Aus dem Kieler Rat

Strengste Vertraulichkeit

Stadtwerkeverkauf: Ratsversammlung fordert mehr Beteiligung an den Verhandlungen

Der Streit um die Beteiligung der Ratsversammlung an den Verhandlungen für den Verkauf der Stadtwerke setzte sich in der Ratsversammlung vom 27.4. fort. Sämtliche Fraktionen forderten Einblick in die "Letters of intent" der Kaufbewerber, um das Zustandekommen der sog. "short list" von 5 Bietern, mit denen detailliertere Verhandlungen geführt werden sollen, bewerten zu können. Gerade um diese "short list" hatte es in den vergangenen Wochen heftige Auseinandersetzungen gegeben (LinX berichtete). Die Verwaltung beruft sich allerdings nach wie vor auf ihre Verpflichtung zur Vertraulichkeit. OB Norbert Gansel legte ein 9-Punkte-Programm vor, das immerhin eine beschränkte Beteiligung der Ratsversammlung an den Verhandlungen ermöglichen soll, und nahm damit den Kritikern der Geheimverhandlungen fast allen Wind aus den Segeln. Einstimmig wurde auf Antrag der CDU beschlossen, die mit Ratsbeschluss vom 14.10.99 eingesetzte "Lenkungskommission" zur Begleitung der Verkaufsverhandlungen aufzulösen und die entsprechenden Gespräche im Hauptausschuss zu führen.

Einen Tag vor der Ratsversammlung hatte der SPD-Fraktionschef Jürgen Fenske in den Kanon der Fraktionen nach mehr Transparenz bei den Verkaufsverhandlungen eingestimmt. In einer Pressemitteilung sagte Fenske: "Die Ratsversammlung trägt eine hohe Verantwortung. Deshalb ist es folgerichtig, dass nach den Presseberichten der letzten Wochen die Ratsversammlung eine umfassende Einsicht in die Unterlagen verlangt." Allerdings fordert die SPD dies nur pro forma, denn, so Fenske weiter: "Ich habe keinen Zweifel an der Schlüssigkeit der short list. Die Entscheidungskriterien Wettbewerbsfähigkeit, Sicherung der Arbeitsplätze, Standortsicherheit, Kaufpreis, ökologische Energiewirtschaft und Finanzierung des ÖPNV sind klar gesetzt und richtig bewertet." Eine endgültige Entscheidung über die "short list" behielt sich Fenske dennoch vor. Sie erfolge, "wenn die zugesagten schriftlichen Informationen und alle einsehbaren Unterlagen gesichtet worden sind". Keinen Zweifel ließ Fenske jedoch daran, dass die SPD-Fraktion nach wie vor voll hinter dem Verkauf steht und sich auch vorstellen kann, mehr als die vom Rat bisher beschlossenen 25,1% zu verkaufen. Fenske: "Die SPD-Fraktion hält es für angemessen und richtig, dass im bisherigen Verfahren sowohl die Option der Veräußerung einer Minderheits- und Mehrheitsbeteiligung aufrechterhalten wird, da zum heutigen Zeitpunkt niemand mit abschließender Gewissheit sagen kann, welche Lösung für das Unternehmen und die Stadt richtig ist." Vor den interessierten Strommultis, die sich verschiedentlich über die Indiskretionen bei den Verkaufsverhandlungen beschwert hatten (LinX berichtete), machte Fenske dann noch den fälligen Kotau: "Was uns bei der KWG bundesvorbildlich im Interesse des Unternehmens, seiner Beschäftigten und der gesamten Stadt gelungen ist, muss uns auch bei den Stadtwerken gelingen. Daher sollten wir alles vermeiden, was zur Verunsicherung des Unternehmens und der Kaufinteressenten führt. Wir dürfen keine weiteren seriösen Anbieter verlieren. Sonst drohen wir den Ruf eines gallischen Dorfes anstatt einer Landeshauptstadt zu erhalten."

Richtig ernst kann man also das Ansinnen der SPD nach mehr Transparenz bei den Verkaufsverhandlungen nicht nehmen, denn eine öffentliche Diskussion will auch die SPD nicht. Die BürgerInnen bleiben ebenso außen vor wie die ArbeiterInnen und Angestellten der Stadtwerke. So ging es denn auch in der Debatte nur um Modalitäten, nicht aber um die Tatsache des Verkaufs an sich und auch nicht um die schrittweise Aufweichung des Ratsbeschlusses, maximal eine Sperrminorität von 25,1% zu verkaufen. CDU-Fraktionschef Arne Wulff fand es zwar "abenteuerlich bis ungeheuerlich, dass die Verwaltung in die Verkaufsverhandlungen Einblick hat, das Entscheidungsgremium Ratsversammlung aber nicht", plädierte jedoch wie Fenske für eine "Beendigung des Streits". Und auch der grüne Fraktionsvorsitzende Lutz Oschmann gab sich eher konzilliant: "Wir wollen alle Unterlagen sehen, dabei bleibt es. Aber in welcher Form das geschieht, da sind wir offen."

