Diskussion

Haller geht, Moser will bleiben

Am 28.1. tagte der schleswig-holsteinische Landtag letztmalig vor der Neuwahl am 27.2. Zu den Abgeordneten, die sich nicht erneut um einen Platz am Diätentopf bewerben, zählt Klaus Haller. - "Wer's'n das?", mag manche/r fragen. Peter Höver, Landtagsspezi in der Redaktion der "Kieler Nachrichten", sagt es so: "Zu den Abgeordneten der leisen Töne, die hinter den Kulissen umso konstruktiver Politik machten, gehört der CDU-Mann Klaus Haller. (...) Als Innenpolitiker stand Haller stets für einen liberalen Kurs seiner Fraktion." Liberal, ja, auf gut deutsch vielleicht: freiheitlich, wie man in Österreich sagen würde, net woar? Denn Höver gibt ein passendes Beispiel für Hallers liberale Einstellung und Politik, die auch die verfassungsmäßigen Grundrechte liberalisieren half: "Mit der damaligen SPD-Sozialpolitikerin Heide Moser bereitete Haller 1992 den Weg für einen Kompromiss im Asylstreit." So wirksam kann man sein, auch wenn man nicht offiziell mitregieren darf.

Bloß Pöstchen gibt es dann dafür nicht, jedenfalls nicht vor den Kulissen; Heide Moser hingegen wurde zum Dank Sozialministerin. (Eine Funktion, in der sie von den menschenverachtenden Zuständen in schleswig-holsteinischen Pflegeheimen wirklich nicht rechtzeitig Kenntnis haben konnte, zu schweigen davon, dass sie dafür eventuell Verantwortung zu tragen habe.) Solchermaßen qualifiziert möchte und wird sie wohl auch dem nächsten Landtag angehören und Ministerin bleiben. - Lebendige Demokratie ...

Nicht mosern, Rentner!

Zwischen der letzten Sitzung der zu Ende gehenden und der ersten der kommenden Legislaturperiode macht Heide Moser klar, warum sie wieder mitmachen muss. Auch alte Menschen sollen sie unbedingt wählen. Deshalb nahm sie am 9.2. an einer Veranstaltung der SPD-Senioren ("AG 60 plus") in Kiel teil. Schlimm: Die Menschen werden immer älter, und so müssen immer weniger Junge die Renten von immer mehr Älteren finanzieren. Die KN berichten: "Für Sozialministerin Heide Moser (SPD) muss man aus diesen Zahlen zwei Schlussfolgerungen ziehen: die Renten auf eine Grundsicherung absenken. Und, damit wir" - da steht tatsächlich wir, als ob Frau Moser wie wir betroffen wäre! - "im Alter nicht nur das Nötigste bekommen, sondern unseren Lebensstandard halten können, eine zwangsweise obligatorische private Versicherung. 'Denn viele junge Leute sind ohne Zwang nicht bereit, für ihre Alterssicherung zu zahlen.'" Im übrigen sei die beste Rentenpolitik die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit. Dazu gleich mehr. Festgehalten sei zunächst, dass Heide Moser hier einen - es ist nicht der einzige - Bereich genannt hat, in dem wir zukünftig eventuell bei der Lohnsteuer eingesparte Beträge gleich wieder ausgeben müssen.

Irgendwie sind wir aber selber Schuld. Wir hätten es in unserer sozialen Demokratie ja auch zu etwas bringen können. Klaus Esser zum Beispiel, dessen Versuch, Mannesmann vor der Übernahme durch Vodafone zu bewahren, fehlgeschlagen ist und der nun die Unternehmensspitze räumt, erhält als Ausgleich 60 Mio. DM.

