Antifaschismus

Zur Debatte um "staatlichen Antifaschismus":

Frage nach den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen

In einem Beitrag für die letzte LinX hat H. Errrossi unseren Redebeitrag auf der antifaschistischen Kundgebung in Neumünster am 16.9. kritisiert. In seinem "aus der Hüfte geschossenen Diskussionsbeitrag" moniert er v.a. den Bezug auf den Begriff "Zivilcourage" und die Forderung nach der Durchsetzung eines Verbots faschistischer Organisationen. Schließlich hofft er auch, dass sich aus diesem Beitrag möglicherweise eine "schriftliche Diskussion über linksradikale/antifaschistische Politik" ergibt. Diese ist in der Tat notwendig. Und wir verstehen sowohl unsere jüngsten Veröffentlichungen als auch unsere langjährigen und vielseitigen praktischen antifaschistischen und antirassistischen Aktivitäten als Beiträge zu dieser Debatte.

Zu dieser Diskussion gehört aber auch die Frage, warum der größte Teil der linksradikalen Gruppen in diese gesellschaftliche Debatte nicht eingreift, sondern etwa mit Verweis auf auch von H. Errrossi formulierten Anmerkungen ("Antifaschismus" diene heute der Entwicklung der autoritären Kontrollgesellschaft im Sinne der Erfordernisse des Turbokonkurrenzkapitalismus) öffentlich de facto gar nicht mehr auftritt. Das ist bedauerlich, denn die Erfahrungen, die wir in den letzten Monaten in den konkreten antifaschistischen Auseinandersetzungen gemacht haben, zeigen uns, dass es Suche nach Orientierung gibt. Der Entwicklung einer richtigen Strategie in den antifaschistischen und antirassistischen Auseinandersetzungen und der Ausweitung des Einflusses linksradikaler Kräfte ist diese politische Abstinenz wohl nicht förderlich.

Ohne Zweifel ist es richtig, dass die inzwischen recht verbreitete Parole "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" als Beschreibung des Substrats des Nationalsozialismus taugt. Sie mag auch für manche als "Legitimation (auch militanten) antifaschistischen Vorgehens von unten" (H. Errrossi) gelten. Politisch bedeutsamer aber ist, dass diese Position, mit der den FaschistInnen die Ausnutzung demokratischer Rechte verwehrt werden soll, inzwischen beträchtlich weiter verbreitet ist als noch vor Jahresfrist. Lange ist dafür in der antifaschistischen Bewegung gekämpft worden, u.a. gegen Totalitarismus-"theoretische" Sichtweisen, aber auch gegenüber denjenigen, die darin eine politische Meinung gesehen haben. Wenn eine solche Charakterisierung als verbrecherische politische Strömung nicht nur auf dem Papier stehen soll, dann muss es in einer bürgerlichen Gesellschaft auch im Rechtssystem fixiert werden. Entsprechend sind ja die NSDAP und andere faschistische Organisationen auch von den Alliierten verboten worden. Auch H. Errrossi wird vermutlich die Ansicht teilen, dass die herrschende Klasse noch immer über das Gewaltmonopol verfügt, d.h. über einen Verwaltungs-, Polizei- und Justizapparat, der dieses Land im wesentlichen kontrolliert und als einzige Kraft in der Lage ist, bestimmte Entscheidungen über einen längeren Zeitraum durchzusetzen und zu garantieren.

Die antifaschistische Bewegung hat bei ihren insgesamt nur geringen politischen und praktischen Mitteln nur die Möglichkeit, dieses Gewaltmonopol gelegentlich - in besonders günstigen Situationen - zu durchbrechen, für kurze Zeit selbst die Gewalt auszuüben und bestimmte Entscheidungen unmittelbar zu verwirklichen. Dies gilt etwa für Straßenblockaden wie in Neumünster am 2.9., mit der die Fortsetzung des Nazi-Aufmarsches durch die Innenstadt unterbunden wurde.

Solche Veränderungen haben jedoch nur eine kurze Lebensdauer. Deshalb treten wir für zweierlei ein - und versuchen dies entsprechend unseren Möglichkeiten auch praktisch zu organisieren. Erstens: den Staatsapparat über den Druck einer breiten und entschlossenen Massenbewegung zur Durchsetzung der jeweiligen Forderung zu zwingen. Dies mag in Gesetzen oder Erlassen einen Niederschlag und in einer konkreten Anwendungspraxis ihren Ausdruck finden - in jedem Fall kommt in ihnen ein gesellschaftliches Kräfteverhältnis zum Ausdruck, das für eine gewisse Zeit Gültigkeit hat - bis sich eine der beteiligten Kräfte stark genug glaubt, dieses wieder zu seinen Gunsten zu ändern. Deshalb geht es zweitens darum, den Kampf so konsequent und realistisch zu führen, dass er den politischen Einfluss der revolutionären Linken vergrößert, indem insbesondere die Lohnabhängigen mehr und mehr davon überzeugt werden, dass eigene Organisation, revolutionäre Strategie und entschlossenes Auftreten gegen die Faschisten und den Staatsapparat sinnvoll und notwendig sein können, um die eigenen Klasseninteressen und emanzipative Ziele durchzusetzen.

