Internationales

Entwicklung oder Weltmarkt

Deutlicher war das Desinteresse kaum zu demonstrieren: In Bangkok diskutierten die Vereinten Nationen über die wirtschaftliche Entwicklung des ärmeren Teils der Welt und die reichen Länder schicken bestenfalls ein paar Staatssekretäre oder auch nur Beamte. Die hörten sich geduldig die Klagen der Regierungschefs aus Afrika oder Asien an und betrieben nebenbei ein bisschen Auftrags-Akquise für die heimische Industrie, wie der deutsche Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

Eine Woche lang hatten sich rund 3.000 Delegierte aus 188 Staaten zur 10. Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) getroffen. "Entwicklungsstrategien in einer zunehmend wechselseitig abhängigen Welt: Die Lehren der Vergangenheit anwenden, um aus der Globalisierung ein effizientes Instrument für die Entwicklung aller Länder und aller Menschen zu machen", lautete der offizielle Titel, doch das Interesse am Lernen von der Vergangenheit war begrenzt. Besonders einfach machte es sich die EU-Kommission in deren vorbereiteten Materialien der Titel schlicht lautet: "Globalisierung als Instrument für die Entwicklung aller Länder und aller Menschen". Alle Klagen, dass die Globalisierung eben nicht das versprochene Allheilmittel ist, überhörte man geflissentlich. Der deutsche Delegationsleiter Mosdorf brachte es sogar fertig, in seinem Statement das Wort "Entwicklung" nicht ein einziges Mal zu erwähnen.

Statt dessen hielt er ein flammendes Plädoyer für Privatisierung und ein multilaterales Investitionsschutzabkommen. Dies müsse den "freien Transfer der Kapitalerträge (garantieren) und Schutz vor direkter und indirekter Enteignung" bieten. Der Staat solle sich auch in den Entwicklungsländern auf seine "Kernaufgaben" zurückziehen, um "Märkte für privatwirtschaftliches Engagement, z.B. bei der Erzeugung von Strom oder in der Telekommunikation" zu öffnen. Auch Westdeutschland habe schließlich sein Wirtschaftswunder der 50er Jahre der Einbindung in den Weltmarkt zu verdanken. Man darf wohl davon ausgehen, dass diese gut besoldete historische Ignoranz, die einen hochentwickelten Industriestaat, der Deutschland auch 1950 schon war, mit kaum industrialisierten Volkswirtschaften vergleicht, sozusagen zielgerichtet ist. Mosdorf und seine Auftraggeber haben v.a. "privatwirtschaftliche Verantwortungsübernahme in den Entwicklungsländern" im Auge und die dürfte angesichts der Gewichtsverteilung auf eine Übernahme der noch öffentlichen Sektoren durch europäische und nordamerikanische Konzerne hinaus laufen.

Die scheinen derzeit flüssig wie nie zuvor in der Geschichte zu sein. Die Summe der grenzüberschreitenden Investitionen - die meistens eher Firmenaufkäufe sind, als Neuinvestitionen - dürfte demnächst die Schwelle von einer Billion US$ pro Jahr überschreiten und hätte sich damit innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Auf die Entwicklungsländer entfallen davon rund 20%. In den Konzernetagen v.a. diesseits des Atlantiks drängt man bereits seit einigen Jahren, diese neuen globalen Imperien durch einen multilateralen Vertrag abzusichern. Ein erster Anlauf innerhalb der OECD scheiterte im Herbst 1998, als die Verhandlungen um das MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionen) abgebrochen wurden.

In der Folge drängte v.a. die EU darauf, das MAI in neuer Form innerhalb der Welthandelsorganisation WTO wieder auferstehen zu lassen. Mosdorf machte dies in Bangkok noch einmal deutlich. Man bestehe auf einer umfassenden WTO-Verhandlungsrunde, da sonst kein "ausgewogenes Ergebnis" zu erwarten sei. Mit anderen Worten, wenn die Entwicklungsländer nicht ihren Widerstand gegen ein Investitionsschutzabkommen aufgeben, werden die Europäer an ihrer verheerenden Agrarexport-Praxis festhalten und auch keine allzu große Eile bei Gesprächen über Probleme bei der Umsetzung der bestehenden Verträge haben.

Die Kompromisslosigkeit der westlichen Industriestaaten wurde auch bei den Verhandlungen über die Abschlusserklärung in Bangkok deutlich. Erwartungen der Entwicklungsländer, einen erleichterten Marktzugang für ihre Exporte in den Industriestaaten zu finden, wurden enttäuscht. Im verabschiedeten Aktionsplan ist lediglich die Rede davon, dass die reichen Länder eine "eventuelle Verpflichtung" für zoll- und quotenfreie Einfuhr aus den 48 ärmsten Staaten "dringend in Erwägung" ziehen sollen. Auch sollen diese Erleichterungen nicht alle, sondern nur "im wesentlichen alle" Waren betreffen. Das geht weit hinter die Versprechungen zurück, die den am wenigsten entwickelten Staaten Anfang Dezember auf der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO in Seattle gemacht worden waren. Auch der deutsche Delegationsleiter hatte sich in Bangkok bereits in seiner Botschaft an die Konferenz auf diese Einschränkung zurückgezogen. Selbst die Intervention des neuseeländischen WTO-Chefs Mike Moore, der das Zugeständnis gerne eingefahren hätte, um die Akzeptanz der Liberalisierung des Welthandels zu erhöhen, konnte die Industriestaaten nicht zum Einlenken bewegen. Während man sich selbst nicht so genau festlegen wollte, war man allerdings erpicht darauf, dass sich die fortgeschritteneren Entwicklungsländer ebenfalls zu Hilfe für die Ärmsten verpflichten. Besonders die deutsche Delegation legte sich ins Zeug, um eine entsprechende Festlegung zu erreichen, vermelden die Agenturen.

