Herr, send' Hirn!

Beim "Aufstand der Anständigen" am 9. November (nach Redaktionsschluss) werden sicherlich unter den RednerInnen auch einige gewesen sein, die man vor 25 Jahren eher im Kofferraum eines RAF-Kommandos als auf antifaschistischen Demonstrationen vermutet hätte. Nicht auszuschließen, dass an den zahllosen "Runden Tischen gegen Rechts" in Deutschland auch ein Vertreter des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) gesessen hat. Schließlich geht es auch hier um Standortfragen. Ansonsten treibt den BVMW dieser Tage das Thema "Zwangsarbeiter-Entschädigung" um. In einer Presseerklärung verwahrt sich der Verband gegen den Eindruck, "der Mittelstand stehe bei der Zwangsarbeiter-Entschädigung abseits und versage sich damit einer zentralen moralischen Verpflichtung". Der BVMW wartet auch mit überzeugenden Argumenten auf: Es gebe schließlich "Unternehmerfamilien, die noch heute guten Kontakt zu den betroffenen Familien haben und wo die so genannten Opfer glänzende Augen bekommen, wenn sie an die gute Zeit als Mitarbeiter eines deutschen Familienbetriebes denken." Und außerdem "hatten viele kleine Unternehmen eher die Aufgabe, die Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des täglichen Bedarfs sicherzustellen. Weil die Söhne der meisten Familien Wehrmachtsdienst zu leisten hatten, wurden den Unternehmen Zwangsarbeiter zugewiesen. Hier gab es in der Regel ein gutes Verhältnis zwischen zugeteilten Mitarbeitern und der Unternehmerfamilie." Mit solch gutem Gewissen lässt sich dann auch trefflich der Opfer, deren Augen schon lange nicht mehr glänzen, gedenken.

Und was ließ den HsH-Kolumnisten sonst noch verzweifeln? Ein wenig der Stand der Sexismus-Debatte im Bekanntenkreis: Die wirklich eklig perfide, gut zum Rollback passende neueste Werbung der Zigarettenmarke "Luckies" "Meckert nicht, hat nie Kopfschmerzen und sieht auch noch gut aus" wird als harmlos empfunden. Dass Alice Schwarzer dem umstrittenen jüdischen Foto- und meinetwegen auch Pornografen Helmut Newton ein "faschistisches Frauenbild" unterstellt, halten die selben Personen dagegen für richtig und nicht fragwürdig.

Wie schön, dass es auch noch Blödsinn gibt, der zur Stimmungsaufhellung beitragen kann: Produziert vom Kieler Dreamteam der Realsatire, den "Kieler Nachrichten", und OB ("der erste OB, mit dem man auch Radfahren kann") Norbert Gansel. Am 1.11. ließ es sich Gansel nicht nehmen einen von den Paralympics heimkehrenden Kieler Segler am Flughafen Holtenau zu begrüßen. Seiner leicht despotischen Art entsprechend fummelte er dabei besitzergreifend an der Goldmedaille des Behindertensportlers 'rum. Diesen historischen Augenblick lässt die KN fotografieren und das Bild für die Titelseite des nächsten Tages mit der Bildunterschrift: "Norbert Gansel prüft die Goldmedaille ..." versehen. Man kann sich richtig vorstellen, wie auch die Medaillen für Kiel zur Chefsache erklärt und eigenhändig geprüft werden: "Harr, Harr, während ich hier mein Tafelsilber verscheuern muss, lassen sich meine Sportler von den doofen Australiern nur Blech andrehen." (cs)

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