Dass die Wirkung staatlicher Verbote stark davon abhängt, wie stark oder schwach die faschistischen Organisationen entwickelt sind, haben wir an anderer Stelle herausgestellt. Nun geht es bei einer Verbotskampagne eben nicht darum, dem Staatsapparat die Handhabung des Verbots zu überlassen. Wenn wir die Verbotsforderung stellen, dann im Zusammenhang mit einem Katalog ganz konkreter Maßnahmen, die auf den Kern der Nazi-Szene zielen. Diese Zielrichtung zum Maßstab staatlichen Handelns zu machen, ist eine wichtige Voraussetzung, um die Inkonsequenz der bürgerlichen "Maßnahmenkataloge gegen rechts" verdeutlichen und in den politischen Auseinandersetzungen Orientierung bieten zu können. Wenn H. Errrossi nun meint, daraus den Vorwurf der Anbiederung an die Macht ableiten zu können, so zeigt das im wesentlichen sein unzureichendes Verständnis von (revolutionärer) Strategie und Taktik.

Ob die Forderung nach einem Verbot faschistischer Parteien oder ein entsprechendes Verbot selbst zu einem starken Staat führen, wie H. Errrossi befürchtet, hängt nicht von dieser Forderung, sondern von der Eindeutigkeit, Selbstständigkeit, Stärke und Entschlossenheit einer antifaschistischen Massenbewegung ab. Statt die "aktuellen Machtverhältnisse" pauschal als Argument (?) ins Feld zu führen, ist es - sofern man sich für den Bewusstseinsstand der antifaschistischen Bewegung außerhalb der eigenen Szene interessiert und Veränderungen im Vorgehen des Staatsapparates nicht für ausgeschlossen hält - für die Bestimmung der richtigen antifaschistischen Taktik wohl zunächst notwendig, sich über folgende Punkte zu verständigen:

- über den Entwicklungsstand des faschistischen Lagers (wie gefestigt sind sie, welchen Einfluss haben sie in der Bevölkerung, welche Tendenzen sind zu erwarten),

- die Situation der antifaschistischen Bewegung (zahlenmäßige Stärke, analytische Klarheit, Entschlossenheit und Verfügbarkeit über Druckmittel wie Massendemonstrationen, Streiks usw.) sowie

- über die Position des kapitalistischen Staatsapparates zwischen offen terroristischer Klassenherrschaft und bürgerlich-demokratischer Integrationspolitik. (Auch hierzu haben wir uns andernorts bereits in Ansätzen geäußert.)

Zu einer politischen Bestimmung der Aufgaben und des Auftretens im antifaschistischen Kampf gehört auch das Bewusstsein davon, dass der antifaschistische Kampf ein Abwehrkampf ist. Schon deswegen muss hier das Bündnis mit allen gesucht werden, die ebenfalls ein Interesse an der Abwehr der faschistischen Gefahr haben. Dies sind bei weitem nicht nur Linksradikale. Bündnispolitik ist gerade in diesem Politikfeld dringend geboten. Es ist ein schwerwiegender Denkfehler - der auch in der Stellungnahme von H. Errrossi implizit vorhanden ist -, die radikale Linke bzw. die autonome Antifa könne allein die Faschisten schlagen. Dies ist beim augenblicklichen Kräfteverhältnis völlig ausgeschlossen, aber es fehlt dort auch jedes Konzept, wie denn jemals deutlich mehr Menschen für dieses Vorgehen gewonnen werden könnten.

Es mag mit Blick auf Simonis eine unglückliche Formulierung sein, sie zu Zivilcourage aufzufordern. Entscheidender ist, dass wir in der Verwendung der Begriffe "Zivilcourage" und "ziviler Ungehorsam" sowie mit der Propagierung und Organisierung einer eigenständigen antifaschistischen Bewegung einen Ansatz sehen, langfristig sowohl den Bewegungsspielraum der Faschisten einzuschränken als auch Illusionen in die Neutralität des Staates aufzuweichen. Propaganda alleine reicht da nicht. Es bedarf auch der eigenen politischen Erfahrung der Massen - sowohl gegenüber dem Staatsapparat als auch gegenüber dem Opportunismus der Reformisten. Wenn schon die reformistischen Kräfte mit allerlei Tricks versuchen, uns, die linken Organisationen, auszugrenzen und uns organisatorisch kalt zu stellen, dann spielt der Rückzug anderer linker/linksradikaler Gruppen aus der konkreten Auseinandersetzung dieser Taktik in die Hände und schwächt die antifaschistische Bewegung. Dies ist der Hintergrund, warum solche Aktionen wie in Neumünster so wichtig und die sichtbare Beteiligung von Linksradikalen notwendig ist - ob unter dem Label "Zivilcourage" oder einem anderen.

Abschließend ein offensichtlich notwendiger Hinweis: Reden sind nicht dasselbe wie programmatische Äußerungen. Diese werden nicht auf Reden bei Demonstrationen entwickelt, sondern sind - jedenfalls was uns betrifft - anderswo nachzulesen. H. Errrossi ist eingeladen, hierzu Stellung zu nehmen. Die Rede des Avanti-Vertreters in Neumünster ist vom dort anwesenden Publikum anders aufgenommen worden. Gerade nicht als Verbrüderung mit Simonis, sondern als eine deutliche Kritik an der herrschen-den Politik, als das Aufzeigen der Handlungsmöglichkeiten und Versäumnisse der herrschenden Politik sowie als Aufforderung an die Demo-TeilnehmerInnen zum eigenen, zivilcouragierten Handeln. Ein Redetext ist kein wissenschaftlicher Aufsatz, in dem jede These haarklein untersucht werden muss, sondern er muss anhand seiner Wirkung - auf das jeweilige Publikum! - beurteilt werden. H. Errrossi mag mit dem Verhalten des Publikums oder mit der entstandenen politischen Lage unzufrieden sein - es steht ihm frei, bei nächster Gelegenheit eine eigene Kundgebung oder die Besetzung der Bühne eines ihm nicht genehmen Bündnisses zu proben. Die politische Isolation ist garantiert.

(AVANTI - Projekt Undogmatische Linke)