Antifaschismus

"Die checken einfach nicht, dass wir die Guten sind"

Linksradikale Vollversammlung zum Thema "Übernimmt der Staat den Antifaschismus?"

Eine Vollversammlung zum fragwürdigen Antifa-Hype der letzten Monate zu veranstalten, war ein Versuch. Ein Versuch in mehrerlei Hinsicht:

Würden die Reste der radikalen Linken in Schleswig-Holstein überhaupt Bedarf haben an einem Treffen, auf dem nicht wie üblich schön reaktiv die nächste Aktion geplant, sondern schlicht die Debatte über ein kontroverses Themas geführt werden würde?

Lässt sich bei einer landesweiten Veranstaltung auf Anmoderation, Gesprächsleitung und RednerInnenlisten verzichten?

Kann die Debatte statt durch das Verlesen von trockenen Positionspapieren auch durch ein szenisches Theaterstück in Gang gebracht werden?

Um es vorweg zunehmen: Unter rein "formalen" Gesichtspunkten war dieser Versuch auf jeden Fall gelungen: Mensch wollte diskutieren und kam zahlreich nach Kiel (ca. 80 Personen). Erstaunlicherweise blieben auch ohne RednerInnenliste und eingreifende "Moderatorin" die üblichen Rededuelle von Szene-Platzhirschen aus, die verschiedensten Leute artikulierten sich, es wurde einander zugehört, mensch ließ sich ausreden und in Sternstunden der VV (leider nicht immer) wurde sich sogar aufeinander bezogen. Das kleine Theaterstück zum Einstieg - 3 Linke mit unterschiedlichen Positionen und Herangehensweisen diskutieren die verschiedenen Aspekte der "Regierungs- und Medien-Antifa" - war ein richtiger Kracher, der die Diskussion schnell in Schwung brachte. Beigetragen zum organisatorischen Erfolg der VV hat sicher auch das Rübenmus-Catering der Neumünsteraner GenossInnen.

Zum Inhalt:

Beim erwähnten Einstiegs-Theaterstück wurden drei unterschiedlichen Positionen vertreten. Ganz grob - auch wenn viele jetzt aufjaulen werden - waren das:

1. Die Einschätzung, dass es zunächst erst einmal positiv zu bewerten sei, dass das Thema Stiefelnazi-Terror ein Thema für Medien und Regierung ist und sich mehr Menschen gegen Rechts engagieren. Ungeachtet evtl. anderer Motive, müsse man die Situation nutzen, seine linksradikalen Positionen in Bündnisse hineintragen, diese dadurch beeinflussen und gerade anpolitisierten Menschen die "richtigen Argumente" liefern und dadurch letztendlich auch wieder "mehr werden". Außerdem sei doch für jedes potentielle Opfer von Nazi-Schlägern ein Rückgang des Straßenterrors wünschbar. Auch wenn dieser Produkt des von Schröder eingeforderten "Aufstands der Anständigen" ist und letztlich dem Ansehen Deutschlands und seiner Exportquote nützt.

2. Die zweite Position verweist darauf, dass vor eineinhalb Jahren die rot-grüne Regierung sich schon einmal antifaschistischer Begründungsmuster bedient hatte und mit dem Argument "Auschwitz" im Kosovo-Krieg geführt habe. Außerdem würden Antifa-Forderungen wie "Kein Fußbreit den Faschisten" verwässert und ihres Inhalts beraubt, wenn sie zu regierungsamtlichen Verlautbarungen werden. Perfide sei außerdem, dass der institutionalisierte Rassismus z.B. in Form von Abschiebungen parallel zum zelebrierten Befriedungsantifaschismus weiter auf vollen Touren laufe. Desweiteren wird hier die Gefahr gesehen, dass die "gegen Rechtsextreme" eingeführten Gesetzesverschärfungen nur einer allgemein stärkeren Repression und Überwachung dienen. Allerdings meinen auch die AnhängerInnen dieser Position, dass man den durch "Zivilcourage-Appelle" angesprochenen Menschen nicht mit Häme entgegen treten solle, sondern hier mit Aufklärung über die "wahren Motive" des Systems ansetzen sollte.

3. Die dritte Position geht im Großen und Ganzen von der selben Analyse wie 2. aus, will sich aber von diesem völlig umgewerteten Antifaschismus eindeutig abgrenzen und ihn zum politischen Angriffsziel erklären.

Die Diskussion auf der VV verlief auch größtenteils zwischen diesen 3 Positionen. (Der einzig richtig innovative Standpunkt war die Forderung nach Bewaffnung der Antifa auf Grund der Notwehrsituation, in der sich alle fortschrittlichen Menschen befänden.)

Eröffnet wurde die eigentliche Diskussion mit einer Frage aus dem Umfeld der Gruppe Avanti, deren Position - kein Geheimnis - in etwa der unter 1. skizzierten entspricht. Wo denn eigentlich der Staatliche Antifaschismus sei, wurde eher rhetorisch gefragt, man könne keinen Unterschied zu der Situation 1992 (nach Mölln) erkennen. Außerdem sei die Antifa-Arbeit in Neumünster und Elmshorn etwa durch den so genannten Hype unberührt geblieben. Schätzungsweise 2/3 der Anwesenden hielten es da eher mit der Einschätzung der Position 2., bzw. 3. Immer wieder als Gegenargument gebracht: Die Umwertung von Begriffen, der durch das Einfallstor "Rechtsextremismus" wachsende Repressionsapparat und die Kontinuität des institutionalisierten Rassismus. Dieser, so ein längerer Beitrag einer Genossin, sollte auch Hauptschwerpunkt linksradikaler Antifa-Arbeit sein, da hier schnell die Brüche zur "Staats-Antifa" offenbar werden würden.

Artikuliert wurde aber auch die Hilf- und Ratlosigkeit gerade der jüngeren Anwesenden. Die Tatsache, dass zivilcouragierte BürgerInnen nicht immer die Präsenz linker Antifas auf Demos goutieren, führte zu der Feststellung: "Die checken einfach nicht, dass wir die Guten sind."

Relativ schnell wurde die Debatte konkret: Soll mensch sich gemeinsam mit rot/grünen Kriegstreibern und CDU-Leitkultur-Freunden an einen Runden Tisch setzen? Sollten bei aller Kritik linksradikale Inhalte in die Demonstration am 9. November getragen werden oder solle man lieber ganz wegbleiben?

Schnell standen sich zwei scheinbar unversöhnliche Positionen gegenüber: "Auch Bündnisse mit bürgerlichen Parteien eingehen, u.. deshalb, weil das veränderte gesellschaftliche Klima den Terror gegen AusländerInnen, Behinderte etc. etwas eindämmt" vs. "Sich nicht vereinnahmen lassen, keine Imageplege für das rassistische und imperialistische Deutschland betreiben". Leider erst gegen Ende der Debatte wurde der Anfang gemacht, den Begriff linksradikale Antifa wieder mit anderen Inhalten zu füllen. (Selbstschutzgedanke, die Wiedererlangung der kulturellen Hegemonie bei Jugendlichen etwa durch linke Sportvereine).

Fazit: Aufgehoben wurden auf dieser VV weder die allgemeine Ratlosigkeit noch einige konträre Positionen. Dass die Diskussion überhaupt mal losgelöst von Aktionsdruck geführt wurde, bewerteten aber so ziemlich alle als positiv. Und jetzt würde "man wenigstens wissen", so eine Lübecker Genossin, "wer was vertrete, und mit wem man mehr zusammenarbeiten kann oder auch nicht". (cs)

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