Kultur

Fick mich! - scharlachrot

Der Film "baise-moi" - Porno oder Provo?

Hardcore gleich zu Beginn: Ein Rudel Männer greift sich zwei Frauen. Eine abgelegene Fabrikhalle - Vergewaltigung. In Szene gesetzt haben diese bestürzenden Bilder mit close-ups der Penetration keine männlichen Pornoproduzenten, sondern zwei Künstlerinnen: Virginie Despentes, französische Autorin des Romans "baise-moi", und die Regisseurin Coralie Trinh Thi. Als Hauptdarstellerinnen (Karen Bach und Raffaela Anderson) wählten sie zwei Porno-Schauspielerinnen. Die ficken, was die Möse und ihre Ballermänner hergeben. Denn die Männer, die sie sich vice versa zur Vergwaltigung am Anfang greifen, haben nach dem "cum shot" gewöhnlich eine Kugel im Kopf - oder im Arsch. Ein Skandal auf ganzer Linie. In Frankreich kam der Film auf Betreiben einer rechtsradikalen Gruppe subito auf den Index, darf nur noch in Pornokinos gezeigt werden, wovon es gerade mal noch sechs im ganzen Land gibt. Also praktisch Zensur, Verbot. In Deutschland darf man ihn auch im "normalen" Kino sehen (unter anderem lief er Ende Januar im Kieler Kommunalen Kino), "ab 18" versteht sich, eine Altersbegrenzung, die es in Frankreich nicht gibt, deshalb dort das vollständige Verbot.

Sex mit der Waffe in der Hand (Karen Bach in "baise-moi")

Auch das deutsche Feuilleton überschlug sich bei der Frage, ob baise-moi ein platter, Gewalt verherrlichender Porno, sozusagen "Thelma und Louise auf Hardcore" oder doch Kunst sei. Und plötzlich waren wir mitten drin in einer neuen Debatte um Pornografie. Die schien seit der apodiktischen "PorNo"-Kampagne der "Emma", seit Verbannungen von Kondomautomaten aus linken Szenetreffs (weil die "Mannomaten" den verwerflichen Sex mit Penetration fördern) und seit dem Aussterben des Diskurses über 70er Themen wie "freie Liebe" zumindest auf Seiten der mehr oder weniger stark feministisch angehauchten Linken erledigt. Jetzt erhitzt sie wieder die Gemüter - und vielleicht noch andere Körperteile. Dabei ist die Problemlage mehr als seltsam geschlechtsspezifisch. Hätte ein Mann solche Bilder gedreht, wäre der Fall klar. Allein, hier zeigen Frauen freimütig Hardcore, Gewalt, die ganze Pallette des Schmutzigen am Sex. Sind das nun "bad girls", die den männlich begierigen Blick auf das Objekt weiblicher Körper fortsetzen, auf die Spitze treiben, oder geht es um Kritik, am Ende gar den Entwurf einer weiblichen Sexualität, die sich statt tausend Mal beschworener Opferschaft auch die Täterin in der Frau zugesteht?

Und wenn das Feuilleton zwanzig Mal weiß, wie das zu bewerten ist (das linke Feuilleton - so es denn derlei gibt - blieb übrigens merkwürdig stumm), wenn diese Besprechung auch die eines Mannes ist, letztlich spricht der Film für sich - bereits die Vergewaltigungsszene am Anfang. Da gibt es zum einen das klassische Muster der Frau, die sich schreiend gegen den gewalttätigen Zugriff wehrt, die bestialisch geschlagen wird, gefilmt in Szenen, die auch Leuten mit einem stahlseilenen Nervenkostüm Ekelanfälle erzeugen dürften. Aber da ist auch Manu (Rafaella Anderson), die "es" geschehen lässt. Eine Frau, die die Opferrolle annimmt? Keineswegs, denn Manu dekretiert: "Meine Möse enthält nichts Wertvolles", das ein gewaltsam penetrierender Schwanz verletzen könnte. Und das stoische Geschehenlassen nimmt dem Vergwaltiger bald die Lust, er lässt ab. Eine Parabel darauf, dass es dem Vergewaltiger nicht um Lust und Sex, sondern um Macht geht. Aber ein Opfer, eine Frau, die sich stolz nicht wehrt, vereitelt die Machtausübung des Vergewaltigers.

Vielmehr - sie wird Täterin, Mörderin. In einer comichaft, zuweilen grotesken Übersteigerung eines in der Filmgeschichte sicher nur wenige Beispiele findenden Rausches, in dem Blut und Sperma massenhaft und Tränen selten, dann aber umso eindringlicher fließen. Wo liegt hier die Grenzüberschreitung? Vielleicht darin, dass Frauen in der Fratze des übergriffigen Mannes gezeigt werden? Aber sie werden auch miteinander gezeigt, als Zärtliche. Auch wenn eine Lesbenszene (neben fast manischem "Stellungswechsel", dem sich auch baise-moi in einer längeren Sequenz widmet) zum obligatorischen Repertoire jeden Billig-Pornos aus dem Videoshop gehört, hier zeigt sie vor allem den Unterschied zwischen feinsinnig elaborierter weiblicher Erotik und der Armseligkeit männlicher Erregung, die sich beim Zeigen berechenbarer Schlüsselreize einstellt. Kontraste, die fast einen feministischen old-school-Impetus haben, aber dennoch die Frage, was denn an Sexualität die ungemein und unbändige, vielleicht sogar revolutionäre treibende Kraft sei, auf verstörende Weise neu formulieren.

Ja, baise-moi reduziert die Frage nach dem Sex, die für gewöhnlich auch von Linken ganz bürgerlich zu zweit allein im Schlafzimmer geklärt (meistens aber noch nicht mal das) wird, auf das pure "Fick mich!" (die wörtliche Übersetzung von "baise-moi"). Ja, baise-moi parallelisiert die Ejakulation mit dem Geschoss, den Phallus mit der Knarre. All das platt, überdeutlich, manchmal abstoßend. Aber eben auch mit einer heilsamen Radikalität, die einen ebenso eingeschlafenen wie nach wie vor ungeklärten Diskurs neu in Gang bringen könnte. (jm)

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