Globalisierung

Finanzmärkte kontrollieren!

Deutschland ist im Aktienfieber. Daran scheint auch die gegenwärtige Achterbahnfahrt an den internationalen Börsen vorerst nichts zu ändern. Doch nicht jeder mag die Euphorie teilen. In Hannover trafen sich am Wochenende vor Ostern ca. 70 Vertreter kirchlicher und entwicklungspolitischer Organisationen und lokaler Initiativen zu einem Ratschlag, um über die "demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte" zu beraten.

Ziel sei es, so Anja Osterhaus von der christlichen Organisation Kairos Europa, den Finger in die offenen Wunden der Finanzmärkte zu legen. Die, so Peter Wahl, einer der Organisatoren des Hannoveraner Treffens, "diktieren den Regierungen zunehmend die Grundlage der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Mit der Drohung, ihr Kapital abzuziehen, erpressen sie inzwischen selbst große Industrieländer. Die Politik muss wieder die Souveränität über die Finanzmärkte gewinnen." Wahl arbeitet für WEED, ein kleines alternatives Institut in Bonn, das seit einigen Jahren die entwicklungspolitische Szene mit entsprechender Fachinformation versorgt.

Bereits im Januar hatte man sich in Frankfurt getroffen, um die ersten Schritte zur Gründung eines Netzwerks zu unternehmen. Vorbild bildet das Attac-Bündnis in Frankreich, in dem sich bereits vor zwei Jahren innerhalb weniger Monate etliche Tausend Menschen in Dutzenden von lokalen Gruppen zusammen geschlossen haben. Anders als Attac, das sich allgemeiner mit den verheerenden Auswirkungen der Globalisierung auseinandersetzt, will sich das deutsche Netzwerk allerdings zunächst auf die Rolle der Finanzmärkte konzentrieren.

Arbeitsschwerpunkte werden daher vorerst die Offshore-Finanzzentren, wie Liechtenstein, Jersey oder die Kaiman-Inseln, sowie die Einführung einer internationalen Steuer auf kurzfristige, spekulative Kapitalbewegungen sein. Letztere, nach ihrem Erfinder, dem US-amerikanischen Nobelpreisträger Tobin benannt, soll Masse und Tempo aus den Märkten nehmen, um Crashs wie den in Thailand im Juni 1997 zu vermeiden. Dabei ist man sich durchaus bewusst, so Wahl, dass eine derartige Steuer nur ein Instrument unter vielen sein kann. Es gebe kein Allheilmittel. Die Tobin-Steuer eigne sich jedoch, öffentliches Problem-Bewusstsein zu schaffen.

Zwei Regionalgruppen des Netzwerks haben sich bereits in Hamburg und Berlin gegründet. Während erstere derzeit diskutieren, dem Aufruf der französischen Attac zu folgen, am 30. April mit einer Aktion vor der Börse der Hansestadt einen internationalen "Karneval gegen den Kapitalismus" zu feiern, will man sich in Berlin auf die Offshore-Zentren konzentrieren. Dort, so habe nicht zuletzt der Spendenskandal der CDU gezeigt, werden nicht nur sichere Häfen für Steuerflüchtlinge geschaffen, sondern auch Drehscheiben für Geldwäsche und dunkle Geschäfte angeboten. Am 19. Mai soll es vor der Filiale der Dresdner Bank am Brandenburger Tor eine öffentliche Aktion zum Thema geben, denn deutsche Banken sind mit Tochterfirmen in Liechtenstein und anderswo durchaus in entsprechende Transaktionen verwickelt.

Auf einen anderen Aspekt des Themas machte Walther Schütz vom Kärntner Armutsforum aus Österreich aufmerksam: Die Bestrebungen, die Rentenversicherungen in Deutschland und Österreich auf private Kapitalversicherung umzustellen, diene auch dazu, den Kapitalmärkten mehr Masse zuzuführen. Während hierzulande private Pensionsfonds bisher keine Rolle spielen, haben sie in Staaten wie den Niederlanden, den USA und Großbritannien bereits erheblichen Umfang. Da diese Fonds ihrem Auftrag gemäß ständig auf der Suche nach der günstigsten Anlagemöglichkeiten sind, halten sie ihre Aktien selten langfristig und fördern dadurch die Instabilität der Märkte. Eine Arbeitsgruppe des Netzwerks wird sich näher mit dem Thema beschäftigen.

Probleme gibt es allerdings noch, die Adressaten der Politik des Netzwerks zu bestimmen. Die meisten Anwesenden wollten sich gegenüber den Regierungsparteien offenhalten und lehnten es ab, in die verabschiedete Grundsatzerklärung einen Hinweis aufzunehmen, nach dem die Industriestaaten versuchen, ihre wirtschaftlichen Interessen notfalls auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. So besteht durchaus die Gefahr, dass die angestrebte Lobbyarbeit, schnell zur bloßen Zuarbeit für die Regierungsfraktionen werden könnte.

(wop)

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