Herr, send' Hirn!

ParteisoldatInnen erfüllen Parteiaufträge. Eigentlich eine simple Sache. Doch der Teufel steckt bekanntlich oft im Detail. Dass Günther Schabowski, wie jüngst nochmal in dem als Doku-Soap der "Einheit" (man könnte das auch Annexion nennen) auf arte und ZDF ausgestrahlten "Deutschlandspiel" kolportiert wurde, einfach nur eine Nachricht etwas zu früh an die Presse brachte und damit dem "deutschen Schicksalsdatum" 9. November noch eine weitere Variante namens "Zusammenlegung jetzt!" hinzufügte, muss als teuflischer GAU gelten. Selbst wenn dahinter kein verschwörerisch konter-revolutionärer Kapitalisten-Teufel steckte, sondern nur ein "einfach ziemlich dumm Gelaufen". Dennoch, auch nach solchen Irrtümern steht die Schaffung allgemeiner Glückseligkeit oder wie Marx es sagte, die "Abschaffung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist", weiter auf der Tagesordung. Umso freudiger sieht man den TV- und Plakat-Werbespot von "Kinder-Überraschung", der neuerdings mit den Worten "im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit" anhebt. Der Geist der Jungen Pioniere "in a nutshell", in einem Ei vor dem Huhn und voller Überraschungen? Leider nicht, denn im Schoko-Milch-Panzer von Ferrero befindet sich nach wie vor der Abraum der ix-ten Vermarktung eigentlich unverkäuflicher Gimmick-Ware. Sozialismus ist eben doch mehr als eine "Kinder-Überraschung", auch nach der Überwindung seiner "Kinderkrankheiten".

Das weiß eigentlich auch Gregor Gysi, der die Pressekonferenz zu seinem Abschied aus dem Amt des Fraktionsvorsitzenden im Bundestag zu einem leidenschaftlichen Appell für "Sozialismus in der Mitte der Gesellschaft" stilisierte. Tenor: "Wer die Gesellschaft verändern will, muss Teil der Gesellschaft sein." Gysi ist ein brillanter Rhetoriker, insofern klingt das erstmal sehr logisch. Doch der "Teil der Gesellschaft", den die "neue PDS" v.a. auf dem von der SPD auf ihrem (seit 1914) kurzen Marsch in die "neue Mitte" verwaist gelassenen Feld sucht, ist leider nicht sozialistisch, sondern eben ex-sozialdemokratisch. So schlau Gysis Analysen sein mögen, dass die "1-Prozent-Partei" im Westen anders agieren müsse als die "20-Prozent-Partei" im Osten - wie ein Damokles-Schwert dräut hier das Menetekel Godesberg, das bei der PDS, die ja eine Ost-Partei ist, nunmehr Cottbus heißen wird. Der "lange Marsch" der PDS "zu sich selbst" - das nicht nur körperliche, sondern auch ideologische Abspecken des Fischerismus lässt grüßen - wird also in einem anderen "Selbst" münden. Da hält man es doch lieber mit dem immer noch linken Verleger Klaus Wagenbach, der neulich in einer Sendung über "die Zukunft des Buches" (ganz anderes Thema, hängt aber zusammen) wusste, dass "das Neue immer auf leisen Sohlen und vom Rand her kommt". Die Mitte aber, verehrter Genosse Gysi, ist nicht der Rand und sie schreit sehr laut.

Richtig hat Gysi allerdings in seiner Rede bemerkt, dass die Partei dazu tendiere, sich "eher mit sich selbst" als mit wichtigen gesellschaftlichen Fragen zu beschäftigen. Beim schleswig-holsteinischen Ableger der demokratischen Sozialisten wirkt sich das zuweilen richtiggehend niedlich aus. Auf der Suche nach politischer Identität hat die Redaktion des Parteiblattes "Rundbrief" jetzt ihre Liebe für "unser Land" entdeckt. Auf dem Titel des "Rundbrief" prangen ein Leuchtturm, der Umriss des Landes - mit Landeswappen! - und das Holstentor. Sieht aus wie der Titel eines Heimat-Magazins. Ist auch eines. Im Editorial lesen wir die entsprechende Erklärung: "Das Cover mit den Umrissen von Schleswig-Holstein soll unsere Landeszeitschrift auf dem Einheitsmarkt in Berlin am 3. Oktober als solche erkennbar machen." So habe man "neben unserem (sic!) Wappen das Lübecker Holstentor sowie den Leuchtturm Westerheversand auf der Halbinsel Eiderstedt, der schon seit 1908 in Betrieb ist, mit aufgenommen". Im Gegensatz zum standhaften Jever-Leuchtturm ist die PDS S.-H., Aktions-orientierte Ausnahmen einzelner BOs und Mitglieder bestätigen die Regel, allerdings auch knapp 10 Jahre nach ihrer Gründung immer noch außer Betrieb.

(jm)