Aus dem Kieler Rat

"Keine Tabuisierungen"

SPD-Ratsfraktion hält WIBERA-Gutachten für "notwendig und überfällig"

Die vorläufigen Ergebnisse des WIBERA-Gutachtens zur städtischen Sozialpolitik zeigen nach Auffassung des Vorsitzenden der Kieler SPD-Fraktion, Jürgen Fenske, "die Notwendigkeit, auch den sozialpolitischen Bereich zu durchleuchten. Das Gutachten ist eine Inventur, und die ist immer nach einiger Zeit notwendig und nützlich."

Auch wenn zunächst die Stellungnahmen der Verbände und Einrichtungen sowie des Sozialdezernats abzuwarten seien, sei schon heute offen kundig, dass insbesondere das bisherige Zuwendungsverfahren "dringend modernisiert" werden müsse. Fenske: "Das Gutachten bestätigt unsere Forderung, die Planungssicherheit für die Träger sozialer Dienstleistungen durch längerfristige Ziel- und Leistungsvereinbarungen zu erhöhen und ein umfassendes Sozialcontroling einzuführen." Die "Modernisierung", die Fenske mit diesen verschleiernden und zwischen den Zeilen doch sehr deutlichen Worten meint, heißt natürlich: Rationalisieren und weg Sparen, wo Rationalisierung nicht möglich erscheint. Genau zu diesem Zweck hat die SPD das Gutachten anfertigen lassen. Es sei dabei noch einmal in Erinnerung gerufen, dass die WIBERA, eine Wirtschaftsberatungsgesellschaft, das Gutachten besonders im Hinblick auf die "Wirtschaftlichkeit" der sozialen Dienstleister angefertigt hat. Die soziale "Effektivität", sprich die Bedeutung für die Nutznießer dieser Leistungen, wurde dabei weitgehend außer Acht gelassen.

Über die künftige Förderung der Verbände und Einrichtungen, so drohte Fenske mit dem Gutachten im Rücken, sei nach Vorlage aller Stellungnahmen zu entscheiden. Die SPD-Fraktion werde dazu eine öffentliche Veranstaltung durch führen und mit allen Beteiligten diskutieren. "Ich möchte eine offensive Debatte zur Sozialpolitik", sagte Fenske. Unter Offensivität versteht er dabei die Frage, "wie erreichen die öffentlichen Leistungen die Bürger, die auf die kommunale Solidarität angewiesen sind und wie können einkommensstärkere Bürger ihren Beitrag für bisher kostenlose Leistungsangebote der Stadt leisten? Ich möchte eine Qualitätssteigerung in der Sozialpolitik. Die Qualität von Sozialpolitik bemisst sich allerdings nicht an der Höhe des Sozialhaushaltes, sondern daran, ob die Mittel für die Bürger, die darauf angewiesen sind, reichen. Es ist z.B. nicht einzusehen, dass jeder unabhängig von seinem Einkommen kostenlos die kommunale Erziehungsberatung konsultieren kann, während in Mettenhof das Geld für ein dringend notwendiges soziales street-worker-Programm fehlt."

Fenske schürt hier deutlich populistisch Sozialneid. Von der Aufgabe staatlicher Organe für eine soziale Grundversorgung hat er offenbar noch nie etwas gehört. Und dass man eine Umverteilung zwischen Einkommensstarken und -schwachen eher durch eine gerechte Steuerpolitik erreicht, denn durch die Ausdünnung sozialer Angebote für ausgewählte Bevölkerungsschichten, da ist die SPD in Bonn/Berlin davor. Die schenkt nicht anders als die Kohl-Koalition den Reichen, was Fenske auf kommunaler Ebene mit vordergründigem Populismus und neoliberaler Willkür wieder herein holen will.

"In welchem Umfang das von WIBERA genannte Einsparpotential realisiert werden kann", so Fenske, "werden die Debatte und die Umsetzungsvorschläge der Verwaltung zeigen". Dabei könne es "weder um sozialpolitische Kahlschläge, aber auch nicht um die Tabuisierung von Bereichen gehen, sondern um die Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses im Sozialbereich". Dass das auf Kosten derer, die am wenigsten zu verlieren haben, gehen wird, kann man sich jetzt schon ausrechnen.

Im Rat dürfte die SPD für ihren Kürzungskurs auf Basis des Gutachtens in CDU und SUK Verbündete finden. Dirk Hammerich (SUK) begrüßte das Gutachten, das in seiner endgültigen Form Ende August erscheint. Schon in ihrem Kommunalwahlprogramm habe die SUK eine bessere Koordinierung der "völlig unübersichtlichen Beratungsangebote in allen sozialen Bereichen" gefordert. Die Grünen hingegen kritisierten die vorläufige Fassung des Gutachtens. Die Fraktionsvorsitzende Edina Dickhoff sieht ein "deutliches Ungleichgewicht zu Lasten der Frauenprojekte".

Wie hahnebüchen und inkompetent zumindest die jetzige Fassung des WIBERA-Gutachtens ist, zeigte das Beispiel des Vereins "Ihriss" zur Beratung von Frauen mit psychischen Problemen. Das Gutachten sieht wie seine Adepten (etwa KN-Lokalredakteurin Uta Wilke in ihrem scharfmacherischen "Stadtgespräch" vom 5.8.) in der Beschäftigung von zwei Sozialpädagoginnen aus städtischen Mitteln bei "nur 650" geleisteten Beratungsstunden im Jahr 1997 eine schlechte Effizienz. Dass "Ihriss" nicht nur persönliche Einzelberatungen anbietet, sondern auch einen Treffpunkt für Frauen mit Psychiatrie-Erfahrung, angeleitete Selbsthilfegruppen und Rollenspielgruppen zur Einübung von Selbstsicherheit, wurde nicht erwähnt. Darauf mussten die "Ihriss"-Frauen erst selbst hinweisen.

(jm)