Internationales

Hintergrund:

Der Schuldenkrieg der Reichen gegen die Armen

Wenn sich Ende September die Spitzen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) in der tschechischen Hauptstadt mit den Vertretern der Mitgliedsstaaten treffen, dann wird es u.a. auch um die Weltschuldenkrise gehen, oder besser die anhaltende und stetig wachsende Schuldenlast der Entwicklungsländer. Gut 18 Jahre ist es her, dass zum ersten Mal eintraf, was bis dahin als unmöglich galt: Ein Staat erklärte seine Zahlungsunfähigkeit. Im August 1982 erklärte sich Mexiko außerstande, seine Auslandsschulden weiter zu bedienen und löste damit v.a. in Lateinamerika eine Lawine aus. Für einen Augenblick sah es so aus, als würde das internationale Finanzsystem in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, als würden die faulen Kredite, das Kartenhaus von Leihen und Verleihen der Bankenwelt zusammenbrechen lassen. Hektische Umschuldungsaktivitäten setzten ein und konnten die Lage schließlich stabilisieren. Den Preis bezahlten die Bevölkerungen der verschuldeten Staaten, doch das Wesentliche war erreicht. Die Schulden wurden wieder bedient und dort wo es absolut nicht mehr möglich war, finanzierten meistens die Steuerzahler in Nordamerika oder Westeuropa den Privatbanken die Ausfälle. Das Kreditrisiko wurde sozialisiert, die Gewinne privatisiert. Business as usual des kapitalistischen Krisenmanagements.

Im Rückblick nehmen sich die seinerzeitigen Dritte-Welt-Schulden von knapp 800 Mrd. US$ allerdings eher bescheiden aus. Um 3 bis 5% jährlich ist diese Summe seitdem gewachsen. Trotz aller Umschuldungsmaßnahmen. In Folge der Asienkrise hat es sogar noch einmal einen kräftigen Sprung um 13,7% gegeben. 1998 betrugen die Schulden der Entwicklungsländer, zu denen die Weltbank inzwischen auch Osteuropa und die Nachfolgestaaten der UdSSR zählt, nach Angaben des IWF rund 2,24 Billionen US$. 316 Mrd. US$ entfielen davon auf die Länder des ehemaligen Ostblocks. Im gleichen Jahr zahlten die Entwicklungsländer 287 Mrd. US$ an Zins und Tilgung.

Die Folgen dieser enormen Schuldenlast sind katastrophal: Die Schuldner-Staaten sind gezwungen wertvolle Ressourcen zu exportieren, um den Schuldendienst zu leisten. Bodenschätze werden verbraucht und als Rohstoffe ausgeführt anstatt im Lande veredelt zu werden, die besten Ackerböden sind für den Anbau so genannter Cash Crops, d.h. auf dem Weltmarkt gefragter Agrarprodukte, reserviert und fehlen der lokalen Bevölkerung für die Ernährung. In vielen Ländern gibt der Staat mehr Geld für die Befriedigung der Gläubiger als für Gesundheits- und Bildungswesen aus. In Äthiopien könnte z.B. eine bessere medizinische Versorgung jährlich 100.000 Kinder retten, die an Durchfallerkrankungen sterben. Das UN-Entwicklungsprogramm schätzte 1997, dass mit den staatlichen Mittel, die in Afrika in die Bedienung der Kredite fließen, für 90 Mio. Mädchen und Frauen eine Grundausbildung finanziert werden könnte. Und trotz dieses Missverhältnisses sind viele afrikanische Staaten kaum in der Lage, auch nur die Zinsen zu zahlen. In der Folge hat sich von 1990 bis 1996 die Verschuldung des subsaharischen Afrikas verdoppelt. 1997 betrugen die Auslandsschulden dieser Länder im Mittel 71% ihres Bruttosozialprodukts, womit die Region die höchste relative Verschuldung in der Dritten Welt aufweist. An der Gesamtschuldenlast der Entwicklungsländer hat diese Region mit ca. 10% nur einen vergleichsweise geringen Anteil, was zeigt, dass es zur Beurteilung der Auswirkungen der Verschuldung nicht so sehr auf die absoluten Zahlen, sondern das Verhältnis von Auslandsverbindlichkeiten zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ankommt,

Auch für die Gläubigerbanken ist die Schuldenhöhe nicht das eigentliche Problem - schließlich sind auch die meisten Industriestaaten hoch verschuldet. Schwierigkeiten entstehen erst, wenn die Schuldner an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. Da die Privatbanken sich allerdings schon seit langem aus den besonders kritischen Regionen weitgehend zurückgezogen haben, hält sich für sie das Problem in Grenzen. Afrikas Gläubiger sind überwiegend Industriestaaten oder die Internationalen Finanzinstitutionen wie die Weltbank und der IWF, in denen die Industriestaaten zusammen das Sagen haben.

