Aus dem Kieler Rat

"Zitrone zu stark ausgepresst"

WIBERA stellte erneut Gutachten vor

Die erste Präsentation des WIBERA-Gutachtens zur Kostenreduktion bei den freien sozialen Vereinen, die von der Stadt unterstützt werden, endete für den Sozialausschuss im Kieler Rat "total deprimierend" (SPD-Ratsherr Eckehard Raupach). Was die Gutachter von der Wirtschaftsberatungsfirma WIBERA da anboten, entbehrte schon dem ersten Anschein nach jeglichen Sachverstands, bot nur "pauschale Einsparmöglichkeiten" und war "enttäuschend im Hinblick auf konkrete Vorschläge und die Ermittlung von Folgekosten" (Raupach). Darüber war man sich fast bei allen Fraktionen einig - "als Handlungsgrundlage unbrauchbar." WIBERA sollte nacharbeiten und die Sache erneut vorstellen, so geschehen am 7.2. in einer gemeinsamen Sitzung von Sozial- und Jugendausschuss, zu der auch die betroffenen Träger eingeladen waren.

Kundgebung gegen WIBERA-Kürzungen am 16.9.99

Eigentlich war diese Sitzung schon für den 17.1. anberaumt, aber da wurde der erschienenen Presse vor Ort mitgeteilt, dass der Termin leider ausfallen müsse, "die beiden Sachbearbeiter" seien erkrankt. Verwunderlich genug für ein großes Wirtschaftsberatungsunternehmen, dass da offenbar nur zwei Mitarbeiter für eine Präsentation kompetent genug sind. Die dann am 7.2. Entsandten schickten allerdings gleich vorweg, dass man sie auch nicht alles fragen dürfe. "Ich war für einige Monate bei der Evaluation gar nicht dabei", gab Kai Petersen, bei WIBERA Verantwortlicher für Verwaltungsmanagementfragen, unbeirrt zu. "Wir hatten den eindeutigen Auftrag, Einsparungsmöglichkeiten aufzuzeigen, mit dem Ausgangspunkt, die Haushaltskonsolidierung besonders stark zu gewichten. Wir haben gezeigt, was maximal eingespart werden könnte. Wenn etwas als freiwillige Leistung der Stadt ausgewiesen war, haben wir es daher in jedem Fall als disponibel angesehen. Das war vielleicht etwas unglücklich. Und vielleicht haben wir die Zitrone dabei zu stark ausgepresst." Für die zu fällenden Entscheidungen und ihre möglichen Folgen könne man aber nicht WIBERA verantwortlich machen, das sei Sache der Politik, verteidigte sich Petersen vor einem angesichts der erneuten Mangelhaftigkeit der Ausführungen in frustriertes Schweigen versunkenen Ausschuss.

Auch im Folgenden betrieb WIBERA die Demontage des eigenen Gutachtens konsequent, wenn auch unfreiwillig. Ein Herr Poppelreuter glänzte mit nichts oder nur Allgemeinplätze sagenden Overhead-Folien statt mit Sachverstand. Es gebe "eine Diskrepanz zwischen Erwartungen und dem, was ein Gutachten bei so knappen Zeitvorgaben und einem knappen Budget leisten kann", schickte er voraus. Überhaupt seien "diese sozialen Vereine ja eine schwer durchschaubare Materie für jemanden, der sich darin nicht auskennt". So hatte WIBERA auch diesmal nichts zu bieten als Vergleichsgrafiken auf niederstem Focus-Niveau. Ein Balkendiagramm zeigte z.B. die Ausgaben verschiedener Städte für Jugend- und Familienbildung. O-Ton Poppelreuter: "Sie sehen, Kiel liegt da am höchsten, wenn auch alle ziemlich gleich hoch liegen. Nur Halle ist da viel niedriger, aber das ist auf dieser Folie jetzt gerade nicht drauf." Viel deutlicher werde, dass "Kiel da relativ hoch liegt", bei der Erziehungsberatung. Die zugehörige Folie könne man aber jetzt nicht zeigen, sie werde "gerade noch erstellt".

