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Zur staatlichen Sparpolitik und ihrer ideologischen Begründung:

Wer soll zu wessen Gunsten den Gürtel enger schnallen?

Die hohe Verschuldung der Staatshaushalte wird in vielen Ländern der EU zum Anlass genommen, sozialstaatliche Strukturen abzubauen. Die sog. Sanierung der Staatsfinanzen erfolgt in der Regel nach einer Standardrezeptur. Zu dieser Rezeptur gehören die Reduzierung des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt, die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, die Flexibilisierung der Arbeits-
märkte verbunden mit der Aushöhlung des Tarifrechts und des Kündigungsschutzes. Begleitet werden diese Maßnahmen von dem Rückbau der sozialen  Sicherungs- systeme.

Nachdem weltweit Banken und Firmen mit staatlichen Mitteln gerettet und entsprechend hohe Neuverschuldungen aufgebaut wurden, kehrt die herrschende Politik begleitet von Mainstreammedien und einem Tross von Wirtschaftswissenschaftlern zu marktliberalen Grundsätzen zurück. Der schon fast totgesagte Neoliberalismus feiert seine Wiederauferstehung.

Ideologisch wird die Sparpolitik damit begründet, dass die Bevölkerung über ihre Verhältnisse gelebt habe und sich die Staaten aufgrund ihrer hohen Verschuldungen die sozialen Sicherungssysteme in den bestehenden Formen nicht mehr leisten können. In der Logik dieser politischen Erzählung müssen diese Sicherungssysteme den Herausforderungen der Globalisierung und des demo-
graphischen Wandels „angepasst“, sprich: gekürzt werden. Unterstrichen wird dieses wirtschafts- und  sozial- politische Mantra mit dem Hinweis, dass es dazu keine Alternative gäbe. Eine inzwischen sehr beliebte Formel, um politischen Interessen den Charakter von Naturgesetzlichkeit zu verleihen.

Ein genauerer Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland eröffnet allerdings ein anderes Bild als das von übersättigten Staatsbürgern in sozialen Hängematten. Das wird allein durch einige Schlaglichter auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des letzten Jahrzehnts deutlich. Vor Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise hatte in Deutschland das Bruttosozial-
produkt seine historische Höchstmarke erreicht. Versteht man darunter den gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum, so lässt sich sagen, dass der in Deutschland ein noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht hat. Das sagt allerdings nichts über die Qualität und die Nachhaltigkeit dieses Reichtums und schon gar nichts über seine Verteilung aus. Gerade in dem letzten Jahrzehnt vollzog sich eine starke Umverteilung von unten nach oben. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden können. Bereits unter der Rot/Grünen- Bundesregierung bekam der  Umverteilungsprozess einen enormen Schub. Die Hartz IV – Reform löste mit ihrer Zumutbarkeitsklausel und den Ein-Euro Jobs auf der Basis der hohen Arbeitslosigkeit einen ungeheuren Druck auf die Beschäftigungsverhältnisse und das Lohnniveau aus. Dazu kamen die Liberalisierung von Leiharbeit und der Ausbau geringfügiger Beschäftigung.

Die Zunahme von Niedriglöhnen und prekärer Arbeit waren die Folge. Insgesamt führte dieser Prozess dazu, dass während der Aufschwungphase bis 2008 bei steigendem Wirtschaftswachstum und steigender Produktivität die Reallöhne sanken. Ein einmaliger Vorgang in der deutschen Nachkriegsgeschichte.  Im Zuge dieser Entwicklung ist der Anteil der Löhne und Gehälter am Volksein-
kommen zwischen 2000 und 2008 von 72 auf 61 Prozent zurückgegangen, während im gleichen Zeitraum die Einkommen aus Unternehmensgewinnen und Kapitalbesitz von 28 auf 39 Prozent stiegen. Diese Verschiebung ist neben der politisch gewollten  Verbilligung der „Ware Arbeitskraft“ auch das Resultat aus der steuerlichen Entlastung des Kapitals und höherer Einkommens-
gruppen.

So wurde die Vermögens- und Börsenumsatzsteuer abgeschafft und die Körperschaftssteuer um zehn Prozent gesenkt. Der Spitzensteuersatz wurde von 53 Prozent auf 42 Prozent reduziert. Die Reform der Erbschaftssteuer führte besonders im Bereich der Betriebsvermögen zu weiteren Entlastungen.

