PDS-Parteitag

"Dieser Parteitag ist eine Zäsur"

Die PDS wechselte am Wochenende auf ihrem Parteitag im brandenburgischen Cottbus nahezu die gesamte Führungsriege aus. Zur neuen Vorsitzenden wurde erwartungsgemäß die Chefin der PDS-Landtagsfraktion in Thüringen, Gabi Zimmer, gewählt. Sie erhielt rund 93% der Stimmen. Einen Gegenkandidaten hatte es nicht gegeben. Der bisherige Vorsitzende Lothar Bisky war nach acht Jahren im Amt nicht mehr angetreten. Zu stellvertretenden Vorsitzenden wurden Dieter Dehm aus Hessen, der das Amt bereits zuvor inne hatte, Petra Pau aus Berlin und Peter Porsch aus Sachsen gewählt. Porsch ist Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes sowie der dortigen Landtagsfraktion und steht wie Zimmer für eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. Ämterhäufung ist bei den demokratischen Sozialisten offensichtlich längst kein Thema mehr.

Als einzige Vertreterin der kommunistischen Plattform wurde Sarah Wagenknecht in den Bundesvorstand gewählt. Zuletzt war die Plattform dort von Michael Benjamin vertreten worden, der im Sommer diesen Jahres verstorben ist.

Auch ein anderer Landesfürst ist in den neuen Vorstand aufgerückt: Helmut Holter, der in Mecklenburg-Vorpommern mit der SPD koaliert und stellvertretender Ministerpräsident seines Bundeslandes ist. Holter war in die parteiinterne Kritik geraten, da die SPD-PDS-Koalition der Steuerreform der Bundesregierung, die unter anderem die Spitzensteuersätze abgesenkt hat, in der zweiten Parlamentskammer, dem Bundesrat, zugestimmt hatte. Die Einladung zu den Gesprächen über die Rentenreform, die die PDS als Gegenleistung von Bundeskanzler Schröder erhielt, bezeichnete Holter als "Riesenerfolg". Einige aufmüpfige Süddeutsche hatten auf dem Parteitag ein Transparent mit der Aufschrift "Abschiebung ist Folter - auch unter Holter" aufgehängt, das bereits nach wenigen Minuten entfernt wurde. Damit wollten sie darauf aufmerksam machen, dass auch unter der Mitverantwortung der PDS in Mecklenburg-Vorpommern Flüchtlinge abgeschoben werden, oftmals direkt in die Hände ihrer Peiniger.

Doch derlei Themen spielten auf dem PDS-Parteitag keine Rolle. Zwar verabschiedete man aus Anlass der jüngsten Welle faschistischer Gewalttaten eine längliche Resolution mit dem Titel "Die PDS und der Antifaschismus". Doch wird darin eine spezifisch ostdeutsche Perspektive eingenommen, in der die Opfer des rechten Terrors nicht einmal am Rande vorkommen und die staatliche Politik der Entrechtung und Diskriminierung von Einwanderern und Flüchtlingen nahezu unerwähnt bleibt. Weder die über 80 Toten, die seit Beginn der 90er an der neuen Ostgrenze als Folge der Abschottungspolitik starben, noch die Verweigerung der Bürgerrechte gegenüber den Einwanderern werden angesprochen.

Äußerungen des neuen Vorsitzenden der PDS-Bundestagsfraktion, Roland Claus, auf dem Parteitag lassen vermuten, dass dies kein Zufall ist: "Zu warnen aber ist auch hier vor jeder Form des Avantgardismus. Wir brauchen einen gewinnenden, werbenden - und keinen ausgrenzenden Antifaschismus. Ich will mit der Bundesregierung den Rechtsextremismus bekämpfen - nicht mit dem Thema Rechtsextremismus die Bundesregierung. Wir können bei diesem Thema selbstverständlich auch die demokratischen Konservativen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Gemeinsam müssen wir die Demokratie schützen." Die "demokratischen Konservativen" streiten sich dieser Tage übrigens gerade darum, ob sie die nächsten Wahlkämpfe zu Kampagnen gegen Zuwanderung machen sollen, wie der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Merz fordert.