Auch in anderen wichtigen Fragen konnte sich der Norden durchsetzen. Aus vielen Entwicklungsstaaten war die Forderung laut geworden, die UNCTAD sollte bei "Schaffung einer neuen internationalen Finanzarchitektur" eine wichtige Rolle spielen, um kurzfristige Kapitalströme einzudämmen. Diese hatten nämlich beim Ausbruch der asiatischen Krise eine wesentliche Rolle gespielt. Die Industriestaaten konnten im Abschlussdokument eine wesentlich schwächere Formulierung durchsetzen. Nun heißt es, dass die UNCTAD "zur Debatte über Aspekte der Stärkung und der Reform internationaler Finanzinstitutionen beitragen" soll. Mit anderen Worten, die spekulativen Kapitalströme werden nicht eingedämmt, dafür dürfen die Entwicklungsstaaten aber über die UNCTAD mit diskutieren, wie IWF und Weltbank ausgebaut werden können. Damit wurde die Position der europäischen und nordamerikanischen Regierungen bestätigt, die die UNCTAD zu einem reinen Debattierklub degradieren und alle Entscheidungen in die WTO verlagern wollen.

Selbst in der Frage der Agrarexporte, die für viele Entwicklungsstaaten von elementarer Bedeutung ist, setzten die reichen Länder sich durch. Erstere wollten einen Passus aufgenommen haben, der feststellt, dass die Exportsubventionen des Nordens für seine landwirtschaftlichen Erzeugnisse "negative Effekte für Entwicklungsländer" haben. Statt dessen heißt es in der angenommenen Erklärung abgeschwächt, "Unterstützung für die landwirtschaftliche Produktion und Exporte in den Industriestaaten kann einen (Markt) verzerrenden Effekt haben, besonders in den Entwicklungsländern". Nicht zuletzt die EU ist dafür berüchtigt, dass sie mit hochsubventionierten Zuckerexporten den Weltmarktpreis drückt oder mit Ausfuhren von Billigst-Rindfleisch traditionelle Viehzüchter in Westafrika ruiniert.

Die geringe Beachtung, die die Industriestaaten mit ihren spärlichen Regierungsdelegationen demonstrierten, spiegelte sich auch in den sonst recht regen Lobby-Gruppen der Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus dem Norden wider. Gerade 30 Vertreter aus Industriestaaten reisten nach Bangkok laut Informationen des deutschen Forums für Umwelt und Entwicklung. Der Süden war hingegen zahlreich vertreten. Auf zwei NGO-Foren im Vorfeld der offiziellen Konferenz nutzte man die Gelegenheit, seine eigenen Vorstellungen über künftige Entwicklungspolitik zu formulieren. Erwartungsgemäß kam dabei eine harsche Kritik an der aktuellen von neoliberalen Konzepten geleiteten Globalisierung heraus.

Die bisherige Liberalisierung des Weltmarktes habe für die Menschen im Süden v.a. Nachteile gebracht, heißt es in einer Deklaration der NGOs, die auf Einladung der UNCTAD tagten. Die Teilnehmer wandten sich gegen Deregulierung und Privatisierung sowie "gegen die Kommerzialisierung aller Aspekte des menschlichen Lebens". Und gegen das Primat des Handels: Die Nahrungssicherheit, die man durch die Liberalisierung bedroht sehe, gehöre zu den fundamentalen Rechten jeder Nation. Deshalb müsse alles, was die Fähigkeit der Staaten beschneiden kann, diese zu sichern, aus dem Regelwerk der Welthandelsorganisation WTO ausgegliedert werden. Mechanismen würden gebraucht, die Entwicklungsländer vor der Einfuhr billiger Nahrungsmittel schützen.

Des Weiteren wurde die vollständige Entschuldung der Entwicklungsländer gefordert und die Wiedergutmachung des durch Kolonialismus und ungleiche Wirtschaftsbeziehungen angerichteten sozialen und ökologischen Schadens. Die UNCTAD solle sich für den Stopp der Stabilisierungs- und Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank einsetzen. Gefordert wird u.a. auch die Einführung der sog. Tobin-Steuer auf Spekulationsgewinne und die Abschaffung von Steuerparadiesen.