Ein weiteres Beispiel bewies, dass WIBERA es bei der Evalaution an jeglicher Gründlichkeit hat mangeln lassen und willkürlich Einsparungen festgesetzt hatte. Beim "Notruf für Mädchen und Frauen e.V." hatte WIBERA im ersten Entwurf ein Einsparpotential von 180.000 DM gesehen. Da man die Stellungnahme des Vereins "erst jetzt einarbeiten" konnte, sei man aber "inzwischen zu einer anderen Bewertung gekommen: Im Hinblick auf den Modellcharakter dieses Projekts und der besonders schwierigen Situation von vergewaltigten Frauen sehen wir in der überarbeiteten Fassung des Gutachtens hier kein Einsparpotential mehr. Sie sehen, wir sind lernfähig und diskussionsbereit." Auch bei den Suchthilfeprojekten würden "die Nacharbeiten am Gutachten darauf hinauslaufen, dass sich das pauschale Einsparpotential relativieren wird". Auf eine Zwischenfrage, wie man denn überhaupt die Höhe der Einsparpotentiale ermittelt habe, antwortete Poppelreuter nur: "Da gibt es keine Patentrezepte. Aber ich gebe zu, die Tiefenschärfe ist bei unserem Gutachten nicht immer optimal."

Auch beim Verein IHRISS (Beratung von Frauen mit und ohne Psychiatrie-Erfahrungen) hatte WIBERA komplette Einstellung der städtischen Zuwendungen (100.000 DM) vorgeschlagen. Eine Mitarbeiterin von IHRISS wies in ihrer Stellungnahme WIBERA frapante Verfahrensfehler nach. Willkürlich sei aus einem veralteten Rechenschaftsbericht von IHRISS die Zahl von 650 Beratungsgesprächen herausgenommen, die übrigen Angebote seien überhaupt nicht berücksichtigt worden. Eine Folgekostenabschätzung lieferte die IHRISS-Mitarbeiterein gleich mit. "Unsere Nutzerinnen würden bei Wegfall des Angebots Folgekosten von dann notwenidger psychiatrischer Behandlung bis hin zu Frühverrentung erzeugen. Für die 100.000 DM, die wir von der Stadt erhalten, können gerade mal 2-3 Frauen stationär in einer Klinik behandelt werden." WIBERA gelobte auch in diesem Fall "Nacharbeit", die "aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen wird, dass wir auch hier kein Einsparpotential mehr sehen".

Beim "donna klara e.V." (psychosoziale Beratung von lesbischen Frauen) hingegen blieb Poppelreuter hart: "Ein derart ausdifferenziertes Beratungsangebot ist nicht zwingend. Man kann nicht für jede Randgruppe und Minderheit Angebote vorhalten und nicht alle Probleme und Defizite (!) behandeln." Auf den Hinweis der donna klara-Mitarbeiterin, dass donna klara im Workshop zur Evaluation gar kein Gehör gefunden habe, zeigte sich Poppelreuter erstaunt und bewies erneut die arrogante und sexistische Denkungsart, die hinter dem Gutachten steht: "Den Workshop hat damals unsere Frau Wolter gemacht. Die haben wir doch extra in unser Team aufgenommen, um uns nicht dem Vorwurf auszusetzen, das Projektteam sei rein männerdominiert."

Nicht nur die Willkür, Pauschalität und Undurchsichtigkeit der vorgeschlagenen Einsparungen (über die Hälfte des Einsparbetrages resultiert aus Pauschalen) hatte der Auftraggeber des Gutachtens, die Stadt, bemängelt. Im Gutachten fehlen Folgekostenabschätzungen völlig. Ratsherr Raupach wies geflissentlich darauf hin, dass diese Folgenabschätzung auch Teil des Auftrags gewesen sei. WIBERA will "da nacharbeiten", jedoch könne "vieles nur durch langjährige Studien ermittelt werden". Vor allem aber werde man ausführliche Begründungen für die Einsparpotentiale nachreichen. Auch das war freilich schon Bestandteil des Auftrags gewesen.

In Sachen WIBERA-Gutachten steht also noch mindestens eine weitere Runde an. Die Firma WIBERA wird sich einstweilen allerdings gefallen lassen müssen, dass man ihren Namen mit "Willkür beschränkter Rationalisierer" übersetzt. Für die Betroffenen ist es sicher ein Gewinn, dass das Gutachten für jede und jeden offensichtlich weder Hand noch Fuß hat. Dennoch: An dem Wunsch des Kaputtsparens hält die Stadt fest. Dass das mit diesem Gutachten - wahrscheinlich auch nach der x-ten Überarbeitung - nicht zu bewerkstelligen ist, ist für die sozialen Vereine allenfalls ein Etappensieg.

(jm)