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Kommentar:
Die Zukunftsverweigerer

Ein gruseliges Bild: Adrette junge Menschen, das Haar sorgfältig gescheitelt und bei den Frauen straff nach hinten zum Pferde-
schwanz gebunden, einheitliches Grau, die Herren im Anzug mit Binder, die Frauen im Kostüm mit Bluse, halten Schilder hoch: „Für Stuttgart 21“. Vorne am Rednerpult steht die Kanzlerin und verkündet: „Multikulti ist gescheitert.“ Soll heißen, nachdem wir 30 Jahre nicht akzeptieren wollten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, machen wir die türkischen Arbeiter und ihre Nachkommen nun für alle sozialen Spannungen und Missstände in der Gesellschaft verantwortlich. Wir können jungen Menschen zwar nicht genug Lehrer bieten, stecken sie in verwahrloste Schulen, haben keine Lehrstellen für sie, behandeln sie in ihrem Geburtsland wie unerwünschte Ausländer, aber wenn sie sich dann frustriert unter Ihresgleichen einigeln, dann sind sie „Integrationsverweigerer“.

Was das mit Stuttgart 21 zu tun hat? Die Verbindung stellt die Junge Union, die ihren „Deutschlandtag“ zu einer Demonstration für das schwäbische Milliardengrab machte und der merkelschen Kampfansage an die Einwanderer Beifall klatschte. Und irgendwie haben sie ja auch recht, die Themen gehören tatsächlich zusammen. Die Union macht nämlich keine halben Sachen mehr, sondern sie will sich der Zukunft voll und ganz verweigern. Sie will eine ganze Landeshauptstadt zum Schaden von Bahn und Steuerzahlern und zum Wohle von Baukonzernen und Immobilienwirtschaft umgraben, sie will die AKW-Laufzeiten verlängern, sie wettert gegen den Ausbau von Sonne und Wind, und sie will mit ihrer Hetze gegen Einwanderer deren Integration verhindern, um die sozialen Konflikte zu ethnisieren, statt sie zu lösen. Das nennt man wohl Zukunftsverweigerung. Gegen alle Vernunft werden die Gewinne der großen Stromkonzerne verteidigt, die künftige Energieversorgung gefährdet und zugleich das gesellschaftliche Klima immer weiter vergiftet. Zum Glück merken inzwischen sehr viele Menschen, woher der Wind weht. In Stuttgart und anderswo. Im Wendland wird es Anfang November die seit langem größten Proteste geben. Hoffen wir, dass in den nächsten Monaten, die verschiedenen Bewegungen zueinander finden. Und beim Nachbarn ist ja gerade auch jede Menge los. Vielleicht wird also gar ein deutsch-französisches Feuerchen aus all dem.

wop