Reform-Steuer

Ebenfalls am 9.2. hat die Bundesregierung verkündet, die von ihr geplante Steuerreform sei auch ein Schritt zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Ursprünglich war eine Entlastung der Großunternehmen um 8 Mrd. DM geplant, "zunächst nicht vorgesehen". Und einfach nicht gleich bemerkt haben Mosers Bonner KollegInnen, die ihr an sozialer Verantwortung in nichts nachstehen, dass die Steuerfreistellung von Beteiligungsveräußerungen nochmals eine Entlastung der Unternehmen (und Belastung des Haushalts durch Mindereinnahmen) um weitere 4,2 Mrd. DM bedeutet. - Nicht die gesamte Bürgerpresse schluckt dies so wohlwollend wie die KN. In der "Frankfurter Rundschau" (FR) vom 10.2. kommentiert Hilmar Höhn: "Die vom Kabinett Schröder aufgemachte Rechnung, die Steuerentlastung der Großunternehmen bringe mehr als nur Schwung in die Wirtschaft, sondern schaffe obendrein Arbeitsplätze, ist durch nichts bewiesen. Sie basiert auf dem Prinzip Hoffnung. Nicht einmal ein billiges Versprechen der Wirtschaft liegt vor, im so beförderten Aufschwung am Abbau der Arbeitslosigkeit mitzutun." Als Basis der Politik von SPD und Grünen das "Prinzip Hoffnung" zu nennen, erscheint mir allerdings als allzu wohlwollende Unterstellung. Nicht widersprechen möchte ich Hilmar Höhn bei seiner Feststellung: "Das Lob von Industriepräsident Hans-Olaf Henkel für die rot-grüne Regierung ist verräterisch. Diese Steuerreform bringt ihn und sein Gefolge ihrem Ziel einen Schritt näher: dem Umbau des Standorts Deutschland zu Gunsten des Kapitals."

Vielleicht wird eine neue SPD-Regierung in Schleswig-Holstein sich ja dafür stark machen, dass - im Interesse der Länderkassen - die Erlöse aus Beteiligungsverkäufen nicht gänzlich steuerfrei gestellt werden. An der Bewertung würde das nichts ändern. Heide Simonis tröstet schon mal vorsorglich mit der Bemerkung, auch bei einer 20%igen Besteuerung hätten "Großunternehmen und Börsianer allen Grund zum Jubeln", und das wollen wir doch vor allen Dingen. - Auch die Grünen haben sich nach den Worten des Kieler Bundestagsabgeordneten Klaus Müller, der grundsätzliche Kritik an dem Vorhaben strikt zurückweist, schon auf eine solchermaßen modifizierte Steuerreform eingestellt. Die Bundesländer müssten entlastet werden. "Und genau hier", so wissen die KN zu berichten, "sehen die Grünen die Chance, dem Reformvorhaben stärker als bisher den eigenen Stempel aufzudrücken. Denn um die Gegenfinanzierung auf eine solidere Basis zu stellen, müssen nach Überzeugung Müllers auch die Arbeitnehmer herangezogen werden." Klausi weiß eben, wo das Geld zu holen ist. Und wir wissen, warum auch die Grünen wieder mitregieren müssen.

Die Unternehmer brauchen mehr Geld ...

Darauf scheinen sich alle verantwortungstragenden PolitikerInnen verständigt zu haben. Weil, wenn's ihnen gut geht, dann schaffen sie Arbeitsplätze. So wie bei MaK in Kiel? Nein, da sollen demnächst 200 Arbeitsplätze wegfallen. Man könnte das als Beispiel dafür nehmen, dass eine gefüllte Kasse bei Unternehmen (nicht umsonst gern "Kriegskasse" genannt) eben nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern zu Rationalisierungsinvestitionen (Produktionssteigerung trotz Stellenabbau) und zur Vorbereitung auf verschärften Konkurrenzkampf dient. Könnte man, muss man aber offenbar nicht ... Wenn dann ein Betriebsrat im Fernsehen beklagt, dass "man" bei einem solchen Verzicht auf das Know-how eines Teils einer hochqualifizierten Belegschaft auf lange Sicht "verlieren" werde, könnte einem das und der damit angedeutete Vorwurf der Unvernunft an die Geschäftsleitung als reichlich hilflos vorkommen. Geht mir jedenfalls so. Wobei ich nicht ausschließen will, dass in den Medien einiges an Reaktionen unterschlagen wird.

