Aus dem Kieler Rat

Stadtwerkeverkauf:

American Days im Rat

Auf dem Rathausplatz wehen in trauter Zweisamkeit mit der Kieler Fahne Stars & Stripes. Jubel-Beflaggung für einen 3-stelligen Millionen-Deal, dem die Ratsversammlung in ihrer Sitzung vom 13.7. den letzten Segen geben soll. Und den erteilt sie dann auch um 17.02 Uhr - einstimmig (abgesehen von den wegen Befangenheit nicht an der Abstimmung teilnehmenden 11 Ratsmitgliedern, die bei den Stadtwerken bzw. in der VVK beschäftigt sind oder in deren Aufsichtsräten sitzen). Die Stadtwerke Kiel, die laut OB Gansel dennoch "die Kieler Stadtwerke bleiben werden", sind zu 51% und für 450 Mio. DM (netto und vor Steuern) an den britischen Ableger der US-amerikanischen Texas Utlities (TXU) verkauft.

Über das Vorspiel dieses Verkaufs hat die LinX ausführlich berichtet. Dass das Ergebnis der Abstimmung im Rat so eindeutig ausfallen würde, war bereits seit der Juni-Ratsversammlung klar, wenn es auch noch einige Irritationen gab (LinX berichtete). Als aber am 5.7. der Tarifvertrag zwischen Stadt Kiel, VVK (der bisherigen Muttergesellschaft der Stadtwerke), TXU und ÖTV geschlossen war und am 11.7. auch die Aufsichtsräte von Stadtwerken und VVK dem Vertrag mit TXU zugestimmt hatten, war der endgültige Beschluss im Rat nur noch Bühne für das gegenseitige Dankes- und Akklamationstheater.

"Das ist eine faire und vernünftige Vereinbarung", lobte Günter Mischke, Betriebsratsvorsitzender bei den Stadtwerken und wenige Tage vorher noch ein scharfer Kritiker des Kaufvertrages, den Tarifvertrag. Auch der ÖTV-Geschäftsführer Holger Buchholz, von dem vorher ebenfalls Breitseiten gegen den Kaufvertrag zu hören gewesen waren, sagte erleichtert: "Wir haben alles gekriegt, was wir wollten." Was die Gewerkschafter also offenbar nicht mehr wollten, ist das "Kieler Modell", eine paritätische Mitbestimmung, die den ArbeitnehmerInnen Mitbestimmungsrechte über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus einräumte, zumal das Gesetz die paritätische Mitbestimmung erst bei Betrieben ab 2.000 MitarbeiterInnen vorschreibt (die Stadtwerke haben derzeit 1.400 MitarbeiterInnen). Das "Kieler Modell" war mit der TXU nicht zu machen. Knackpunkt war dabei, dass TXU nicht darauf verzichten wollte, dass im Falle eines Abstimmungspatts im Aufsichtsrat der von TXU gestellte Aufsichtsratvorsitzende die Entscheidung trifft. Gegen dieses Zweitstimmenrecht hatten die Arbeitnehmervertreter zunächst scharf protestiert. Im letztlich geschlossenen Tarifvertrag rückten sie jedoch von ihrer Position ab und erhielten dafür als Zugeständnis, dass das Zweitstimmenrecht dann entfällt, wenn es um Fusion oder Spaltung, bzw. eine Änderung der Rechtsform der Stadtwerke AG gehen sollte. Solche Entscheidungen müssen weiterhin mit Zweidrittelmehrheit gefasst werden, können also gegen die ArbeitnehmerInnen nicht durchgesetzt werden.

Als Erfolg verbuchen die Gewerkschafter auch, dass TXU zugesichert hat, bis 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen. Wichtiger noch ist aber, dass die Stadtwerke Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband bleiben. Insofern gelten Tarifverträge des öffentlichen Dienstes weiter, ebenso dessen Alterszusatzversorgung. Diese Rechte sollen selbst dann erhalten bleiben, wenn wiederum TXU seine Anteile an den Stadtwerken oder Teile davon veräußert. Zwar hat TXU den ArbeitnehmerInnen hier einige Zugeständnisse gemacht, doch bedeutet dies nur eine mittelfristige Sicherung der Arbeitsplätze. Ab 2010 kann TXU mit der Rationalisierung ohne Einschränkungen beginnen. Deshalb heißt die entsprechende Überschrift im Antrag der Verwaltung zum Verkauf auch "Sicherung der Arbeitsplätze auf einem höchstmöglichen Niveau". Mit anderen Worten: Mehr geht nicht.

