Atomlobby verstrahlt Bundesregierung
Der Atomdeal ist beschlossen, die Kanzlerin strahlt vor
Zufriedenheit. Die „Revolution in der Energieversorgung“ verkündet
sie. Aber wer wurde gestürzt? Auch bei den Vorstandschefs von E.ON,
RWE, EnBW und Vattenfall nur strahlende Gesichter. Sie schweigen und genießen
die lukrative Verlängerung der Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke.
Hat die Aussicht auf Atomstrom bis mindestens 2038 unserer sonst so nüchternen
Kanzlerin den Realitätssinn verstrahlt? Vor Wochen manövrierten
sich die Konzerne im Kampf gegen die Brennelementesteuer ins gesellschaftliche
Abseits. Sie schalteten Anzeigen, drohten mit Steuer-
boykott und einer Klage in Brüssel. Ihre Ankündigung,
AKWs abzuschalten, wurde von Greenpeace mit aktuellen Überkapazitäten
– im ersten Quartal 6,7 Prozente – gekontert. Erpressung gescheitert? Weit
gefehlt: Die Regierung ist der Atomlobby einfach ins Abseits gefolgt.
Lukrative Gewinne durch die Laufzeitverlängerung.
Zusätzliche Einnahmen bei moderatem Preisanstieg (in Milliarden Euro).
Grafik: DGB/ Quelle: öko-Institut, 6.9.2010
30 Milliarden Euro hatten E.ON und Co. der Regierung für
einen Fonds angeboten, um die Brennelementesteuer zu verhindern. Jetzt
gibt es die Laufzeitverlängerung billiger – und einige Boni zusätzlich:
Nach Berechnungen des Öko-Instituts erzielen die AKW-Be-
treiber bei moderat steigenden Strompreisen Zusatzerträge
von 126,56 Milliarden Euro, abzüglich der Brennelementesteuer und
– freiwilliger – Gewinnab führungen in einen Fonds bleiben ihnen 94,88
Mrd. Euro. Allerdings dürften sie vom Fonds zur Förderung der
Erneuerbaren Energien selbst profitieren: Inzwischen sollen die vier Oligopolisten
die Rechte für 70 Prozent aller Windpark-
flächen in der Nordsee aufgekauft haben. Auch die
Sicherheitsauflagen für die Atommeiler sind zukünftig günstiger
zu erfüllen: maximal 500 Millionen Euro müssen sie jeweils investieren,
und bei den Alten erst mittel- bis langfristig – oder gar nicht, wenn Reststrommengen
auf Neuere übertragen werden. Von der Sanierung der Asse werden sie
befreit.
Kann die Bundesregierung trotz ihrer verfehlten Haushaltspolitik,
die Reiche und Vermögende schont und ArbeitnehmerInnen und HartzIV-EmpfängerInnen
mit ihrem Sparpaket schröpft, wenigstens darauf hoffen, ihren finanzpolitischen
Notstand dank Atomdeal einzudämmen und die Schuldenbremse einzuhalten?
Auch hier ziehen die Energiekonzerne nicht mit. Sie werden die Brennelemente-
steuer als Betriebsausgaben absetzen. Dadurch würde
es zu Ausfällen bei der Körperschafts- und Gewerbesteuer im Umfang
von rund 700 Millionen Euro kommen. Das trifft insbesondere die ohnehin
klammen Kommunen.
Darüber hinaus rechnen die kommunalen Versorger mangels Auslastung ihrer Kraftwerke mit Einnahmeausfällen von 4,5 Milliarden Euro und verlangen Ausgleichs- zahlungen vom Bund. Damit nicht genug: Viele der 800 kommunalen Stadtwerke, die sich auf den rot-grünen Atomkonsens verlassen hatten, sehen ihre Investitionen von über 12 Milliarden Euro in Frage gestellt. Bis 2030 sei so viel Erzeugungskapazität vorhanden, dass es keine neuen Bauvorhaben geben werde. Berücksichtigt man die weiter ungeklärte Frage der Endlagerung und die Kosten, die durch die erneute Spaltung unserer Gesellschaft in Atomgegner und -anhänger entstehen, so könnte sich Merkels energie- und haushaltspolitischer Befreiungsschlag als Milchmädchenrechnung erweisen. Die Brennelementesteuer muss kommen – aber ohne eine Ver- längerung der Restlaufzeiten. Vom Energiekonzept sollte sich die Bundesregierung verabschieden.