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Offener Brief an Jürgen Grässlin:

DFG-VK Mitglieder erklären ihren Austritt

Wir sind selbst DFG-VK Mitglieder und nach dieser Denunziation erklären wir hiermit unseren Austritt aus der DFG-VK.

Auch wer in den satirischen Provokationen „Schritte zur Abrüstung“ und „Tag Y“ die Ironie nicht versteht oder verstehen will, sie als „Genugtuung über den Tod eines Menschen“ abstempelt und argumentiert, die Genugtuung über den Tod eines Menschen sei nach seiner Auffassung von Gewalt nicht mit dem Grundsatz der  Gewaltfreiheit vereinbar, weil sie andere Menschen, insbesondere hinterbliebene Angehörige seelisch verletzt, darf Menschen, die anderer Auffassung sind, nicht bei der Staatsanwaltschaft denunzieren. Denunziation ist definitiv nicht mit dem Grundsatz der Gewaltfreiheit vereinbar. Denunziation bedeutet Zu(sammen)-
arbeit mit einer Organisation, dem Staat, die ein Gewaltmonopol für sich beansprucht und Gewalt ausübt, z.B. durch Bestrafung, durch Einschüchterung mithilfe von  Hausdurch- suchungen etc. oder durch entstehende Anwaltskosten. Wer denunziert, ist Mittäter dieser Gewalt.

Laut einem Interview mit Monty Schädel in der jungen Welt, sollst Du, Jürgen Grässlin, die Namen der wegen der Aktion „Tag Y“ kriminalisierten Aktivist_innen an die Staatsanwaltschaft übermittelt haben, um die anderen ca. 4.500 Mitglieder, deren Liste bei einer angedrohten Bürodurchsuchung (für die noch nicht einmal ein richterlicher Durchsuchungsbescheid vorlag) den Ermittlern hätte in die Hände fallen können, zu schützen. NICHT IN UNSEREM NAMEN! Lieber stehen wir auf einer Liste von 4500 Namen, die die Staatsanwaltschaft nach den Namen der Beschuldigten durchsucht (wir wünschen den Schergen viel Spaß beim Suchen!), als dass in unserem Namen Antimilitarist_innen denunziert werden. Mit einer solchen Liste kann (oder zumindest darf) die Staatsanwaltschaft den anderen Mitgliedern übrigens gar nicht schaden, denn sie muss deren „Schuld“ nachweisen und nicht die übrigen Mitglieder der Staatsanwaltschaft ihre Unschuld. Wenn die anderen Mitglieder gegenüber den Repressionsbehörden die Schnauze halten, kann der Staat weder die Nichtdenunzianten für ihre Aussageverweigerung noch die unbekannten  Beschuldigten bestrafen.

Und selbst eine Beugehaft, Wohnungsdurchsuchung u. dgl. würden wir lieber in Kauf nehmen, als dass unseretwegen andere Menschen ans Messer geliefert werden. Für die Beugehaft u. dgl. muss kein Nicht-Denunziant für seine Nicht-Kollaboration mit dem Repressionsapparat ein schlechtes Gewissen haben, sondern die Richter und Staatsanwälte - die sind dafür verantwortlich. Wir glauben, dass auch ein Auswechseln der Personen im Vorstand das Problem nicht beheben wird. Die Grundlage für die Anmaßung, im Namen aber gegen den Willen der Mitglieder einer Organisation andere Menschen zu denunzieren, liegt glauben wir weniger in der Person des Vorstandsmitgliedes, sondern vielmehr im Prinzip der Stellvertreterstruktur, durch die dem Vorstand, der nicht durch ein imperatives Mandat an die Interessen ihrer Mitglieder gebunden und ihnen gegenüber erst nach Ende der Wahlperiode Rechenschaft schuldig ist, für die Dauer ihrer Wahlperiode quasi ein Blankoscheck  ausge- stellt wird.

Die Konsequenz, die wir daraus ziehen werden, ist, uns in Zukunft nur in basisdemokratischen Zusammenhängen ohne Vorstand u. dgl. zu organisieren.