Der Begriff Krise ist daher im Grunde genommen irreführend, impliziert er doch eine vorübergehende Erscheinung, an deren Überwindung zudem ein allgemeines Interesse besteht. Tatsächlich ist jedoch weder das eine noch das andere auszumachen. Zum einen kann bei 18 Jahren Dauer nicht mehr von einem zeitlich befristeten Ereignis die Rede sein, zumal ein Ende der prekären Verschuldung der Länder des Südens nicht in Sicht ist. Zum anderen ist nicht zu ersehen, weshalb die Gläubiger im Norden ein Interesse an der Beendigung dieses profitablen Zustandes haben sollten, so lange die Kredite mehr oder weniger zuverlässig bedient werden. So kann man weiter Zinsen einstreichen und hat in den meisten imperialistischen Staaten zusätzlich noch die Möglichkeit, einen mehr oder weniger großen Teil der Kreditsumme als Verlust steuerlich abzuschreiben, ohne sie den Schuldnern tatsächlich zu erlassen. Zum normalen Gebaren von Geschäftsbanken gehört es, dass für wackelige Kredite Rückstellungen gemacht werden, um sich gegen etwaige Zahlungsunfähigkeit des Schuldners abzusichern. Die meisten Industriestaaten haben sogar verbindliche Regelungen, die den Banken Rückstellungen für Kredite an staatliche oder private Abnehmer in Entwicklungsländern vorschreiben. Das profitable für die Banken daran ist, dass sie diese Beträge teilweise als Verlust abschreiben können und somit den zu versteuernden Gewinn vermindern. Die Höhe der Abschreibungsmöglichkeit variiert von Land zu Land und ist in Deutschland am höchsten. Allein in Japan ist den Banken dieser Weg, ihr Risiko auf den Steuerzahler abzuwälzen, versperrt.

Nehmen dem ökonomischen Aspekt hat die Verschuldung der so genannten Dritten Welt auch einen wichtigen politischen Effekt: Je tiefer die Staaten Lateinamerikas, Afrikas und Südostasiens in der Schuldknechtschaft verstrickt sind, desto gefügiger sind sie - notgedrungen - gegenüber den Wünschen der Gläubigerstaaten. Wer auf das nächste Umschuldungsprogramm wartet, wird sich hüten in internationalen Verhandlungen "falsch" abzustimmen, wird sich verkneifen müssen, die Märkte der heimischen Industrie durch Schutzzölle vor der übermächtigen Konkurrenz aus den Industriestaaten zu schützen.

So ist denn auch zu beobachten, dass seit Anfang der 80er Jahre sich der internationale entwicklungspolitische Diskurs vollkommen umgekehrt hat. In den 70ern hatten die Forderungen der Entwicklungsländer nach einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung dominiert. 1976 waren auf der vierten Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) beschlossen worden, ein Paket internationaler Abkommen zur Stabilisierung der Rohstoffpreise zu entwickeln. Durch Kartelle sollte der zunehmende Verfall der so genannten Terms of Trade aufgehalten werden, der dazu führte, dass die Entwicklungsländer immer mehr Bodenschätze und Agrarprodukte für die gleiche Menge von Investitionsgütern aufbringen mussten. Das Vorhaben scheiterte am hinhaltenden Widerstand des reichen Nordens. Statt dessen konnte dieser mit dem Einsetzen der Schuldenkrise nun mehr die Bedingungen diktieren. Statt neuer Weltwirtschaftsordnung mit vernünftigen Preisen für die Hauptexportgüter des Südens setzte er nun Freihandel auf die Tagesordnung, d.h. der Markt soll es richten. Das Ergebnis: Die Preise für Erze, Bananen, Kaffee und ähnliches verfallen weiter.