OB Norbert Gansel rannte somit mit seinem 9-Punkte-Programm zum Fortgang der Verkaufsverhandlungen fast offene Türen ein. "Wir müssen weiter den Konsens pflegen", schickte Gansel voraus. "Die Art und Weise, wie wir uns bei den Verhandlungen verhalten, wird entscheidend sein für den Ruf, den die Stadt in der freien Wirtschaft hat." Der ist Gansel allemal wichtiger als die Aufrechterhaltung von demokratischen Prinzipien bei der Entscheidung. "Strenge Vertraulichkeit, die in bestimmten Bereichen der Wirtschaft nun mal erforderlich ist, muss gewahrt werden." In den ersten Punkten seines Memorandums listete Gansel zunächst das bisherige Prozedere auf:

Gegen die Kritik mangelnder Beteiligung der Ratsversammlung gab Gansel zu bedenken, dass die Beratergruppe nicht von der Verwaltung, sondern vom Finanzausschuss, also einem Gremium der Ratsversammlung, ausgewählt worden war. Die Berater würden auch nicht entscheiden, sondern lediglich "die Entscheidung vorbereiten. Wir haben die Berater, eben weil wir nicht alles prüfen können, was die uns vorschlagen. Könnten wir das, bräuchten wir die Berater nicht." Womit deutlich wurde, dass die Beratergruppe zumindest eine Vorentscheidung trifft, die, so Gansels Wunsch, der Rat dann nur noch absegnet. Und das nach Möglichkeit noch vor der Sommerpause.

Zum weiteren Prozedere der "Gratwanderung zwischen Entscheidungsbeteiligung und der unbedingt notwendigen Vertraulichkeit" schlug Gansel vor, dass die Beratergruppe beauftragt wird, bei den interessierten Unternehmen die Erlaubnis einzuholen, dass jeweils ein Mitglied jeder Fraktion Einsicht in die "Letters of intent" erhält. Jedoch bestehe seitens der Verwaltung keine Verpflichtung, solche Einblicke zu gewähren. Die "Letters of intent" seien "keine städtischen Akten, also gibt es auch kein Recht zur Einsichtnahme". Vielmehr habe sich die Stadt im Vertrag mit der Beratergemeinschaft zu "strengster Geheimhaltung verpflichtet". Ein Bruch dieser Vertraulichkeit gefährde "das Ansehen der Stadt gegenüber der freien Wirtschaft".

An Gansels Vorschlag, wenigstens jeweils einem Fraktionsmitglied Einsicht in die Akten zu geben, gab es in der weiteren Debatte nur leise Kritik. Jürgen Fenske wandte ein, die Ratsmitglieder seien "nicht Dritte". Jens Moriz (CDU) sagte, die Ratsmitglieder seien per Eid ohnehin auf Vertraulichkeit verpflichtet, insofern sei nicht einzusehen, warum nicht jedes Ratsmitglied Akteneinsicht nehmen könne. In der Öffentlichkeit seien durch das Verfahren "erhebliche Zweifel aufgetreten", die durch Gansels Vorschlag auch nicht ausgeräumt würden. Hein Peter Weyher (CDU) wies darauf hin, dass im Vertrag mit der Beratergruppe die Einsichtnahme in die "long list", also sämtliche "Letters of intent", festgeschrieben sei. Insofern sei die "short list" ohne jede Deckung durch einen Beschluss der Ratsversammlung oder eines ihrer Gremien erstellt worden und daher nicht rechtswirksam. Dagegen wandte Gansel ein, man könne "jetzt nicht wieder von vorne anfangen. Der Zeitplan steht! Über die short list kann man nicht mehr streiten, sie kann lediglich erweitert werden."

Auch mit Gansels neuem Vorschlag einer Minimalbeteiligung der Ratsversammlung an den Verkaufsverhandlungen bleibt der Stadtwerkeverkauf undurchsichtig, Filz und Mauscheleien sind Tür und Tor geöffnet. Von einer demokratischen Öffentlichkeit ist nichts zu spüren, der Streit bleibt ratsintern. Höchste Zeit also, dass sich Gewerkschaften und andere öffentliche Institutionen einschalten, um deutlich zu machen, dass es beim Stadtwerkeverkauf nicht nur um die Verscherbelung eines weiteren Stücks Tafelsilber geht, sondern um die Aushebelung der letzten Reste demokratischer Mitbestimmung in der Wirtschaft.

(jm)

Am 17.5., 17 Uhr, findet in der Pumpe eine öffentliche Diskussionsveranstaltung der ÖTV mit RatsvertreterInnen über den Stadtwerkeverkauf statt.

Stadtwerke in Zahlen

Die Kieler Stadtwerke gehören zu 49% direkt der Landeshauptstadt. Die übrigen 51% hält die VVK (Versorgung und Verkehr Kiel), die wiederum vollständig im städtischen Besitz ist. Die VVK hält gleichzeitig 58,7% der KVAG. Weitere 41% der Anteile liegen bei der Stadt und - man höre und staune - 0,3% bei privaten Anlegern. Über die Verbindung mit der KVAG gibt es eine massive Quersubventionierung des öffentlichen Personennahverkehrs, die 1999 rund 40 Mio. DM betrug. Diese Konstruktion ist in Deutschland nicht ungewöhnlich. Wie so ziemlich überall in Europa arbeitet der ÖPNV auch in Kiel nicht kostendeckend und bedarf daher öffentlicher Zuschüsse. Die erfolgen durch die Verbindung mit den Profit abwerfenden Stadtwerken, da auf diesem Wege keine Steuern auf den Gewinn des Versorgungsunternhemens gezahlt werden müssen. Die Stadtwerke beschäftigen derzeit 1.556 Mitarbeiter, die KVAG 689 und die SFK 53. Der Wert der Stadtwerke und ihrer fünfeinhalb Kraftwerke wird derzeit auf 250 Mio. DM geschätzt.

(wop)