Claus ließ im übrigen, wie auch der von ihm, Zimmer und dem neuen und alten Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch eingebrachte Leitantrag keinen Zweifel daran, worum es der PDS-Führung im Kern geht: "Wir werben um Partner in der Gesellschaft, öffnen uns der Gesellschaft, weil wir wissen: Ohne gesellschaftliche Mehrheiten wird es eine Mitte-Links-Politik nicht geben." Wer sollen diese Partner sein? Claus: "Schon heute gilt: Die PDS setzt sich ein für: Mittelstand und Kleinunternehmen, Innovative Zweige, Verfechter regionaler Wirtschaftskreisläufe, umweltorientierte Unternehmen und erst recht den öffentlich geförderten Sektor. Nicht wenige Unternehmerinnen und Unternehmer sehen in der PDS einen möglichen Partner und keinen Bremserverein."

Gewerkschaften tauchen in dieser Aufzählung nicht auf, wie auch die neue Vorsitzende es schaffte in den 45 Minuten ihrer Vorstellungsrede nicht einmal die organisierte Arbeiterschaft zu erwähnen. Vielleicht, weil die PDS inzwischen eine "sozialistische Volkspartei" ist, wie sie die Delegierten wissen ließ? Ihre Kritiker, die allerdings in Cottbus kaum die Gelegenheit hatten, sich zu artikulieren, fragte sie: "Wollt ihr den Streit um eine bessere Gesellschaft - oder wollt ihr eine andere Partei, die nicht sozialistische Volkspartei sein will." Wobei festzuhalten ist, dass es in der PDS bisher keinerlei Diskussion um diesen Begriff gegeben hat, geschweige denn eine entsprechende programmatische Festlegung, dass man anstrebe eine "Volkspartei" zu sein.

Auch ansonsten hat die Neue es offensichtlich sehr mit dem Volk, und zwar vor allem dem Deutschen: "Demokratische Sozialisten sind Teil dieses Volkes ...", schwärmte sie den Delegierten vor, ohne mit einer Silbe auf die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs im deutschen Sprachgebrauch einzugehen. Dass das kein Ausrutscher war, lassen Ausrufe wie "Deutschland ist schön." vermuten. "Georges Marchais, der langjährige Vorsitzende der französischen KP, schloß jede Parteitagsrede mit dem Satz: Vive la France! Vive la France! würde ich mir hier auch noch trauen."

Wer weiß, vielleicht traut sich Zimmer auch bald anderes. Als Motto des Parteitages wählte man jedenfalls schon mal "... dass ein gutes Deutschland blühe.", ein Brecht-Zitat. Angesichts der jüngsten Terrorwelle hätte natürlich auch "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch." gewählt werden können, aber das hätte womöglich den geladenen Gästen von CDU bis Bundeswehrverband ("Eine Art Soldatengewerkschaft", so Gysi) nicht behagt. Und so richtig volksverbunden wäre es schließlich auch nicht gewesen.

"Dieser Parteitag ist eine Zäsur", meinte Zimmer zum Schluss ihrer Rede und hatte damit durchaus Recht. Die Vorsitzende der sozialistischen Partei eines führenden imperialistischen Landes im Herzen Europas schaffte es in einer 45minütigen Grundsatzrede Worte wie Gewerkschaft, EU, Weltwirtschaft, Neoliberalismus, Rüstung und Nato nicht ein einziges Mal zu gebrauchen. Die bedrückende Lage der Einwanderer, ja ihre bloße Existenz, blieb eben so unerwähnt. Das Wort Globalisierung kam immerhin ein einziges Mal in einem Nebensatz vor.

Dafür hatte die Kandidatin aber ein paar Visionen zu bieten: "Stellt euch Deutschland in ein oder anderthalb Dekaden vor", rief sie den Parteitag auf. "Noch liegt Krieg in manchen Teilen der Erde in der Luft - und die Bundesrepublik tut nicht mit. Als Zivilmacht setzt sie auf präventive Konfliktvermeidung und nicht auf militärische Konfliktlösung. Und ihr internationaler Einfluss könnte zusammen mit dem anderer Friedenskräfte den Krieg als Mittel der Politik mehr und mehr ausschließen. Mit dem Süden aber übten wir kräftige Solidarität."

Schöne Träume. Aber wenn man weder die reale Aufrüstung, noch die deutschen Großmachtambitionen und -interessen beim Namen benennt, statt dessen lieber ein bisschen deutschtümelt sowie mit aller Macht ins Koalitionsbett strebt, so lassen solch Träumereien den umbefangenen Beobachter eher ins Gruseln, als ins Schwärmen geraten.

Dem Parteivolk scheint es allerdings anders zu ergehen: Die Delegierten honorierten den Zimmer'schen Realitätsverlust mit stehenden Ovationen und einem Lied auf den Lippen.

(wop)

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