Die seit 1982 mehreren hundert Umschuldungsmaßnahmen dienten auf der anderen Seite u.a. auch dazu, die Öffnung der Grenzen der Schuldnerländer für Konsumgüter aus dem Norden zu erzwingen, ein Motiv übrigens das schon im neunzehnten Jahrhundert hinter der Eroberung mancher Kolonie gesteckt hatte. An den Umschuldungsprogrammen, denen zumeist die Unterwerfung unter die berüchtigten Strukturanpassungsprogramme des IWF vorausgehen, ist besonders augenfällig, dass die Gläubiger auf zwei ehernen Prinzipien bestehen: Erstens werden alle Maßnahmen von Fall zu Fall entschieden, d.h. eine umfassende, eine Länder übergreifende Regelung des Schuldenproblems wird bewusst nicht gesucht. Zweitens bestehen die ihrerseits gut organisierten staatlichen (Pariser Club) und privaten (Londoner Club) darauf, mit jedem Land einzeln zu verhandeln, was deren Position fast ausweglos macht. Zur finanziellen Abhängigkeit kommt die diplomatische Unterlegenheit.

Erst in jüngster Zeit beginnen die Entwicklungsländer in der Gruppe der 77 (G77) wieder etwas enger zusammen zu rücken und zeigen so, dass auch nach 18 Jahren Schuldknechtschaft die Macht des Nordens keinesfalls umfassend ist. In den WTO-Verhandlungen in Seattle im Dezember 99 gelang es der G77 erstmals den nordamerikanischen und westeuropäischen Freihandelspiraten eine empfindliche Niederlage zuzufügen.

Zu den Profiteuren dieses Systems der permanenten Verschuldung gehören übrigens v.a. deutsche Konzerne und Banken. Erstere profitieren v.a. in Ost- und Südostasien von der vom IWF erzwungenen Öffnung der Aktienmärkte und haben nach dem Ausbruch der 97er Krise v.a. in Südkorea so manches Schnäppchen gemacht. Letztere sind mittlerweile nach den japanischen Banken die Nummer zwei unter den privaten Gläubigern. 1997 haben sie den US-Banken diesen Rang abgenommen. Mit 105,5 Mrd. US$ standen 1997 Länder aus dem Süden bei der Deutschen Bank & Co. in der Kreide. Das waren immerhin 14% aller privaten Kredite. Noch nicht eingerechnet sind dabei die russischen Schulden, die hauptsächlich in Deutschland aufgenommen wurden und durch die Asienkrise sprunghaft angestiegen sind.

Die deutschen Banken waren nach dem Ausbruch der Schuldenkrise 1982 die einzigen, die ihr Engagement in der Dritten Welt ausweiteten. Während v.a. die US-amerikanische Konkurrenz auf die Bremse trat, konnten die Frankfurter Banker sich scheinbar nicht schnell genug ins Risiko stürzen. Von 1982 bis 1990 haben sie die Summe der an Entwicklungsländer vergebenen Kredite um 150% ausgedehnt. Einen weiteren Schub gab es in den 90ern. In den Jahren vor dem Ausbruch der Asienkrise halfen deutsche Banken nach Kräften mit, die Spekulationsblase an den liberalisierten Finanzmärkten Südostasiens aufzublähen, in dem sie Kredite vergaben, ohne sich viel um Sicherheiten zu kümmern. Der Umfang ihrer Forderungen wuchs in nur drei Jahren von 1994 bis 1997 von 17,7 auf 48,7 Mrd. US$.

Ein wesentlicher Grund für diese Sorglosigkeit bei der Kreditvergabe, die einen erheblichen Anteil am Ausbruch der Krise in Südostasien hatte, dürfte in den einzigartigen Abschreibemöglichkeiten liegen, die Banken in Deutschland haben. Susan George schätzt in ihrem Buch "Der Schuldenbumerang", dass die Steuerersparnisse deutscher Geschäftsbanken aufgrund von Rückstellungen nahezu doppelt so hoch sind, wie die ihrer europäischen oder amerikanischen Konkurrenten. Alleine zwischen 1987 und 1990 sind es nach ihren Angaben 10 bis 16,7 Mrd. US$ gewesen. Genau lässt sich das nicht sagen, weil die Banken in der Regel keine Angaben über die Höhe ihrer Rückstellungen machen. Anzumerken ist, dass diese Gewinne nicht an die Schuldner weiter gegeben werden.

