Debatte

Offener Brief der PDS-Gruppe Neumünster an die PDS-Programmkommission

Liebe Genossinnen und Genossen vom PDS-Parteivorstand!

Auch wir haben in unserer PDS-Gruppe die Diskussion über ein aktualisiertes Parteiprogramm begonnen und die "Thesen der Programmkommission" intensiv bearbeitet sowie diskutiert. Leider erfüllt die Vorstellung, dass diese "Thesen" demnächst tatsächlich "Programm" der PDS werden könnten, alle Mitglieder unserer Gruppe mit großer Sorge und hat schon vorab zu einer Verunsicherung bezüglich des sozialistischen Charakters der PDS geführt! Ohne in den Verdacht zu geraten, es handele sich bei den Mitgliedern unserer Gruppe um "besser-wessige, pubertierende Mensa-Genossen", lasst uns daher die wesentlichen Grundzüge unserer Bedenken kurz charakterisieren:

1. Politisches Ziel einer sozialistischen Partei in Deutschland kann doch nur sein, die im Sinne von Marx entfremdenden und ausbeuterischen kapitalistischen Strukturen der Gesellschaft zu überwinden und stattdessen für die gesellschaftliche Durchsetzung sozialistischer, d.h. nicht kapitalistischer (!), gesellschaftlicher Strukturen national wie v.a. auch international zu arbeiten.

2. Eine sozialistische Partei, die sich zwar noch "sozialistisch" nennt, aber das sozialistische Ziel nicht mehr ehrlich verfolgt, hört auf, eine wirkliche sozialistische Partei zu sein, und betreibt allenfalls noch "Etikettenschwindel" (siehe SPD seit spätestens 1914!).

3. SPD wie auch Bündnis 90/Die Grünen haben ihre ehemals zumindest bürgerlich-"linken" Positionen aufgegeben und sind nach "rechts" zur bürgerlichen "Mitte" marschiert. Viel zu viele Formulierungen in den "Thesen" erwecken den Eindruck, politisches Ziel der PDS sei es nun, den frei gewordenen Platz am linken Rand des bürgerlichen Spektrums zu besetzen und damit lediglich die "wahre, bessere SPD" zu werden. Die grundlegenden inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen den PDS-"Thesen" und z.B. dem "Godesberger Grundsatzprogramm" der SPD von 1959 sind für uns erschreckend!

4. Ziel der PDS kann es nicht sein, ihren sozialistischen Charakter aufzugeben, um sich linken Sozialdemokraten und linken Grünen sowie Gewerkschaftern besser andienen zu können. Im Gegenteil sollten wir uns stets darum bemühen, diese gesellschaftlich wichtigen Gruppen für sozialistische, also antikapitalistische PDS-Positionen zu gewinnen!

5. Sozialismus bleibt für viele Menschen die einzige Hoffnung und gesellschaftliche Alternative zum kapitalistischen Weltsystem! Um diese Menschen für aktives politisches Engagement zu gewinnen, müssen gerade auch die in der Öffentlichkeit (Medien) agierenden Politikerinnen und Politiker der PDS viel mehr über Sozialismus reden und das kapitalistische System fundiert kritisieren! Wie formulierte es einst sogar Olof Palme, der schwedische Sozialdemokrat: "Wenn wir nicht mehr vom Sozialismus zu reden wagen, hat der Gegner halb gewonnen!"

6. Nichts gegen eine praktische, die Lage der Menschen täglich verbessernde, konkrete soziale Reformpolitik innerhalb des kapitalistischen Systems! Ohne Anbindung an das politische Gesamtziel, nämlich die Überwindung des Kapitalismus, degeneriert sie jedoch zu bloßem System stabilisierenden Reformismus (erneut: siehe SPD!).

So viel zunächst an grundsätzlichen Gedanken zum Sinn und Zweck einer sozialistischen Partei in Deutschland. Und natürlich haben uns aufgrund unserer Sorgen die "Anmerkungen" der Kritiker wesentlich besser gefallen, als das, was in den "Thesen" zu lesen ist. Abschließend möchten wir an alle Genossinnen und Genossen der PDS appellieren, sich z.B. auch durch das Schreiben von Leserbriefen aktiv an der Programmdebatte zu beteiligen. Lasst uns hier in der schleswig-holsteinischen "PDS-Diaspora" nicht in unserer eigenen Meinung schmoren! Wir möchten im "Disput" noch mehr über eure Ansichten zur Programm-Debatte erfahren! In diesem Sinne mit sozialistischen Grüßen

Eure Genossinnen und Genossen der PDS-Gruppe in Neumünster/Holstein

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