Einfluss, heilsam und positiv

Heide Simonis möchte davon profitieren, dass die Bundesregierung Ansehen in ausschlaggebenden Bevölkerungskreisen genießt. Bei den Unternehmern z.B. Nicht, dass es aus deren Reihen keine Kritik gäbe. Aber nachdem Bundeswirtschaftsminister Werner (Klausi ist noch nicht soweit) Müller auf der 50-Jahr-Feier der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) für die Zukunft mehr "Zielgenauigkeit" bei den sozialen Sicherungssystemen, "Entlastung von Steuern und Abgaben" bei gleichzeitiger "Reduktion der Ansprüche an den Staat" sowie "mehr Flexibilität bei Tarifverträgen" gefordert und als Vorhaben der Schröder-Regierung gekennzeichnet hat, dürfte auch BDA-Präsident Hundt eine weitgehende Übereinstimmung mit seinen eigenen Vorstellungen registriert haben. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, wiederum freut sich: "Das Schöne ist, dass wir nun Kämmerer und Finanzminister als Arbeitgeber mit im Boot haben, die sich früher medienwirksam hinter die Gewerkschaften stellten", sagte er in einem Rückblick auf das Jahr 1999 in der FR. Henkel ärgert sich darüber, dass "Reformen immer nur mit Zustimmung der Gewerkschaften gemacht werden können" - er muss hier ein Potential des Widerstandes fürchten, von dem z.Z. nicht viel zu spüren ist -, weiß aber z.B. auch dies: "Rot-Grün wäre am besten in der Lage, einen heilsamen Einfluss auf die IG Metall auszuüben." Solange man eben noch Rücksichten nehmen muss; man sollte nicht darauf vertrauen, dass das ewig der Fall bleiben muss. - Na, das wird Heide Simonis doch gerne hören!

Dass Schleswig-Holstein in der Beherzigung von Unternehmerforderungen nicht hintenan steht, wird bereits lobend hervorgehoben. In der "Wirtschaftswoche" 7/2000 etwa heißt es: "Die Regierung habe mit 'viel Drive zur Erneuerung des Landes beigetragen', sagt Hans-Georg Carstens, Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Flensburg und derzeit Chef der IHK-Vereinigung Schleswig-Holstein. Simonis sei 'offen für die Belange der Wirtschaft', lobt auch Motorola-Geschäftsführer Bent Andersen. Bei der nur mit Ausnahmegenehmigung möglichen Einführung eines Dreischichtbetriebes an sieben Tagen der Woche sei der positive Einfluss der Regierung auf die Gewerkschaften hilfreich gewesen."

SPD und CDU - eine Soße?

Oder doch zwei Soßen? Na, Unterschiede gibt's ja schon. Und irgendwie möchten die meisten Unternehmer auch in S.-H. gern wieder eine CDU-Regierung, und Rühe hätte ja auch Chancen, wenn bloß der Spendenskandal nicht wäre. "Allerdings", so bemängelt die "Wirtschaftswoche", "ist auch Simonis-Herausforderer Rühe nicht gerade ein ausgewiesener Wirtschaftspolitiker - und in seiner Mannschaft gibt es wenig wirtschaftspolitischen Sachverstand. CDU-Fraktionschef Martin Kayenburg, der bei einem Regierungswechsel für das Wirtschaftsressort vorgesehen ist, gilt als fleißig, aber ideenlos. Für das Finanzministerium konnte Rühe bisher noch nicht einmal einen Schattenminister präsentieren." (10.2.)

Heide Simonis wiederum äußerte sich bereits in der "Zeit" am 18.11.99 folgendermaßen: "ZEIT: Über Niedriglohnmodelle und Rentenabschläge debattiert (nicht nur die SPD, sondern) auch die CDU. Was hat die SPD anderen in der Sozialdebatte voraus? - SIMONIS: Letztlich geht es um die Grundeinstellung zum Sozialstaat. Im Detail bin ich mit vielen Kollegen von der Union einig, dass wir die Leistungsstarken nicht zu sehr belasten dürfen und bei der Vergabe von Sozialleistungen genauer darauf achten müssen, wer wirklich Unterstützung braucht. Nur höre ich bei Unionspolitikern oft eine Vorwurfshaltung heraus, die sie bei der SPD nicht finden werden."

Ist doch toll. Wenn dir als Arbeitsloser von der SPD etwas genommen wird, wird dir wenigstens nicht auch noch vorgeworfen, du seist an deiner Lage selber Schuld. Deshalb wählen diesmal alle Arbeitslosen SPD!

Ru(e)he da hinten!

Solchermaßen schwer unter Beschuss, befindet Volker Rühe dennoch: "Wenn es um die Frage geht, wer dieses Land besser regieren soll, haben wir recht gute Chancen für eine Mehrheit mit der FDP." (KN,12.2.) "Wenn hingegen über den CDU-Spendenskandal abgestimmt wird, sind die Chancen für uns schlecht."