Neben den deutschen Privatbanken hat auch die Bundesregierung erhebliche Forderungen gegenüber den Entwicklungsländern. 1997 beliefen sie sich auf immerhin 59,8 Mrd. DM und spülten über eine Milliarde DM allein an Zinszahlungen ins Staatssäckel. Die Außenstände stammen v.a. aus Entwicklungshilfekrediten und zu einem kleineren Teil aus dem Erbe der DDR (5,5 Mrd. DM). 17 Mrd. DM gehen auf das Konto von Hermesbürgschaften, die die Bundesregierung für Exporte in Länder des Südens übernimmt. Zahlen die Empfänger dort nicht, bekommen die deutschen Unternehmen das Geld von der Bundesregierung, die dann eine Forderung an den Bezieher der Ware hat.

In letzter Zeit ist die Schuldenproblematik v.a. im Zusammenhang mit den G7-Gipfeln in Köln 1999 und Okinawa in diesem Jahr wieder ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. In Köln wurde mit großem propagandistischem Aufwand eine Entschuldungsinitiative verabschiedet, die allerdings nur einen Teil der Schuldnerländer, die hochverschuldeten armen Länder (HIPC, Heavily Indebted Poor Countries) betrifft. Diese Staaten, die oftmals nicht einmal mehr in der Lage sind, die Zinsen zu zahlen, gelten als so wenig kreditwürdig, dass selbst die deutschen Banken meistens ihre Finger davon lassen. Von den 201 Mrd. US$, die die 40 Staaten dieser Gruppe 1997 an Schulden angehäuft hatten, hielten Privatbanken nur 24%. Der Rest war bei multilateralen Institutionen wie dem IWF oder bei Staaten aufgenommen. Eine Entschuldung wäre hier also besonders einfach durchzuführen.

Aber auch diesen Staaten, die gegenwärtig für den Schuldendienst mehr als die Hälfte ihrer Exporterlöse aufbringen müssten, sollen nicht vollkommen von der Last befreit werden. Es geht lediglich darum, die "Tragfähigkeit" der Schulden wieder herzustellen, d.h. die Verbindlichkeiten sollen soweit reduziert werden, dass der Rest bedient werden kann. Die Weltbank, die bereits 1996 eine Initiative für die HIPC gestartet hat, verbindet ihre Teilentschuldungsprogramm zwar mit Forderungen zur Armutsbekämpfung, ändert jedoch nichts an den makroökonomischen Rahmenbedingungen. Die Wirtschaft der Staaten wird weiter auf den Export orientiert, um die Restschulden zu begleichen. Die mit viel Tamtam angekündigte Kölner Initiative besteht lediglich darin, die ältere Weltbankinitiative noch einmal aufzustocken, sodass irgendwann einmal der Schuldendienst um insgesamt ca. 55 Mrd. US$ reduziert sein wird. Bis dahin ist es für die Staaten, die durch einen aufwendigen Antragsprozess gehen müssen, allerdings noch ein langer Weg. Nur neun von 40 Staaten haben sich bisher für einen Schuldenerlass qualifiziert, und auch denen wird im Schnitt nur 35% der Last gestrichen, wie UN-Generalsekretär Kofi Anan in einer bitteren Kritik an den Ergebnissen des G7-Gipfels auf Okinawa im Juli feststellte.

Die internationale Kampagne für die Streichung der Dritte-Welt-Schulden, Jubilee 2000, sprach denn auch von einer vertanen Chance. Sie fordert von den G7-Staaten die sofortige Streichung aller illegitimen Schulden, die nur auf Kosten der Gesundheits- und Bildungssysteme zurückgezahlt werden können, und die Entkoppelung von den Strukturanpassungsprogrammen als ersten Schritt. Vor allem, so Jubilee 2000, bräuchte es einen unabhängigen Mechanismus für die Regelung des Schuldenproblems, in dem die G7-Staaten nicht mehr gleichzeitig als Richter und Interessenpartei auftreten können. Während des Kölner G7-Gipfels hatte es innerhalb der Kampagne noch erhebliche Spannungen darüber gegeben, ob man die G7-Initiative begrüßen sollte. Inzwischen hat sich die Sichtweise der Bewegungen aus dem Süden weitgehend durchgesetzt, die die Legitimität der Dritte-Welt-Schulden insgesamt in Frage stellt und die HIPC-Initiative als vollkommen unzureichend ansieht. Besonders in Afrika arbeiten die Mitgliedsorganisationen von Jubilee 2000 daran, die Regierungen zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen. Mit einigem Erfolg: 40 afrikanische verlangen inzwischen die vollständige Streichung aller Schulden.

(wop)