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Statt diskriminierender Gutscheine für Kinder, Hartz-IV-Armut und "Armut trotz Arbeit":

500 Euro Eckregelsatz und 10 Euro lohnsteuerfreier Mindestlohn!

Im Folgenden dokumentieren wir das Anschreiben des Aktionsbündnisses Sozialproteste (ABSP) an die Arbeits- und Sozial-
ministerin von der Leyen:

Sehr geehrte Frau Dr. von der Leyen,

es gibt eine breite Ablehnung gegen Ihre Idee, Kinder von Hartz-IV-Empfängern durch Gutscheine oder eine sogenannte Bildungs-
card statt durch mehr Bargeld für die betroffenen Familien am kulturellen Leben und an Bildung beteiligen zu wollen. Die Ablehnung Ihrer als diskriminierend bezeichneten Pläne wird von einer breiten Front von Organisationen, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Volkssolidarität über den Sozialverband Deutschland und den Deutschen Gewerkschaftsbund bis hin zur bayrischen Sozialministerin Frau Haderthauer von der CSU geteilt. Warum nehmen Sie von Ihren Plänen nicht endlich Abstand? Warum quälen Sie Kinder und ihre Familien im Hartz-IV-Bezug mit dieser Idee?

Es geht um den Eckregelsatz

Um Diskriminierungen für Erwerbslose und ihre Kinder nicht noch über das heute erreichte Ausmaß zu steigern, ist es notwendig, ohne Umwege die finanzielle Basis im Hartz-IV-System zu verbessern. Es war zwar wichtig, dass im Jahr 2009 gezielt das Defizit beim Bedarf von Schulkindern zwischen 6 und 13 Jahren beseitigt wurde. Mit aktuell 251 statt 215 Euro, 36 Euro im Monat mehr, also 432 Euro im Jahr mehr, hatte die Große Koalition die Streichung des Wachstumsbedarfs von 7- bis 13-Jährigen, die die rot-grüne Regierung im Jahr 2005 vorgenommen hatte, großenteils wieder rückgängig gemacht. Hierfür hatte sich die Bündnis-
plattform der Erwerbslosenbewegung für die Rücknahme der Kürzungen bei Schulkindern (ehemalige Kampagnenseite: www.kinderarmut-durch-hartz4.de) eingesetzt. Nun muss noch die Streichung des Wachstumsbedarfs von Jugendlichen zurück genommen werden. Sie müssen aufgrund ihres erhöhten Bedarfs nicht wie erwachsene Haushaltsangehörige 80 Prozent des Eckregelsatzes bekommen, sondern 90 Prozent. Entsprechend war auch im Bundessozialhilfegesetz für Jugendliche ein höherer Bedarf anerkannt.

Genauso dringlich muss aber der Hartz-IV-Eckregelsatz als Dreh- und Angelpunkt der sozialpolitischen Unterstützungsleistungen angehoben werden. Ich fordere Sie auf, von der Methode der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) Abstand zu nehmen. Dass Sie auf die Idee verfallen, mit Gutscheinen abzuhelfen, weil die Kinderregelsätze auffallend zu niedrig sind, zeigt, dass der Eckregelsatz nicht im entferntesten bedarfsdeckend sein kann, wenn er durch die EVS-Methode berechnet wird.

Die EVS-Methode verschärft Armut, ausgehend von der im unteren Einkommensfünftel der Bevölkerung gemessenen Armut, weiter. Aus der Zeit bis 1990, als noch tatsächliche Bedarfe von Menschen verschiedener Altersstufen mit einer Warenkorbmethode bestimmt wurden, weiß man, dass der Bedarf von Kindern in Geldwert prozentual abhängig vom Bedarf eines alleinstehenden Erwachsenen, dem sogenannten Eckregelsatz, berechnet werden kann. Die Gesamtbedarfe, gemessen in Prozent des Eckregelsatzes, unterscheiden sich für verschiedene Altersstufen der Kinder und finden sich glücklicherweise immer noch im Hartz-IV-Regelsatzsystem wieder:

- Kinder von 0 bis 5 Jahren: 60 Prozent,

- Schulkinder von 6 bis 13 Jahren: 70 Prozent,

- Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren: 80 Prozent (wie erwähnt müssten sie aufgrund ihres Wachstumsbedarfs 90 Prozent bekommen, wie vor 2005)

Eine Anhebung des Eckregelsatzes ist alternativlos

Durch eine finanzielle Besserstellung alleine von Kindern und Jugendlichen würde in den Familien eine Schieflage entstehen, denn Eltern würden unverändert unter dem Mangelzustand des zu niedrigen Hartz-IV-Eckregelsatzes leiden. Mit der Idee von Gutscheinen für Extraleistungen für Kinder geht aber nicht nur unvermeidlich eine Diskriminierung der Kinder einher. Gleichzeitig erfahren die Eltern eine Kränkung, indem ihnen unterstellt wird, den Kindern das ihnen zuerkannte Geld nicht zukommen zu lassen. (Die verbreitete Unterstellung, Flachbildschirme zu kaufen etc.) Kehren Sie zu einer Sozialpolitik zurück, die sich am Bedarf orientiert und nur durch die Warenkorbmethode überhaupt möglich ist: Alleine für gesunde Ernährung muss der Eckregelsatz um 80 Euro monatlich angehoben werden, wie Untersuchungen des Dortmunder Forschungsinstituts für Kinderernährung zeigen.

Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, hat ein breites Bündnis von gewerkschaftlichen und nicht-gewerkschaftlichen Erwerbslosenorganisationen und weitere für den kommenden 10. Oktober unter dem Motto "Krach schlagen statt Kohldampf schieben" zur Demonstration in Oldenburg (Niedersachsen) aufgerufen. Weiterhin muss der Eckregelsatz aufgrund des anzuerkennenden Bedarfs für Mobilität, Kommunikation, Freizeit, Strom usw. um noch einmal 80 Euro angehoben werden, wie der Paritätische in seinen Untersuchungen seit mehreren Jahren nachgewiesen hat.

Wenn der Hartz-IV-Eckregelsatz auf 500 Euro angehoben wird, dann bekommen Kinder von 0 bis 5 Jahren 300 statt 215 Euro, Schulkinder von 6 bis 13 Jahren 350 statt 251 Euro und Jugendliche von 14 bis 17 Jahren 400 bzw. bei von 80 auf 90 Prozent korrigiertem Regelsatzanteil 450 statt 287 Euro Regelsatz.

Heben Sie den Hartz-IV-Eckregelsatz, der maßgeblich für die Unterstützungsleistung für Kinder wie für Erwachsene gleichermaßen ist, von 359 auf mindestens 500 Euro an!

Für 10 Euro lohnsteuerfreien Mindestlohn

Vermutlich wollen Sie die Anhebung des Eckregelsatzes vermeiden, weil dann auch das Lohnniveau in Deutschland steigen würde. Ein Ansteigen des Lohnniveaus in Deutschland wäre aber ausdrücklich zu begrüßen, nicht nur aus dem Interesse an einem Arbeitsmarkt mit Arbeitsplätzen, von deren ausgezahlten Löhnen man leben kann, sondern auch, um dem gegenzusteuern, dass Deutschland EU-weit das Lohndumping vorantreibt: Angesichts eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,86 Euro in Frankreich und einer um 10 Prozent höheren Arbeitsproduktivität in Deutschland als in Frankreich muss in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 10 Euro eingeführt werden. So wird dem gegengesteuert, dass Deutschland europaweit das Lohndumping befeuert. Ein gesetzlicher Mindestlohn, der lohnsteuerfrei gestellt wird, würde sicherstellen, dass auch bei einem Hartz-IV-Eckregelsatz von 500 Euro ein Alleinstehender aufgrund der Deckung seines Bedarfs keinen Anspruch mehr auf unterstützende Leistungen vom Amt hätte. Mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche hätte er ein mindestes Netto-Einkommen von 1.300 Euro.

Ich fordere Sie auf:

- Ziehen Sie Ihre Gutschein-Pläne zurück!

- Heben Sie den Hartz-IV-Eckregelsatz sofort auf 500 Euro, sodass der Mangel, der derzeit im gesamten Hartz-IV-System herrscht, für Kinder und Erwachsene gemildert wird!

- Korrigieren Sie den Regelsatz für Jugendliche von 80 auf 90 Prozent vom Eckregelsatz!

- Setzen Sie sich darüber hinaus für die Verbesserung und Subvention der bildungspolitischen Infrastruktur ein.

- Führen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro ein und setzen Sie sich für einen Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer von 20.000 Euro pro Jahr ein, damit wenigstens ein alleinstehender Vollzeit Erwerbstätiger im Allgemeinen nicht mehr auf unterstützende Leistungen angewiesen ist.

Auf diese Weise würden Sie als Arbeitsministerin das Einkommen für viele Millionen Menschen deutlich anheben.
Ich hoffe, dass Sie meine Empfehlungen umsetzen werden und freue mich auf Ihre Rückmeldung.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfram Altekrüger, Martina Dietze, Thomas Elstner, Egbert Holle, Teimour Khosravi, Roland Klautke, Michael Maurer, Tommi Sander, Edgar Schu, Eva Stilz, Oliver Vetter, Dieter Weider, Helmut Woda für das Aktionsbündnis Sozialproteste

(Quelle: www.die-soziale-bewegung.de)