KERNspalte

Die Logik der internationalen Atommafia sieht vor, dass Katastrofen ihrer geliebten Technik in einem Teil der Welt das Geschäft mit derselben Technik im anderen Teil anheizen. Da sind sich die Presse, Wirtschaftsminister und Bundeskanzler einig: Der Untergang der Kursk im Nordmeer erhöhe im Verein mit den anderen Atom-U-Boot-Wracks von Murmansk den Druck auf die Bundesregierung, die stillgelegte Hanauer Plutoniumfabrik für 100 Mio. DM an Russland zu verkaufen, ein Druck, dem man sich nur zu gerne beugt. Siemens drängt seit Wochen auf eine Entscheidung, Schröder hat sich klar für den Export ausgesprochen, Wirtschaftsminister Müller meinte, es gebe "keine Hindernisse", und Außenminister Joschka Fischer mahnte seine Partei "zur Zurückhaltung". Die Sache ist also so gut wie beschlossen: Eine Anlage, die in Deutschland wegen ihrer Sicherheitsmängel und Umweltgefahren nicht in Betrieb ging, woran der damalige hessische Umweltminister Fischer einen gewissen Anteil hatte, soll 34 t waffenfähiges Plutonium in Russland durch Aufarbeitung zu Brennelementen für Atomkraftwerke "ungefährlicher" (Schröder, 28.8.) machen. An diesem Geschäft gebe es weltweit großes Interesse, wohingegen sicherheits- und außenpolitische Interessen der Bundesrepublik nicht berührt würden, sagte der Kanzler. Wenn der Wiederaufbau der Anlage in Majak also sowieso nicht mehr zu verhindern ist, sollte man den russischen Militärs vielleicht noch einen Tip geben, auf den sie zum wiederholten Male nicht hören werden: Waffentests mit explosionsträchtigen, neuen Antrieben sind nicht nur in Atom-Ubooten, sondern auch in Plutoniumfabriken möglichst zu unterlassen. Nachher muss man wieder ausländische Hilfe anfordern, und dann kommt eh alles raus.

Manchmal neigen Atomanlagen aber nicht nur von sich aus zu unkontrollierten Havarien, sondern laden auch fremde, böse Menschen ein, solche herbeizuführen. Dass sie sich dafür Zeitpunkte aussuchen, zu denen die Aufmerksamkeit der Weltpresse ihnen sicher ist, liegt in der Natur der Sache. Immer wieder gern genommen sind Olympische Spiele. Die neuseeländische Polizei hat nach eigenen Angaben ein Kommandozentrum von "afghanischen Terroristen" in Auckland ausgehoben, die sich auf den islamischen Milliardär Osama bin Laden beriefen und einen Anschlag auf ein Atomkraftwerk in Sydney, Australien, während der diesjährigen Spiele geplant hätten.

In der letzten LinX wurde berichtet, dass die HEW mit Hauptaktionär Vattenfall den 49%-Anteil von E.ON an der Berliner BEWAG übernehmen wolle. Dieser Deal wurde jetzt auf Betreiben des Berliner Senats durch ein Berliner Landgericht untersagt. Die Aktien dürften nicht ohne Zustimmung des Senats verkauft werden, und der favorisiert zur Zeit den amerikanischen Konzern Southern Energy aus Atlanta. Bürgermeister Diepgen fand diese Vorliebe nicht so großartig und warnte vor einer "Isolation". Mittlerweile gab es ein Gespräch mit Wirtschaftsminister Müller, HEW-Vorstandschef Timm und Vattenfall-Chef Josefsson. Danach zeigten sich die HEW gesprächsbereit, es werde keinen weiteren Personalabbau und auch keine Kraftwerksstilllegungen in Berlin geben. Offen bleibt noch, ob HEW den Zugriff auch durch die Übernahme der ostdeutschen Veag erreichen kann.

Bei dem bisherigen Bewag-Aktionär E.ON liegen die Karten dagegen jetzt offen auf dem Tisch: Die Fusion von VEBA und VIAG wird vor allem zwei Konsequenzen haben: Mehr Atomstrom, weniger Arbeitsplätze. Am 22.8. bestätigte der Stromriese, dass "Überkapazitäten" von "10.000 MW in Deutschland, 40.000 MW europaweit" vom Netz genommen werden müssten, um wieder "vernünftige Preise zu erzielen". Es dürften nur solche Blöcke am Netz bleiben, deren Erzeugungskosten je Kilowattstunde unter drei Pfennig liegen - und das sind offenbar gerade die (öffentlich subventionierten) AKWs, denn von der Stilllegung sollen nur "konventionelle Kraftwerke" betroffen sein. 2.600 Stellen sollen abgebaut werden, die Zeitungen befürchten jedoch wesentlich mehr Stelleneinsparungen, wenn es zu den Abschaltungen kommt.

Das hört sich interessant an: Allein in Deutschland gibt es Überkapazitäten von 10.000 Megawatt? Und warum gab es dann angeblich so wenig Spielraum für den Atomausstieg? Und für die von E.ON stillzulegenden Kraftwerke wird keine Entschädigung verlangt? Haben nicht alle möglichen Umweltgruppen immer wieder eingeworfen, dass Abschaltung nur eine Preisfrage und keine Konsensfrage ist? Hört sich fast so an, als sollte das Verhandlungsergebnis der Regierungsvertreter beim "Atomkonsens" lächerlich gemacht werden - falls eine Steigerung überhaupt noch denkbar ist.

Auch Tschechien hört nicht auf Jürgen Trittin. Trotz seiner und weiterer internationaler Proteste soll das fertig beladene AKW Temelin am 15.9. angefahren werden. Ob es tatsächlich Sicherheitsmängel hat, macht Präsident Vaclav Havel nur von einem Arbeitsbericht der tschechischen Atomaufsichtsbehörde abhängig - deren erklärtes Interesse ja das frühzeitige Anfahren des Reaktors ist.

Und zu guter Letzt hat es mal wieder Dichtungsprobleme beim Beladen von Castor-Behältern gegeben, besonders in Biblis und Philippsburg. Das Umweltministerium wollte die Sache aber auch positiv sehen: Immerhin habe es auch 8 erfolgreiche Beladungen (u.a. in Neckarwestheim) gegeben. Die Probleme seien also lösbar. Bei einer Brückenstatik muss man davon ausgehen, dass sie stimmt - sonst stürzt die Brücke ein. Bei einem Atommüll-Transportbehälter darf solange probiert werden, bis die Berechnungen eingehalten werden. Das ist schon eine sehr zuverlässige Technik, diese Atomenergie. Zumindest, was den Preis angeht, siehe oben.

(BG)