Internationales

Notstand in Davos

Proteste gegen Weltwirtschaftsforum

In vielen Städten der Schweiz kam es am Wochenende zu massiven Protesten gegen das im Wintersportort Davos tagende Weltwirtschaftsforum. Rund 3000 Regierungs- und Wirtschaftsvertreter trafen sich dort, um über künftige Strategien zu beraten. Auch aus einigen europäischen Hauptstädten wie Warschau und Madrid wird über Proteste berichtet. Zu Solidaritätskundgebungen und Protesten gegen die Verletzung der Meinungsfreiheit in der Schweiz kam es auch im brasilianischen Porto Alegre, wo sich 10.000 Globalisierungsgegner aus aller Welt zum Weltsozialgipfel versammelt haben. (Siehe Artikel in dieser Ausgabe.) Das Weltwirtschaftsforum bringt jährlich die Spitzen der weltweit führenden Konzerne mit Regierungsvertretern und Managern der wichtigsten internationalen Organisationen wie der WTO, der OECD, der OPEC etc. zusammen.

Davos war unterdessen am Samstag von der Außenwelt nahezu abgeschnitten. Der Zugverkehr in das Domizil für Nobel-Touristen und die Nachbarorte wurde eingestellt und Zufahrtsstraßen von der Polizei abgesperrt. Die Behörden hatten ein Demonstrationsverbot verhängt. In den Vortagen war bereits an die Hoteliers des Ortes ein Schreiben der Kantonspolizei verschickt worden, das sie aufforderte, alle verdächtigen Personen zu melden. Auf Platz zwei der Verdächtigen-Charts rangieren bei der Kapo (wie sich die Graubündner Ordnungshüter sinniger Weise abkürzen) nicht-akkreditierte Journalisten.

Die Angst vor Protesten war groß. Die Polizei beschlagnahmte an den Straßensperren so gefährliche Gegenstände wie Flugblätter, Megaphone und Gasmasken. An der Grenze zu Italien und an der Grenze zwischen Liechtenstein und Österreich wurden mehrere Busse abgewiesen. Gegen die italienischen Demonstranten wurden dabei auch Wasserwerfer eingesetzt. Die Schweizer Behörden verfügten über Listen mit "unerwünschten Personen".

Trotzdem konnten mehrere hundert Demonstranten nach Davos durchdringen, wo wiederholt Wasserwerfer gegen sie eingesetzt wurden. Auch Teilnehmer eines international zusammengesetzten Gegenkongresses, der unter dem Titel "Public Eye on Davos" im Ort tagte, mussten unschöne Bekanntschaft mit eidgenössischen "Sicherheitskräften" machen, als sie sich den Protesten anschließen wollten. Selbst die bekannte indische Feministin und Ökologin Vandana Shiva wurde mit Polizeiknüppeln traktiert. "Ich habe ihnen meine Akkreditierung zum Forum gezeigt, aber sie hörten nicht auf, mich zu stoßen", berichtete sie der Presse.

Einer der Referenten des Kongresses, Adam Ma'anit vom Corporate Europe Observatory, einem unabhängigen Amsterdamer Institut, das sich auf Recherche über die europäischen Topkonzerne spezialisiert hat, war bereits am Freitag auf dem Weg nach Davos von der Polizei aus dem Zug geholt worden. Obwohl er Einladung und Hotelbuchung nachweisen konnte, wurde er des Landes verwiesen.

In Landquart, einem Nachbarort Davos, wurden etliche hundert Demonstranten am Bahnhof an der Weiterfahrt gehindert und mit Gummischrot beschossen. Als sie sich schließlich zur Rückfahrt nach Zürich entschlossen, wurden sie dort am Bahnhof wiederum von Polizei in Empfang genommen.

"Die Polizei dreht vollkommen durch", berichtete ein Augenzeuge auf den Internetseiten des unabhängigen Medienzentrums von den Vorgängen in der Nähe des Zürcher Bahnhofs am frühen Samstagabend. Es würde wahllos mit Gummigeschossen in die Menge gezielt, die auf über 1000 angewachsen sei. Mindestens zwei Demonstranten erlitten schwere Augenveretzungen, die noch in der Nacht operiert werden mussten. Aus dem Polizeiangriff entwickelt sich eine mehrstündige Straßenschlacht, bei der auch einige Autos in Brand gesteckt wurden.

In Genf hatten am Samstagnachmittag 200 Demonstranten das Hauptquartier der Welthandelsorganisation WTO gestürmt und in die Innenräume uriniert. "We are pissed off at the WTO, so we pissed on the WTO", war ihre Begründung. Sie protestierten u.a. gegen die Pläne, das nächste WTO-Ministertreffen im November dieses Jahres in Katar am Persischen Golf stattfinden zu lassen. Dort sei wegen der massiven Menschenrechtsverletzungen damit zu rechnen, dass alle Proteste verboten seien. (wop)

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