Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
Einen heißen Herbst haben verschiedene Sprecher
der Anti-AKW-Bewegung und von Umweltverbänden der Bundesregierung
versprochen. Zahlreiche Aktionen an den Standorten und vor allem Anfang
November im Wendland – dort wird ein neuer Atommülltransport erwartet
– sind geplant. Den Auftakt machte am 18. September eine bundesweite Demonstration
mit bis zu 100.000 Teilnehmern. Auch aus diversen Städten Schleswig-Holsteins
waren Busse gefahren, allein aus Kiel brachten sie rund 300 Menschen an
zum Protestzug durchs Berliner Regierungsviertel. Auch einige Traktoren
aus dem Wendland wurden gesichtet, und neben den Umweltverbänden und
diversen Anti-AKW-Initiativen und -Kampagnen hatten auch Unternehmerverbände
aus dem Bereich der erneuerbaren Energien aufgerufen. Die Oppositionsparteien
waren ebenfalls zahlreich vertreten, am wenigsten sichtbar war dabei allerdings
die Linkspartei. Parteiredner hatten die Veranstalter jedoch nicht zugelassen.
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Auf der Abschlusskundgebung sprach hingegen unter anderem
Hermann Albers aus Nordfriesland, der Präsident des Bundesver-
bandes Windenergie ist. Die Windmüller laufen wie
viele andere Sturm gegen die Pläne der Bundesregierung, die AKW-Laufzeiten
zu verlängern. Diese hatte Anfang September ein äußerst
fragwürdiges Gutachten vorgelegt, mit dem die Laufzeitverlängerung
begründet werden sollte. Die wissenschaftliche Grundlage ist zwar
hundsmiserabel und würde sicherlich jedem Master- oder Diplomstudenten
in seinen Thesen bestenfalls zur Fünf reichen, aber das Bundeskabinett
dealte nicht einmal eine Woche nach der Vorstellung der Studie mit der
Atomwirtschaft eine Vergrößerung der Reststrommengen aus.
Im Prinzip läuft diese auf eine Verlängerung um 14 Jahre hinaus, womit die letzten AKW erst nach 2035 stillgelegt würden. Wie in den vergangenen Jahren könnten die Betreiber die Strommengen aber durchaus auch strecken, womit die Laufzeiten bis fast zu Mitte des Jahrhunderts ausgedehnt würden. Dann wären die Meiler im End- effekt 50 Jahre oder gar noch länger im Betrieb, länger als bisher irgendein Atomkraftwerk auf der Welt. Kein Mensch weiß bisher, wie stark der Stahl der Reaktor- druckbehälter in dieser Zeit durch die radioaktive Strahlung versprödet und damit bruchanfälliger geworden sein wird.
Darüber hinaus werden die AKW zukünftig den Ausbau der Erneuerbaren massiv behindern. Ganz entgegen den gebetsmühlenartig wiedergekäutem Argument der vermeintlichen „Brückentechnologie“ passen die äußerst trägen Großkraftwerke in eine Zeit, in der große Mengen Wind- und Solarstrom mal anfallen und mal ausbleiben. Die nötigen Lückenbüßer können nur Speichertechnologien wie Pumpspeicherwerke oder flexible Gaskraftwerke spielen. (Zu den weiteren energie- politischen Hintergründen der Auseinandersetzung siehe Artikel auf Seite 27 des Gegenwindes.)
Ob sich die Bundesregierung mit ihren Plänen tatsächlich durchsetzen wird, ist noch offen. Schon im Oktober sollen die geplanten Änderungen am Atomgesetz mit allen drei Lesungen durch den Bundestag gebracht werden, den Bundesrat will man ganz übergehen. Bereits am 1. Januar 2011 soll dann die Gesetzesnovelle in Kraft treten. Wenn nicht das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die ein Stoppschild errichtet. Mehrere Bundesländer, die Oppositionsparteien und auch die Umwelt- organisation Greenpeace haben angekündigt, die Verfassungsrichter bemühen zu wollen. Und breiter gesellschaftlicher Druck könnte bis dahin dafür sorgen, dass sich die Risse im Establishment weiter vergrößern.
Christoph Bautz, einer der Organisatoren der Demo am 18.9., war sich sicher, dass der Bundesregierung ein heißer Herbst bevorsteht. Die Atompolitik werde für sie zum „Stuttgart 21“, meinte er in Anspielung auf die sensationellen Proteste in der Schwabenmetropole, die dort seit Wochen die Bevölkerung gegen die milliardenteure Gigantomanie von Bahn und Landesregierung eint. Eine Vertreterin der Stuttgarter Initiativen war denn auch zur Demonstration in Berlin angereist, um Grüße zu überbringen und die Gemeinsamkeit der Bewegungen zu beschwören. Es handele sich um eine Bewegung, die Leute hätten die Nase voll von Politikern, die Projekte gegen den Willen der Bevölkerung durchdrücken.
Dies äußerte sich auch auf manchem der auf der Demo mitgeführten selbst gemalten Transparente. Die vorherrschende Stimmung war Wut, und nicht etwa Resignation, wie man angesichts der Beschlüsse der Bundesregierung vielleicht meinen könnte. Auf besondere Empörung stieß bei vielen Demoteilnehmern die Art und Weise, wie die Beschlüsse der schwarz-gelben Koalition zustande gekommen war, die Hast, mit der man noch in der Nacht Verträge mit den Energiekonzernen abge- schlossen hatte, an denen nicht einmal der Umweltminister beteiligt wurde, und die man zunächst der Öffentlichkeit unterschlagen hatte.
In einer Erklärung der Veranstalter, die nach Abschluss
der Demonstration verschickt wurde, heißt es: „Die Bevölkerung
duldet keine Klientelpolitik für Atomkonzerne auf Kosten ihrer Sicherheit.
Der Widerstand gegen die Atompläne der Bundesregierung kommt aus allen
Schichten der Gesellschaft. Jüngere und Ältere, Schülerinnen
und Schüler, Studentinnen und Studenten, Gewerkschafter, Beschäftigte
in der Branche der Erneuerbaren Energien, Raver und Chöre, Umweltschützer
und Angehörige der verschiedenen Parteien protestieren heute gegen
längere Laufzeiten für Atomkraftwerke und für einen schnelleren
Ausstieg aus der gefährlichen Atomenergie. Nach dieser Demonstration
wird der schwarz-gelben Regierungskoalition klar geworden sein, dass sie
sich mit ihrem Atomdeal gehörig die Finger verbrannt hat. In der Atompolitik
ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen.“