiewirtschaft 100 Milliarden Euro an Extraprofiten mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten zugeschustert. Die geplante Brennstoff-Abgabe für AKWs von 2,5 Milliarden sei geradezu lächerlich.

Nach der Demonstration hat es große Aufregung um verletzte Polizisten gegeben, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Der Boulevard sprach von einer Bombe, die geworfen worden sei, im Bundestag gab es auf Antrag der Regierungskoalitionen eine aktuelle Stunde, in der von drohendem Terrorismus die Rede war. Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte allerdings fest, dass es sich nicht, wie verschiedentlich berichtet, um eine Splitterbombe gehandelt hat. Rainer Wahls, der als Mitglied des organisierenden Bündnisses und der Demoleitung für den Kontakt zur Polizei zuständig war, und Augenzeuge des Vorfalls war, spricht in einer  Eidesstatt- lichen Erklärung von einem vermutlich mit Plastik ummantelten Knallkörper, der mit erheblicher Lautstärke und Rauchentwicklung neben einem PKW explodiert sei. An diesem habe er anschließend keinen Schaden feststellen können.

Vorausgegangen war dem Ganzen ein massiver, laut Wahls vollkommen unbegründeter Einsatz gegen den so genannten antikapitalistischen Block der Demonstration. Wie es bereits von zahlreichen früheren ähnlichen Großdemonstration bekannt ist, hatte die Polizei die Teilnehmer massiv durch enges Spalierlaufen provoziert. Wahls berichtet, dass er der Absprache bei der Anmeldung gemäß habe vermitteln wollen, als sich ein Polizeieinsatz gegen den Block anbahnte. Statt dessen habe man ihn versucht wegzuschicken und schließlich niedergeschlagen. Als er sich nach seiner heruntergefallenen Brille gebückt hat, habe er einen gezielten Fußtritt gegen die Stirn bekommen.

Bei der Abschlusskundgebung kam es in der Folge zu massiven Störungen durch polizeiliche Greiftrupps, die immer wieder in die Menge stürmten und dabei mehrfach Menschen aus den Weg stießen und mit ihren schweren Stiefeln niedertrampelten. Die Demonstrationsleitung sprach in einer Erklärung von einem vollkommen überzogenen Einsatz und unverhältnismäßiger Gewalt. Mindestens sieben Menschen wurden durch Polizisten bei diesen Aktionen verletzt. Die Organisatoren der Demonstration haben in verschiedenen Erklärungen nach der Demonstration keinen Zweifel an ihrer Ablehnung von Gewalt, wie sie das Werfen eines derartigen Knall- oder Sprengkörpers darstellt, gelassen. Dass dennoch versucht wird, ihr mangelnde Distanzierung unterzuschieben, wie zum Beispiel vom Berliner SPD-Innensenator (Koalitionspartner der Linkspartei) ist infam, aber leider nichts Neues.

Das Motiv dahinter ist äußerst durchsichtig. Vom Anliegen der Demonstranten soll abgelenkt werden, aber dadurch sollten sich die sozialen Bewegungen nicht beirren lassen. Alles in allem waren die beiden Demos in Berlin und Stuttgart ein guter Anfang. Vielleicht hatten manche für Berlin mehr erhofft, aber angesichts dessen, dass in Norddeutschland und auch in Berlin selbst wesentlich weniger mobilisiert worden war als bei den vergleichbaren Demos der letzten Jahre, war die Beteiligung eigentlich recht beeindruckend. Eindeutiges Manko war jedoch, dass anders als sonst viel weniger Gewerkschaftsgliederungen und Belegschaften sichtbar vertreten waren. Die Berliner Organisatoren erwarten einen „heißen und kämpferischen Herbst“. Die Kieler Demos Mitte Juni lassen hoffen, dass sie damit recht haben werden.
 

 (wop)