Der hier skizzierte Prozess schlägt sich auch in der Vermögensverteilung dieses Landes nieder. Inzwischen besitzt nur ein Zehntel der deutschen Bevölkerung zwei Drittel des gesamten Privatvermögens. Gleichzeitig steigt der Anteil der Menschen, die in Armut leben. Dabei ist der Anteil der Kinder besonders hoch. So geht aus dem Sozialbericht der Stadt Kiel hervor, dass rund 16 Prozent der Kieler Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. Bei den unter 15jährigen sind 30 Prozent auf staatliche Hilfen angewiesen. Fast jedes dritte Kind lebt in Kiel in Armut.
 
 
 

Demo gegen die Sparabsichten der Landesregierung, 16.6.2010 in Kiel

Eine wachsende Zahl von Menschen, die zu Hungerlöhnen arbeiten müssen, ist auf staatliche Hilfe angewiesen. Dadurch wird private Ausbeutung staatlich alimentiert. Vor diesem Hintergrund erscheint die ideologische Begründung der eingeschlagenen Sparpolitik völlig abstrus. Das gilt ebenfalls in Hinblick auf die steigende Neuverschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden.

Die meisten von uns dürften noch in Erinnerung haben, dass die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit 1929 von einer Spekulationsblase und einer Bankenkrise ausgelöst wurde. Zur Rettung der Banken verschuldeten sich die betroffenen Staaten mit Billionen von US-Dollar. Die Bankenkrise verschob sich so zu einer Schuldenkrise von Staaten. Dass die Großbanken, durch Staatshilfen und Bad-Banks gerettet, inzwischen mit den gleichen abenteuerlichen Finanzmarktstrategien wie vor der Krise erneut hohe Gewinne einfahren und dabei neue Blasen produzieren, ist ein brutaler Zynismus für alle, die für diese Krise die Zeche zahlen sollen.
Die Finanzkrise löste auch eine Krise in der sog. Realwirtschaft mit Produktionsrückgängen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit aus. Diese Entwicklung führte wiederum zu kostspieligen Konjunkturprogrammen, Defiziten in den sozialen Sicherungssystemen und zu geringeren Steuereinnahmen. All das reißt zwangsläufig tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte.

Somit sind die hohe Neuverschuldung des Bundes und die katastrophale Haushaltssituation der Kommunen zu einem erheblichen Teil die Folge einer Krise, die durch eine ungebremste Profitmaximierung an den Kapitalmärkten ausgelöst wurde. Wenn nach diesen Erfahrungen die sog. „Reaktion des Marktes“ wieder zur Richtschnur staatlichen Handelns gemacht wird, beschränkt sich staatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik auf das Management optimaler Kapitalverwertung und auf Bankenrettung. Eine Gemeinwohlorientierung ist dabei ein Störfaktor.

Die Behauptung, dass es zu dieser Politik keine Alternative gäbe, ist ideologisch und von Interessen geleitet. Zu dieser Politik gibt es zahlreiche Alternativen. Ange- fangen bei einer höheren Besteuerungen der Spitzeneinkommen, über Börsenumsatz- und Finanztransaktionssteuern, die Einführung armutsfester Mindestlöhne und Grundeinkommen bis zu einer gemeinnützigen Ausrichtung des Bankensektors. Hier ist nicht der Raum, die Vielzahl durchdachter weiterer Alternativen aufzuzeigen.

Wichtig ist es jedoch, der unsozialen Sparpolitik und ihrer absurden Begründung einen umfassenden Widerstand entgegenzusetzen. Das setzt ein Bündnis aller gesell- schaftlichen Kräfte voraus, die sich gegen diese Politik wehren wollen. Dabei können Aktionsbündnisse zwischen Gewerkschaften, Kirchen, sozialen Bewegungen und Wohlfahrtverbänden ein wichtiges Mobilisierungsinstrument sein. Ein solches Bündnis formiert sich in Schleswig Holstein. Ziel ist es, den Charakter der staatlichen Sparpolitik und die Alternativen dazu durch Aktionen und Veranstaltungen in die Öffentlichkeit zu tragen und einen breiten, vielfältigen Protest gegen diese Politik zu organisieren.

Eines scheint klar: Resignation, Zurückhaltung oder Vereinzelung setzt in dieser politischen Situation das eindeutige Signal an die herrschende Politik: „Macht weiter so, wir nehmen es hin.“

Andreas Meyer (Attac-Kiel)