Die Globalisierung, stellen die NGOs in einer Erklärung fest, habe die schwächeren Gruppen der Arbeiterschaft - Kinder, Migranten, Sexarbeiterinnen, Fischer, Frauen - an den Rand gedrängt. Besondere Schutzmaßnahmen über die bestehenden ILO-Abkommen hinaus seien notwendig. Andererseits dürften Arbeiterrechte nicht für die Diskriminierung im Nord-Süd-Austausch missbraucht werden, womit man sich gegen die Sozialklauseln aussprach, die sowohl Brüssel als auch Washington innerhalb der WTO durchsetzen wollen.

Unüberhörbar wurde die heilige Kuh Weltmarktintegration in Frage gestellt: "Die Kernannahme der UNCTAD, dass volle, wenn auch graduelle, Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft die Voraussetzung für Prosperität ist, muss angesichts der vielen negativen Folgen der Globalisierung in Frage gestellt werden." Von der UNCTAD werde erwartet, dass sie die Länder des Südens ermutigt, antimonopolistische Gesetze zum Schutz der heimischen Kleinunternehmer zu erlassen.

Im Gegensatz dazu, kritisierten die NGOs, zielen die Regeln für internationalen Handel und Investitionen darauf, ein "ebenes Spielfeld" für alle Teilnehmer zu schaffen. D.h. es werden gleiche Regeln für sehr ungleiche Partner eingeführt. Bisher wird der Ungleichheit nur mit der Formel "spezielle und differenzierte Behandlung" Rechnung getragen, die zumeist unverbindlich bleibt und bisher als einzige Konsequenz die Einführung künstlicher und willkürlicher Übergangsfristen hatte. Die versammelten NGOs fordern hingegen, dass die Menschenrechte zum Maßstab in den internationalen Verhandlungen gemacht werden: Orientiert werden müsse sich an der Notwendigkeit, besonders schwache Gruppen und Sektoren zu fördern und zu schützen, um weitere Diskriminierung und Marginalisierung zu vermeiden. "Mit anderen Worten, diese Maßnahmen sind nicht ein besonderer Gefallen, der den Entwicklungsländern gewährt wird, sondern fundamentaler Bestandteil ihres Rechts auf Entwicklung."

Während die NGOs v.a. bemüht waren, den Regierungen des Südens den Rücken in der Auseinandersetzung mit dem Norden zu stärken, griff das thailändische Forum der Armen, ein Zusammenschluss verschiedener Basiskomitees und sozialer Bewegungen, die die Konferenz mit täglichen Demonstrationen "begleiteten", auch die eigene Regierung scharf an. Die heimische Industrie und v.a. der Agrarsektor seien in den letzten 40 Jahren zu Gunsten ausländischer Investoren vernachlässigt worden. Der Einkommensunterschied zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung sei in dieser Zeit von 1 zu 8 auf 1 zu 19 angewachsen. Das zentralistische Entwicklungsmodell zerstöre Wälder, Land und Gesundheit der Arbeiter.

Einige Beispiele wurden von den Demonstranten thematisiert: Die Yadana Gas-Pipeline, die zwei Jahren von Burma nach Thailand gebaut wurde, sei nicht nur wegen der Verletzung der Menschenrechte in Burma problematisch. Ihr würden auch wertvolle Wälder geopfert. Der Lebensraum bedrohter Arten wie des asiatischen Elefanten würden empfindlich eingeschränkt. Am Bau war auch der französische Konzern Total beteiligt.

Aus dem Nordosten des Landes kamen Dorfbewohner in die Hauptstadt, um gegen einen Staudamm zu demonstrieren, der ihre Dörfer und Wälder unter Wasser gesetzt und die Fischfänge in ihrem Fluss dezimiert hat. Der Bau war von der Weltbank unterstützt worden. Die Vertreter eines Protestdorfes, in dem seit zehn Monaten 4.000 Menschen in der Nähe des Damms leben, schrieben daher an die UNCTAD-Konferenz, um das internationale Finanzinstitut anzuklagen. Von Ausgleichszahlungen halten die Dorfbewohner wenig. Sie wollen, dass der alte Zustand wieder hergestellt, der Damm eingerissen und der Fluss renaturiert wird, damit sie ihr gewohntes Leben leben können: "Wir möchten ihnen sagen, dass wir das Entwicklungskonzept der Weltbank ablehnen. Es hat uns nichts als Unglück gebracht." Die Vereinten Nationen und ihre Agenturen, so das Forum der Armen, müssten den Anstoß für ein neues Entwicklungs-Paradigma geben, eines der nachhaltigen Entwicklung mit menschlichem Gesicht.

Diese Botschaft gab man auch Jose Ramos-Horta, dem Quasi-Außenminister Osttimors mit auf den Weg. Der stattete den Demonstranten einen Besuch ab, um sich für die Unterstützung der sozialen Bewegungen Thailands für den Widerstand in seinem Land zu bedanken. Wanida Tantiwitthayapitak, eine Sprecherin des Forums, dankte ihm für den Besuch. Dies sei eine Geste, die Thailands Arme von ihren eigenen Politikern nicht erwarten können. Sie drückte ihren Wunsch aus, dass Osttimor nicht den Entwicklungspfad einschlage, den Thailand genommen und der einen großen Teil der Landebevölkerung ins Elend gestoßen habe.

(wop)

Weitere Infos: http://www.unctad10.org