Aus dem Kieler Rat

Absage an den Big Brother

Rat verhindert Videoüberwachung im öffentlichen Raum

"Eigentlich dachte ich, das sei ein Selbstgänger", wunderte sich SUK-Fraktionschef Wolfgang Kottek in der Rastversammlung am 27.4. über entschiedenen Widerspruch aus den Reihen von SPD und Grünen. In einem Prüfauftrag hatte die SUK den OB gebeten, einen Bericht über "die Möglichkeiten der Videoüberwachung im öffentlichen Raum Kiels" vorzulegen. Die CDU hatte den Antrag um eine Erklärung ergänzt, dass "die Ratsversammlung grundsätzlich den Einsatz von Videoüberwachungsanlagen für ein geeignetes Mittel zur Herstellung und Wahrung der öffentlichen Sicherheit" halte. Nämliche Law-and-Order-Parolen fanden sich auch in der Antragsbegründung der SUK: Es könne "damit gerechnet werden, dass die Mehrheit der BürgerInnen eine Zunahme an Kontrolle in Kauf nimmt, wenn im Gegenzug dies zu höherer Sicherheit und Sauberkeit der Stadt beiträgt". Und: "Da sich eine Kommune durch derartige präventive Maßnahmen als sicher, handels- und wirtschaftsfreundlich darstellen kann, sind Videoüberwachungsanlagen grundsätzlich auch dazu geeignet, die Standortqualität zu erhöhen."

Schützenhilfe für ihren Law-and-Order-Antrag hatten SUK und CDU zwei Tage vorher vom Sophienhof-Geschäftsführer Jürgen Steinacker bekommen. Der hatte in einem Brief an die Mehrheitsfraktion die Videoüberwachung in seinem Konsumtempel gelobt: "Abgesehen von den Junkies vor unserer Haustür (...) ist es uns gelungen, die kriminellen Elemente sowie sonstige störende Gruppen (...) durch einen ausgezeichneten Wachdienst und eine Videokamera zu vertreiben." Dabei spielt nach Steinackers Meinung der Datenschutz keine Rolle, denn: "Wer kriminelle Handlungen begeht, in das Eigentum oder die Gesundheit Dritter eingreift, darf sich nicht beschweren, wenn seine Daten oder auch sein gefilmtes Konterfei gegen ihn zu Ermittlungszwecken verwandt wird."

Das Menschenbild, das hinter solcher Schutzstaffel-Diktion steckt, wurde auch in den Debattenbeiträgen der CDU und SUK deutlich. So stellte etwa Dietrich Huckriede, seniler Scharfmacher von der CDU-Hinterbank, fest, "in Friedrichsort, zumindest dort, wird eingebrochen ohne Ende". Ursache im Weltbild des Herrn Huckriede: "Die Leute ziehen aufs Land in die Nachbargemeinden, und das Sozialamt setzt dann da jemanden in die Wohnungen." Sein Fraktionschef Arne Wulff sah in der Videoüberwachung sogar eine "Werteentscheidung": "Was ist uns persönliche Sicherheit wert gegen eine sicher vorhandene geringfügige Beeinträchtigung rechtschaffener Bürger durch die Kameras?"

SPD und Grüne sprachen sich in einem Alternativantrag, der sich letztlich durchsetzte, gegen jede Art der Videoüberwachung aus. Der OB solle Bericht erstatten, wo es im öffentlichen Raum und in "allgemein zugänglichem Privatbesitz" (gemeint ist hier insbesondere der Sophienhof) bereits Kameras gebe. Statt Überwachung und Vertreibung wollen SPD und Grüne ein Konzept, "wie an besonderen sozialen Brennpunkten vorhandene bauliche und stadtgestalterische Fehlentwicklungen (...) im Sinne von Kriminalprävention und bürgerfreundlicher Stadtentwicklung umgestaltet werden können." Die Videoüberwachung sei das "grundsätzlich falsche Mittel", Kriminalität zu verhindern. Sie führe vielmehr zu Vertreibung und zur Vortäuschung einer "Pseudosicherheit". Wenn Steinacker davon spreche, es sei "gelungen zu vertreiben", so die SPD-Ratsfrau Inge Lindner, dann wolle die SPD genau das nicht, sondern das Problem lösen, statt es nur zu verlagern.

Aus der rechten Opposition mussten sich SPD und Grüne dafür Vorwürfe wie diese gefallen lassen: Kottek: "Große Teile der SPD fallen hier in die uralten Zeiten des Klassenkampfes zurück." Wulff: "Herr Görgner (Grüne) will durch die Verhinderung von Videoüberwachung Straftaten hinnehmen."

Die Big-Brother-Träume der Law-and-Order-Fraktionen wurden dennoch einstweilen gestoppt. Inwieweit die Politik auch gegen die Videoüberwachung nebst der kriminellen Machenschaften des Wachpersonals (LinX berichtete) im Sophienhof vorgehen wird, bleibt abzuwarten.

(jm)