Kommentar

Privatisierung der Natur

Die einen nennen es Biopiraterie, die anderen freie Weltwirtschaft: Vor dem Europäischen Patentamt wird derzeit über den Einspruch indischer Umweltschützer gegen ein Patent auf den Neembaum verhandelt. Der US Agro-Konzern W. R. Grace möchte sich gerne die Nutzung eines Verfahrens zur Pilzbekämpfung sichern, das das Öl des in Südasien verbreiteten Baumes verwendet. In Indien ist die Empörung über diese Anmaßung groß. Seit Jahrhunderten verwenden dort die Bauern die Produkte des Neembaums in der Medizin, wie auch als natürliches Pflanzenschutzmittel.

Für Globalisierungsgegner ist der Fall längst zum Symbol für die Arroganz der Industriestaaten geworden, die sich anschicken, die letzten Reichtümer des Planeten zu plündern: Die tropische Vegetation, bzw. das, was die Zerstörungswut der alten und neuen Kolonialherren von ihr übergelassen hat, birgt einen gewaltigen Schatz medizinisch nutzbarer Pflanzen. Die Weisheit der lokalen Bevölkerungen macht seit vielen Generationen von ihm Gebrauch. Nachdem christlicher Hexenwahn und kapitalistische Eroberungsdrang vergleichbares Wissen in Europa und Nordamerika fast vollständig ausgerottet haben, verfallen Konzerne aus dem reichen Norden seit den 80ern darauf, sich die Kenntnisse der Menschen Amazoniens, Zentralafrikas sowie Süd- und Südostasiens anzueignen. Forscherteams gehen in den verbliebenen Urwäldern auf die Pirsch nach Heilpflanzen und schauen den Bauern, nicht nur in Indien, auf die Finger. Patente werden angemeldet, denen über die Regularien der Welthandelsorganisation WTO weltweite Geltung verschafft werden soll.

Die bisherigen Nutzer gehen leer aus, der Gewinn landet in den Schatullen der Konzerne. Schlimmsten Falls müssen indische Bauern oder Kautschuksammler im Amazonas-Urwald künftig sogar damit rechnen, dass ihnen über das Patentrecht kommerzielle Nutzungsrechte strittig gemacht werden. Das Einspruchsverfahren bedeutet daher eine wichtige Weichenstellung: Machen sich die europäischen Patenwächter die Argumente Vandana Shivas und der von ihr vertretenen 500.000 Unterzeichner einer Eingabe zu eigen oder geben sie grünes Licht für die private Aneignung kollektiven Wissens? Wird die Natur vollends privatisiert oder gibt es Wichtigeres als den Profit europäischer und US-amerikanischer Konzerne?

(wop)