Antifaschismus

Neumünster:

Polizei prügelt Nazis den Weg frei

Binnen vierzehn Tagen erlebte Neumünster am 16.9. den zweiten Aufmarsch der norddeutschen Neonazi-Szene. Rund 500 Rechte kamen nach Polizeiangaben zusammen, um gegen die drohende Schließung des "Club 88" zu protestieren. Die Gaststätte dient den Neonazis der Region seit mehreren Jahren als Anlaufstelle und Rekrutierungsfeld, mit der sie versuchen unter den Jugendlichen der Stadt Fuß zu fassen. Ein massives Aufgebot von über 1.000 Polizei- und BGS-Beamten ermöglichte den Glatzköpfen einen ungehinderten Demonstrationsverlauf.

An einer Kundgebung des Neumünsteraner Bündnis gegen Rechts im Vorfeld des Nazi-Aufmarsches beteiligten sich im strömenden Regen rund 1.000 Menschen, die z.T. auch aus den umliegenden Städten angereist waren. Neben verschiedenen antifaschistischen Gruppen und Organisationen hatte v.a. auch die IG Metall nach Neumünster mobilisiert. Selbst der SPD-Landesvorstand hatte zur Teilnahme an den antifaschistischen Protesten aufgerufen. Mancher SPD-Mandatsträger musste sich dem Vernehmen nach zum Demonstrieren "verdonnern" lassen.

Im IGM-Landesbezirk Küste hat es in der jüngsten Zeit einiges an Lernprozessen gegeben. Vor nicht all zu langer Zeit hat man das antifaschistische Engagement einiger weniger Funktionäre noch eher versucht zu bremsen. IGM-Bezirkschef Frank Teichmüller räumte auf der Neumünsteraner Kundgebung ein, er selbst habe das Problem lange Zeit unterschätzt: "Wir haben zu lange geglaubt, es sind nur Einzelfälle. Wir haben zu lange weg schauen wollen, um nicht den Ruf unserer Stadt zu schädigen." Erst die jüngste Diskussion und auch die massiven Drohungen gegen den IGM-Sekretär in Elmshorn haben in der größten deutschen Einzelgewerkschaft zum Umdenken geführt, so dass Gewerkschaftsmitglieder, die aktiv werden wollen, jetzt mit aktiver Unterstützung ihrer Organisation rechnen können.

Vertreter der Einwanderer in Neumünster und antifaschistische Gruppen wiesen in ihren Kundgebungs-Beiträgen darauf hin, dass das Klima, in dem der rechte Terror gedeiht, bestimmt wird von der Diskriminierung von Einwanderern und Flüchtlingen. Es müsse daher endlich ein Antidiskriminierungsgestz her. Auch die Landesregierung und Stadtverwaltungen trügen Verantwortung, in dem z.B. ein neuer Abschiebekanst gebaut wird, oder mit der schikanösen Behandlung auf den Ausländerämtern. Es sei außerdem ein Unding, dass fast 10% der Bevölkerung das Wahlrecht vorenthalten werde.

Prominenteste Kundgebungsrednerin war Ministerpräsidentin Heide Simonis, die die Bürger zur Zivilcourage aufrief. Zu den Forderungen an die Landesregierung mochte sie sich allerdings nicht äußern. Auch achtete sie sorgsam darauf, sich ein Hintertürchen zur Abgrenzung gegen Antifaschisten offen zu halten, indem sie von "Rechtsfaschismus" sprach.

Im Anschluss an die Kundgebung zog die Mehrheit der Teilnehmer in Richtung der Demonstrationsroute der Nazis. Weit kamen sie allerdings nicht. Die Polizei hatte den Weg, den die Glatzköpfe am Rande der Innenstadt nehmen sollten, weiträumig abgesperrt. Nur Anwohner konnten passieren. Vereinzelte Protestierer, die in dem Gebiet wohnten, oder sich irgendwie hatten durchmogeln können, wurden rücksichtslos entfernt, sobald sie sich vor den Zug setzten, der von einem Wasserwerfer eskortiert wurde. Augenzeugen berichten, dass sie zur Seite geprügelt, z.T. an den Haaren fortgeschleift und festgenommen wurden. Auch an den Absperrungen gingen Beamte aggressiv gegen Antifaschisten vor. Schon der Versuch, sich mit einer vors Gesicht gehaltenen Jacke vor der provokativen polizeilichen Observierung zu schützen, konnte zum Knüppeleinsatz führen. Greiftrupps u.a. der 4. Bereitschaftspolizei aus Niedersachsen und des BGS stürmten wiederholt im Laufschritt durch die Straßen außerhalb der Absperrung, um Jagd auf Langhaarige und türkische Jugendliche zu machen.

Insgesamt wurden auf diese Art rund 120 Antifaschisten festgenommen und erst nach Ende des Naziaufmarsches außerhalb der Stadt ausgesetzt. Festgenommene Neonazis wurden hingegen im Anschluss zu ihrem Treff, dem "Club 88", gefahren.

Einer der Festgenommenen berichtete, dass offensichtlich selbst das Bundeskriminalamt (BKA) aktiv geworden war. Er sei auf einer Namensliste mit angeblich "gewaltbereiten" Hamburger Antifaschisten aufgeführt gewesen, die die Wiesbadener BKA-Zentrale am Tag vor der Demonstration an die Neumünsteraner Polizei gefaxt hatte. Die Geheimdienst-Aktion der Wiesbadener richtete sich nach seiner Einschätzung gegen autonome antifaschistische Gruppen aus der Hansestadt.

Bei seiner Festnahme habe man ihm denn erklärt, gegen ihn liege eine Fahndung vor. Auf der Wache stellte sich das allerdings als falsch heraus. Offensichtlich war er im BKA-Computer nur zur Fahndung ausgeschrieben, weil er auf besagter Liste stand. Mehr zufällig habe er diese dann zu Gesicht bekommen und schätzt, dass ca. 40 Namen aufgeführt waren. "Sie sind doch ein Berufsdemonstrant", habe man ihm entgegengehalten, als er seine Freilassung verlangte. Anwesende Kripobeamte verweigerten die Annahme einer Beschwerde. Theoretisch habe er das Recht, aber in der Praxis sehe das nun mal etwas anders aus, wurde ihm beschieden. Er sei schließlich am späteren Samstagnachmittag zusammen mit den anderen Festgenommenen freigelassen worden und wolle nun in den nächsten Tagen eine Beschwerde wegen des Vorfalls einreichen.

Zum Abschluss des Tages versuchte dann noch ein Trupp BGS aus Ülzen, das Autonome Jugendzentrum der Stadt zu stürmen, weil dort "Gewalttäter" vermutet wurden. Nach einiger Zeit wurden sie dann aber offensichtlich "zurück gepfiffen".

Heide Simonis hat sich unterdessen bei den "Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten" für den Einsatz am Samstag bedankt. "Mit ihrer Hilfe sei es möglich, auch heute die Standpunkte friedlich in die Öffentlichkeit zu tragen", heißt es in einer Pressemitteilung ihrer Staatskanzlei. Näheres regelt das BKA.

(wop)

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