Antifaschismus

Zu zivilcouragierten Linksradikalen und der aktuellen Verbotsforderung

Anmerkungen zu dem Redebeitrag von Avanti am 16.9. in Neumünster

"3) Auftreten nach außen (...) d) Umgang mit SPD und Gewerkschaften (...) Wir sind uns dabei aber bewusst, dass eine solche Zusammenarbeit eine Gratwanderung zwischen kluger politischer Taktik und Anbiederung ist." (Avanti 1989)

Meines Wissens hat sich Avanti mit Bauchschmerzen infolge einer faktischen Ausschaltung des Restes des antifaschistischen Bündnisses durch die IG Metall Neumünster dafür entschieden, als revolutionäre Organisation von der gleichen RednerInnentribüne zu sprechen wie die Ministerpräsidentin Heide Simonis. An Simonis hatte die IG Metall Neumünster eigenmächtig eine Einladung ausgesprochen. Zu der Entscheidung von Avanti, die eigene Rede dennoch in diesem Rahmen zu halten, statt eine eigene Kundgebung anzumelden oder als ersten politischen Ort die Besetzung und Nutzung der Tribüne zu wählen, mögen aus ihrer Sicht gute Gründe geführt haben. Doch die Rede von Avanti stellt eine Vorlage dar, welche mich zu Widerspruch und Kritik geradezu auffordert. Obwohl die Gruppe, in der ich bin, nicht an den Planungen der antifaschistischen Aktivitäten gegen den "Club 88" beteiligt war, möchte ich die Gelegenheit zu einem Schnellschuss-Kommentar nutzen:

"Ich will über meine persönliche Interpretation von Zivilcourage sprechen: Ich werde mich nach dieser Kundgebung auf die geplante Marschroute der Nazis begeben und ich werde mich dort auf die Straße setzen. Wenn die Polizei dann tatsächlich der Meinung ist, die Nazidemonstration durchsetzen zu müssen, so wird sie mich von dort wegtragen müssen." So endet der Redner von Avanti und beschreibt damit - wahrscheinlich in der Hoffnung, dass es möglichst viele ZuhörerInnen ihm nachtun werden - eine mögliche Praxis gegen den Naziaufmarsch in Neumünster. Es ist dem Redner zu überlassen, ob er sich gegen einen Naziaufmarsch tatsächlich so oder anders verhält. Auch wenn ich eine andere Form propagieren und wählen würde, ist es ehrenwert, eine Sitzblockade gegen Naziaufmärsche zu unternehmen. Und nichts ist gegen eine solidarische Vielfalt an Aktionsformen einzuwenden. Nicht eingehen möchte ich auf die sehr zahnlos formulierte Kritik an staatlicher Flüchtlingspolitik - doch auch hier macht der Ton die Musik! In diesem Kommentar soll es mehr um die im Redebeitrag entwickelte Begründung und Perspektive antifaschistischer Praxis im engeren Sinne gehen.

In der Vergangenheit arbeitete Avanti - zumindest in Teilen - mit dem Begriff "Zivilcourage" als einer Klammer zwischen der eigenen linksradikalen Politik und bürgerlichen AntifaschistInnen, um mit ihnen aus bündnispolitischen Erwägungen einen gemeinsamen Begründungszusammenhang für die Praxis zu konstruieren. Diesen Begriff aus taktischen (?) Gründen zu verwenden ist für (die Lübecker) Avantis also nicht neu. Neu - zumindest in der in diesem Beitrag radikalisierten Form - ist die Perspektive des kritischen Regierungsberaters und besseren Innenministers. Gerade weil eine Ausrichtung eines solchen Redebeitrages auch die Binnenaufklärung ist und die linksradikale Praxis des Tages sich im Kontext dieses Redebeitrages vermittelt, will ich dazu etwas sagen und diesen schwerwiegenden Vorwurf erläutern.

