Aus dem Kieler Rat

Abfallwirtschaftsbetrieb:

Privatisierung verschoben, aber nicht aufgehoben

Man sollte Gutachter werden, dieser Job scheint einträglich, selbst bei Fehlen jeglichen Sachverstands. Ähnlich peinlich wie einst die Präsentation des WIBERA-Gutachtens ("Diese Folie ist leider nicht mehr auf dem neuesten Stand, ich zeige sie Ihnen trotzdem, auch wenn wir ihre Aussage bereits revidieren mussten, sie genau genommen eigentlich überhaupt nicht mehr stimmt ...") ist das Gutachten zur wirtschaftlichen Effektivität des städtischen Abfallwirtschaftsbetriebs (ABK) ausgefallen. Der Teufel steckt eben immer im Detail, und darin hatten die Gutachter - wohlgemerkt: es handelt sich um Wirtschaftssachverständige - leider mal eben Brutto mit Netto verwechselt. In einem Schreiben an die Verwaltung und an die Vorsitzenden der Ratsfraktionen teilte man mit, dass die "Endfassung" des Gutachtens "keine uneingeschränkte Empfehlung zur Teilprivatisierung enthalten" werde. Grund: Bei einer Privatisierung spart die Stadt nicht wie im Entwurf angekündigt 10 Mio. DM jährlich, sondern nur rund 3,5 Mio. DM. Im Gegensatz zu einem kommunalen Betrieb müsse ein privatisierter jedoch Mehrwertsteuer zahlen. Die liege ebenfalls bei rund 3,5 Mio. DM. Der "geldwerte Vorteil" eines Teilverkaufs würde also "im ungünstigsten Fall auf Null sinken" und lasse "keinen greifbar deutlichen Vorteil der Privatisierungslösung erwarten".

Die Schuld für die falsche Berechnung weisen die Gutachter der Firma White & Case Feddersen weit von sich. Im Bereich Gehwegsreinigung hatten sie das größte Einsparpotenzial ausgemacht, ausgehend von 55.000 jährlichen Gehwegskilometern. Ein Mitarbeiter des ABK habe sie auf die Tatsache hingewisen, dass in Wirklichkeit 110.000 km pro Jahr gesäubert würden, genau die doppelte Zahl. Weil man auf Seiten der Verwaltung dennoch unbedingt privatisieren will, man hat ja nach der Verscherbelung von Alten- und Pflegeheimen, KWG und Stadtwerken geradezu Übung darin, nahm man den Gutachtern den Rechenfehler allerdings nicht allzu übel. Das Gutachten enthalte "nach wie vor wertvolle Aussagen, um den ABK zu optimieren", ließen sogar die Grünen verlauten, die sich für eine Betriebsoptimierung ohne Privatisierung aussprechen.

Entsprechend stellten die Öko-Liberalen in der Ratsversammlung vom 19.10. einen Antrag, um, so Lutz Oschmann, "den Schwung der Debatte um den ABK dazu zu nutzen, auch die Mitarbeiter zu Verbesserungen zu motivieren". Darin fordern die Grünen neben dem "Aufbau einer wirtschaftlichen Steuerung", eines "marktorientierten Vertriebes für alle Dienstleistungen des ABK" und der "möglichen Flexibilisierung von personellen und sachlichen Kapazitäten" (ein schöner Euphemismus für Arbeitsplatzabbau) die Einrichtung eines Lenkungsausschusses, in dem die Werkleitung, der Personalrat und je ein Mitglied der Ratsfraktionen vertreten sein sollen. Der Ausschuss solle eine "verpflichtende Zielvereinbarung zu Einsparpotenzialen, Einnahmeverbesserungen und Optimierungsmaßnahmen" erarbeiten und der Ratsversammlung zur Beschlussfassung vorlegen. Klingt neoliberal, ist neoliberal, auch wenn die Grünen damit der drohenden Privatisierung den Wind aus den Segeln nehmen wollen.

Diese Absicht roch auch Wirtschaftsdezernent Heinz Rethage, unbedingter Verfechter der Privatisierung, der sich nach dem Rückzieher der Gutachter etwas auf verlorenem Posten sah, und plädierte für die Ablehnung des grünen Antrags. Die Ratsversammlung habe nicht die Aufgabe, sich in den "operationellen Wirtschaftsablauf des ABK einzumischen". Man könne jetzt überhaupt nichts Genaues sagen, zuvor müsse ein "genauer Leistungskatalog" erstellt werden. Der grüne Ratsherr Rainer Pasternak wunderte sich in einer Zwischenfrage an Rethage: "Das kann doch nicht sein, dass die Stadt für einen Eigenbetrieb keinen Leistungskatalog in der Schublade hat." Doch Rethage musste gestehen: "Wir haben die Kostenrechnungen nicht in ausreichender Tiefe", wie die fehlerhafte Kilometerzahl bei der Gehwegsreinigung zeige. Überhaupt gehe es "noch nicht um die Frage Privatisierung oder nicht". Vielmehr, so versuchte Rethage das fehlerhafte Gutachten zu retten, zeige es "ohne jeden Vorwurf an die Werksleitung ganz normale Einsparpotenziale auf". Die Teilprivatisierung sei die "Maximallösung". "Die Zustimmung aus der Belegschaft für eine Betriebsoptimierung ist für mich allerdings die Minimallösung."

Die ABK-Personalratsvorsitzende Hella Dahlheimner hatte Zustimmung für den grünen Antrag signalisiert: "Das Know-how für eine Optimierung ist im ABK vorhanden". So laufen Abwehrkämpfe heutzutage auf Arbeitnehmerseite, man solidarisiert sich mit der am wenigsten schlechten Lösung. Am Tag vor der Ratsversammlung hatte der Personalrat der Werksleitung, die unter andauerndem Beschuss Rethages steht, den Rücken gestärkt. Die Belegschaft werde den Optimierungsprozess "intensiv unterstützen". Mit vereinten Kräften lasse sich der ABK auch ohne Privatisierung optimieren: "Die Politik muss uns nur optimieren lassen statt uns auszubremsen", sagte Dahlheimer bei einer Betriebsversammlung. Rethage sieht das anders, in der Werksleitung fehle "kaufmännisch-unternehmerisches Talent".

Der Antrag der Grünen nebst einem Alternativantrag der CDU wurde in den Wirtschaftsausschuss überwiesen.

(jm)