Kommentar

Knüppel harte Lightkultur

Der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Merz konnte es nicht ertragen, dass für einen Augenblick die öffentliche Debatte vom Vorgehen gegen den erstarkenden neofaschistischen Terror beherrscht war. Also musste ein Clou her, um sich wieder ins Gespräch zu bringen: Die Leitkultur. Den von Glatzköpfen und ihren beschlipsten Ideenlieferanten Gejagten und Drangsalierten ruft er zu: Hier ist Deutschland, passt euch gefälligst an!

Abgesehen von der hetzerischen Qualität, die ein solcher Vorstoß besonders in der gegenwärtigen Situation hat, da es in diesem Land nur noch wenige Plätze gibt, an denen sich jemand mit etwas dunklerer Haut- oder Haarfarbe noch sicher fühlen kann, fragt man sich, was das eigentlich sein soll, "deutsche Leitkultur"? Kohl'sche Wahrheitsliebe und Gesetzestreue? Merkel'sche Anmut? Saumagen? Bildzeitung? Die Toleranz christlicher Abtreibungsgegner? Die Tüchtigkeit deutscher Waffenexporteure? Big Brother?

Merz wusste, als er den Ball warf, dass es keine vernünftige Antwort auf diese Frage gibt. Aber die will er auch gar nicht haben. Es geht vielmehr darum, dass er und seines Gleichen bestimmen, was "Leitkultur" ist, und zwar von Fall zu Fall. Der Begriff ist dafür bestens geeignet und ganz wie Merz ihn braucht: Gummi weich und Knüppel hart zugleich.

Zunächst geht es gegen die Einwanderer. Wenn die Sprachprobleme haben, so eine von Merz' Botschaften, dann liegt das an ihrem mangelnden Eingliederungswillen und nicht etwa daran, dass es an Sprachkursen, bezahlbaren zumal, fehlt, oder es z.B. in Stadtteilen wie Gaarden zu wenig Lehrer gibt, die neu zugezogenen Kindern schnell genug Deutsch beibringen, damit sie in der Schule auch mitkommen.

Und die Gleichberechtigung der Geschlechter sollten "die Ausländer" doch gefälligst anerkennen, meint der Vertreter der Partei der Antifeministen, Abtreibungsgegner und zurück-an-den-Herd-Politiker. Schließlich wissen wir ja alle, wie rosig die Lage der deutschen Frau ist, während rund herum - im Ausland eben - ihre Geschlechtsgenossinnen gar sehr bedrückt leben. Dass sich eine führende Gestalt einer 40%-Partei solche Plattheiten überhaupt leisten kann, ist ein Zeichen unter vielen, dass es bei der ganzen Debatte besten Falls um Lightkultur gehen kann.

Aber eine Knüppel harte, wie gesagt. Hat die Gesellschaft das Prinzip erst einmal geschluckt, wird sich noch manch anderes Undeutsches finden lassen: Linke sind es sowieso, Demonstranten meist auch, Gewerkschafter können es, sind sie nicht schön brav, ebenfalls schnell wieder werden und Sozialdemokraten? Mal sehen, was die Zukunft bringt. Im Augenblick führen sie sich ganz gut. (wop)

 

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