"Persönliche Interpretation" hin oder her, ist der Begriff Zivilcourage eigentlich Bismarckscher Prägung und meinte ursprünglich den Soldaten in der Freizeit, also mit dem preußischen Militarismus kompatible soldatische Tugenden im zivilen Leben. Die Bedeutung wandelte sich, aber der Kern blieb erhalten, nämlich der des Eingreifens des Bürgers oder der Bügerin als StaatsbürgerIn - Ende der persönlichen Interpretationsmöglichkeit. Dieser Bedeutung bleibt der Begriff verhaftet, wenn im Redebeitrag zu dem am 30.9. in Lübeck anstehenden Naziaufmarsch von Zivilcouragiertem zu potenziell Zivilcouragierter gefordert wird: "Dem (Naziaufmarsch) mit einem schnellen Verbot zuvor zu kommen, wäre ein konkreter Akt der Zivilcourage, zu dem ich die anwesende Frau Simonis und ihren Innenminister nachdrücklich auffordere!" Und nur weil nicht gesagt wird, dass unter der gleichen Landesregierung der Naziaufmarsch im März 1998 von einer Massenfestnahme mit über 400 Festnahmen von AntifaschistInnen begleitet war, lässt sich dieser aussichtslose Flirt mit der Macht unternehmen, statt sie zur Gegnerin zu erklären. Denn im Gegensatz zu dem Avanti-Beitrag wusste die Landesregierung, dass die Praxis der sich im Sinne des Versammlungsgesetzes insgesamt gesetzesübertretend und z.T. auch militant verhaltenden AntifaschistInnen mit dem Begriff der Zivilcourage keineswegs abgedeckt war, und verfolgte sie strafrechtlich. Als es im Nachhinein darum gehen musste, politisch gegen die staatliche Repression einen gemeinsamen Umgang hinzubekommen, drohte schon damals, dass sich diese Taktik (?) gegen den antifaschistischen Protest und Widerstand wendet, da eine Spaltung in gewaltfrei/militant bereits angelegt war. Wer/welche kann denn, ohne rot zu werden, eine Praxis, die in strafrechtlichen Kategorien "Körperverletzung" oder "Landfriedensbruch" heißt, als zivilcouragierte Handlungen auslegen? Und auch am 16.9. ist in Neumünster dieser Annäherungsversuch an bürgerliche Begründungsmuster ausgeschlagen worden, die Bullen machten 101, größtenteils wahllose Festnahmen.

Zu der Frage nach dem aufklärerischen Gehalt des Redebeitrages lässt sich feststellen, dass für meinen Geschmack mehr Konfusion als Aufklärung vermittelt wird. Avanti formuliert: "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen." Das würde ich eigentlich teilen, doch habe ich diese Parole bisher nicht als Ergänzungsvorschlag zum Strafgesetzbuch und Aufforderung, diesen Vorschlag konsequent durch die Exekutive dann auch ahnden zu lassen, verstanden, wie es Avanti offenbar versteht, wenn sie im Anschluss sagen: "Ein Verbrechen allerdings, das in diesem Staat noch immer nicht verboten ist - und schon gar nicht konsequent verfolgt wird. Die Untätigkeit von Staat und Justiz gegenüber dem Neofaschismus ist tatsächlich skandalös." Zum einen verstehe ich die Parole als Beschreibung des Substrats des Nationalsozialismus und als Kurzzusammenfassung der Legitimation (auch militanten) antifaschistischen Vorgehens von unten. Zum anderen habe ich den Eindruck, dass die Repressionsorgane - diesmal über "Nazis" statt über "kriminelle Ausländer" als Themenfeld in der Debatte um Innere Sicherheit - mehr tätig sind, als mir lieb ist, aber das gehört ja auch zum Charakter der herrschenden Politik in (Groß-) Deutschland. Statt eben diese staatlichen Organe in bspw. ihrer Funktion als Abschottungsinstrumentarium der Festung Europa zu kritisieren ("Das Verbot des Bundesgrenzschutzes jetzt durchsetzten!", wäre vielleicht meine Alternativparole) oder in der Funktion, die Innenstädte und Bahnhöfe frei von Armut zu halten, wird die Forderung "Verbot aller Naziorganisationen jetzt durchsetzen!" unter aktuellen Machtverhältnissen eine nach noch mehr starkem Staat. "Natürlich ist es begrüßenswert und richtig, dass Innenminister Schily jetzt das Nazimusik-Netzwerk Blood&Honour verboten hat. Aber es trifft nur eine von hunderten von Gruppierungen, so dass sich schnell neue bilden können.", spricht der (ungewollt) bessere Innenminister.

Vor noch einem Jahr war "Antifaschismus" ein staatliches Ticket, um den Krieg gegen die BR-Jugoslawien zu begründen, heute ist es eines, um u.a. die autoritäre Kontrollgesellschaft im Sinne der Erfordernisse des Turbukonkurrenzkapitalismus weiterzuentwickeln. Dass wir der herrschenden Klasse dort nicht in die Quere kommen veranschaulicht eines der Probleme des Linksradikalismus. Mit der im Redebeitrag entwickelten Perspektive wird sich daran nichts ändern.

H. Errrossi 19.9.2000, Kiel

Diesen Kommentar verstehe ich als aus der Hüfte geschossenen Diskussionbeitrag, in dem ich nur Aspekte berühren kann. Es ist nicht so, dass es mir darum geht, gerade Avanti als Organisation angreifen zu müssen - aber sie haben sich nun mal im Gegensatz zu anderen ausführlicher öffentlich geäußert und können deshalb kritisiert werden. Falls mein Beitrag eine Diskussion über linksradikale/antifaschistische Politik anregen sollte, schlage ich vor, diese auch hier in der LinX zu führen.