Solidarität mit den verfolgten Antimilitarist_innen!
Christian und Felix







„Anmerkungen zum Tag Y“

Wenn in der BRD öffentlich um „gefallene Soldaten“ getrauert wurde, passierte das bis vor einigen Jahren (d. h. bevor die ersten Soldatenleichen zerschossen aus Afghanistan zurückkehrten) meist in Form einer zunehmend geriatrisch werdenden Veranstaltung am sog. Volkstrauertag (vormals „Heldengedenktag“). Da dieser Termin aufgrund demographischer Entwicklungen seit jeher immer weniger Zuspruch fand, erschien es aus geschichtsklitternder deutscher Perspektive passabel, gleich die Opfer von Gewaltherrschaft mitzubetrauern. Diese Opfer (ermordete Jüdinnen und Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma, Menschen mit psychischen, physischen oder kognitiven Einschränkungen, Kommunist_innen, Anarchist_innen und unzählige weitere Individuen, die aus der Sicht der Nazis in missliebigen  Menschen- gruppen verortet wurden) werden mit ihren Mördern (Wehrmachtssoldaten, SS, und sonstigen Schergen (z. B. sog. „Vertriebene“)) dieses singulären deutschen Faschismus auf eine Ebene gestellt.

Deutsche „Opfer“-Identität ist im Kontext der geschichtsrevisionistischen Neuaufbereitung der Geschichte im Speziellen des antisemitischen deutschen Faschismus und der bürgerlichen „Aufarbeitung“ des Antifaschismus durch Gleichsetzung mit dem der DDR immanenten stalinistischen Zwang, zu betrachten. Im Klartext: das „gepeinigte deutsche Volk“ als „Opfer“ zweier Diktaturen.Soweit herrschende deutsche Staatsräson und soweit so schlecht, doch wer möchte schon gerne auf einer Ebene mit (den) Opfern sein, wenn zerschossene deutsche Soldaten wieder als Helden verklärbar sind, oder wie Theodor zu Guttenberg sagte:

„Meine kleine Tochter, der ich meine Trauer zu erklären versuchte, fragte mich, ob die drei jungen Männer tapfere Helden seien, ob sie stolz auf sie sein dürfe. Ich habe beide Fragen nicht politisch, sondern einfach mit ja beantwortet.“

Sei es nun dahingestellt, ob diese Unterredung tatsächlich in der Form stattgefunden hat und ob ein Kind in seiner Infantilität zu solch vulgär-militaristischem Nonsens fähig ist, die deutliche Analogie dieser Aussage und deren nebenbei stupid bis dämlich-martialisch verschachtelte Art nehmen wir lachend bis weinend entgegen. Wenn deutsche „gefallene“ Soldaten mit groß inszenierten Begräbnissen, Ehrenkreuzen und viel Staatspomp als Helden gefeiert werden, so erkennen   Antimilitarist_innen hier nationalistische und militaristische Kontinuitäten von zwei verbrochenen Weltkriegen und geschichtlich gesehen sogar noch darüber hinaus.

Deutsche Kontinuitäten sind also mal wieder unschwer zu erkennen. Die Art des Widerstandes bestimmen die Umstände. Wenn diese Kontinuitäten lächerlich gemacht werden ist vielleicht sogar keine hinreichende Reaktion auf momentane deutsche Kriegspolitik. Und selbst wenn die in den satirischen Provokationen „Schritt zur Abrüstung“ und „Tag Y“ geäußerte „Genugtuung über den Tod“ der „gefallenen“ Soldaten ernst gemeint wären: Tucholsky hat immer noch (auch und gerade wieder heutzutage!) Recht und wir maßen uns immer noch an, Mörder als solche zu entlarven und ihnen mit dem ihnen zustehenden Respekt (nämlich keinem!)  gegen- überzutreten.

Mit anarchistischem Gruß
Antimilitarist_innen aus Kiel