Armer Kerl. Kein Mensch, der halbwegs bei Trost ist, glaubt ihm, dass er als ehemaliger Generalsekretär der mafiösen Partei nichts von deren Finanzgebaren gewusst habe. Da hilft ihm auch seine unzweideutige Haltung gegenüber dem hessischen Lügner Roland Koch nichts ("Rühe warnte davor, menschliche Fehler überzubewerten" - NDR 4, 11.2.). Wenn es doch bloß wieder um Inhalte ginge, würde er es den Sozis schon zeigen. Schließlich hat er Erfahrung darin, wie man Sozialdemokraten vor sich hertreibt, bis sie früher als "Grundwerte" bezeichnete Bestandteile eigener Politik oder zumindest eigener Deklarationen über Bord werfen. Schon vergessen? - dass die SPD im Wahlkampf nicht davon spricht, sondern Rühe noch als harten, kompetenten, ernstzunehmenden usw. Gegner angenommen hat, verwundert nicht. Ärgerlicher ist, dass auch sonst kaum jemand darüber redet: Volker Rühe ist, neben allem anderen, was sich gegen ihn sagen ließe, ein rassistischer Schreibtischtäter.

Nach den faschistischen Gewalttaten in Hoyerswerda schrieb Detlef Hensche in der IG-Medien-Zeitung "Forum" (Oktober 1991): "Die Schreibtischtäter sitzen andernorts. Nun geht die Saat der unseligen Asyl-Debatte auf, die einige Politiker vor Jahren angezettelt haben und die einige Zeitungen (...) zusätzlich anheizen. (...) Heute ist es eine vornehme Pflicht der Bundesrepublik, anderen Asyl zu gewähren. Die Verfassung darf daher nicht angetastet werden." Es blieb nicht bei Hoyerswerda, und die Verfassung wurde außer Kraft gesetzt. Zu den Politikern, von denen Hensche spricht, gehörten an vorderster Front die Generalsekretäre Erwin Huber (CSU) und Volker Rühe (CDU). Mit der geforderten Grundgesetzänderung "die brisanteste innenpolitische Frage des Jahres" zum "zentralen Wahlkampfthema" zu machen, forderte Huber im Januar '91. Rühe organisierte die bundesweite Kampagne der CDU mit einem Rundschreiben an FunktionsträgerInnen auf allen Ebenen: "Ich bitte Sie", hieß es darin, "in den Kreisverbänden, in den Gemeinde- und Stadträten, den Kreistagen und in den Länderparlamenten die Asylpolitik zum Thema zu machen und die SPD dort herauszufordern, gegenüber den Bürgern zu begründen, warum sie sich gegen eine Änderung des Grundgesetzes sperrt. (...) Mustervorlagen für die Argumentation für Resolutionen, Anträge und Anfragen sowie eine Mustererklärung füge ich diesem Schreiben bei." - "Die gesamte Kampagne, die daraufhin Deutschland überzog, sowie die begleitenden Pogrome und Anschläge bezogen ihre öffentliche Rechtfertigung aus diesem Papier", bilanzierte Reinhard Pohl in der Broschüre "Flüchtlinge" (Magazin-Verlag, Kiel). In eben dieser Traditionslinie stehen Rühes scharfer Protest gegen die Äußerungen der Bundesregierung gegenüber Österreich und seine Aufforderung an CDU und CSU, eigene außenpolitische Akzente zu setzen.

Empörung - worüber?

Solange die Empörung über die CDU eine Empörung über ihr Finanzgebaren bleibt, ist politisch nichts gewonnen. Wer sich allein auf solcher Grundlage von der Politik oder zumindest vom Wählen abwendet - die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, ist aktuellen Umfragen zufolge weiter gesunken -, bleibt empfänglich für den großen Saubermann, den neuen Führer, für rechte Rattenfänger aller Art. Auch das zeigt übrigens der Blick nach Österreich. Nicht vergessen: In Hessen wurde die CDU wegen, nicht trotz ihrer ausländerfeindlichen Kampagne gewählt. Das weiß die SPD, die dort jetzt Neuwahlen will, sehr gut - und das verheißt erstmal nichts Gutes. Die Herausforderung gilt uns, der politischen Linken. Die politische Alternative zur CDU muss auch eine Alternative zur Sozialdemokratie, muss kämpferisch antirassistisch und antikapitalistisch sein. Ein Kreuzchen bei der PDS wird da nicht reichen.

(Dietrich Lohse)