Die Kaufsumme soll "insbesondere" zur Finanzierung des ÖPNV-Defizits und zur Schuldentilgung des Kieler Haushalts verwendet werden. Als weitere Erfolge der Verkaufsverhandlungen nennt der letztlich einstimmig beschlossene Antrag: Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Stadtwerke, Fortbestehen der Konzessionsabgabe für den städtischen Haushalt, weitgehende (!) Aufrechterhaltung der ökologischen Standards und Beibehaltung des Standorts Kiel. Gansel sieht darin ein Fortbestehen der "Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten der Stadt bzw. der VVK". TXU bot ferner noch einige Bonbons, die man, so Gansel, "gerne mitgenommen" habe: Über 2 Jahre werden 10 Praktikumsplätze pro Semester zur Verfügung gestellt und 10 Diplomarbeiten betreut (die besten werden mit Preisen in Höhe von 15.000 DM jährlich prämiert). 5 Mio. DM zusätzlich für den Multimedia-Campus. Finanzierung eines Lehrstuhls an einer Kieler Hochschule über 5 Jahre mit jährlich 500.000 DM. 100.000 DM und über 5 Jahre jährlich jeweils 50.000 DM für die von Gansel geplante Bürgerstiftung. Weiterhin beabsichtigt TXU den Neubau eines Gas- und Dampfkraftwerks am Standort des jetzigen Gemeinschaftskraftwerks auf dem Ostufer.

Im Rat gab es angesichts solcher Schmankerl dann nur noch selbstgefällige Fensterreden. Allein die Grünen versuchten wie schon in der Juni-Ratsversammlung vergeblich, die Verwendung des Verkaufserlös neben ÖPNV-Finanzierung und Schuldentilgung auch für die Sanierung städtischer Kindergarten-, Jugend-, Schul- und Sporteinrichtungen festzuschreiben. Sichtlich entnervt wies der grüne Ratsherr Rainer Pasternak überdies nochmals (wie schon im Juni) auf das KielNet-Glasfasernetz auf dem Ostufer hin, das sich im Verkaufsvolumen befindet und einen "nicht schätzbaren" Wert habe. Solcherlei Bedenken wollte die Ratsversammlung aber nicht mehr nachgehen.

Hier zum Abschluss eines traurigen Kapitels die "schönsten" Zitate aus den Lobeshymnen für eine "historische Entscheidung": Gansel: "Die Stadt trennt sich nach 100 Jahren von der Alleinverantwortung für die Daseinsvorsorge. Eine demokratische Entscheidung, die nicht zufällig eine in der Marktwirtschaft und für die Marktwirtschaft ist." Gansel zur Verwendung des Kauferlöses: "Auch wenn manche Hoffnung keimt, es bleibt bei eisernem Sparen!" Arne Wulff, CDU-Fraktionschef an die Adresse der Schleswag, die noch bis zuletzt versucht hatte, anstelle von TXU in den Deal einzusteigen (LinX berichtete): "Wir suchten einen starken Partner, keinen natürlichen Partner. Unser Aufgabe ist die Sicherung der Zukunft der Stadtwerke nicht die der Schleswag. Es ist gut, dass wir uns von den Störversuchen der Schleswag nicht haben beeindrucken lassen. Ihr Angebot, das 'Kieler Modell' zu übernehmen, hatte sabotierenden Charakter. (...) Entstaatlichung zu betreiben und den Markt dem Wettbewerb zu überlassen, das war immer unsere Politik." SUK-Fraktionschef Kottek begrüßte überschwenglich "unsere amerikanischen Freunde, unseren neuen Vater der Stadtwerke". Jürgen Fenske, scheidender Fraktionsvorsitzender der SPD: "Wir haben keine Angst vor der Globalisierung, sie ist eher eine Chance als ein Risiko, davon bin ich zutiefst überzeugt. (...) Wirtschaftsorientiert wie wir sind, setzen wir auf Wachstum. (...) Der Konsens im Rat ist ein Standortvorteil erster Güte." Rainer Pasternak (Grüne): "Die Grünen haben sich die Zustimmung nicht leicht gemacht. Nach wie vor halten wir eine stand alone-Lösung für die Stadtwerke für besser. (...) Nicht nur TXU's energetische Philosophie macht sie sympathisch ("nur" ein AKW in den USA - Anm. d. Red.), sondern auch ihre soziale. In Yorkshire übt TXU eine sehr soziale Gebührenpolitik gegenüber Arbeitslosen, Alten &c. (...) Obwohl wir nunmehr bei den Stadtwerken nur noch der Juniorpartner sind, bergen mögliche unternehmerische Fehlentscheidungen von TXU ein nicht unerhebliches Risiko für die Finanzen der Stadt."

(jm)