Umweltschutz

Bonner Klimakonferenz:

"Ihr seit die Verschmutzer, wir die Opfer"

Der Prozess der internationalen Klimaverhandlungen ist ins Stocken geraten. Im November letzten Jahres vertagte sich die Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP) ergebnislos. Ab Mitte Juli soll in Bonn ein neuer Anlauf gemacht werden, doch die Chancen stehen schlecht: Die US-Regierung hat bereits angekündigt, dass sie den 1997 in Kyoto ausgehandelten Vertrag nicht ratifizieren wird.

Milliarden Menschen, die auf exponierten Inseln oder in niedrig gelegenen Küstenregionen leben, haben allen Grund, langsam ungeduldig zu werden. Der Klimawandel, lange von Skeptikern - zumeist aus solidem materiellem Interesse - in Frage gestellt, ist im vollen Gange.

Dennoch scheuen sich die Industriestaaten, ihre besondere Verantwortung anzuerkennen. Das ist eigentlich nicht weiter verwunderlich, basiert doch das Herzstück der kapitalistischen Ökonomie, die Automobil- und Erdölbranchen, auf den fossilen Energieträgern, die für den Anstieg der atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen wesentliche Verantwortung tragen.

LinX sprach nach der letztjährigen Konferenz in Den Haag mit der indischen Wissenschaftlerin und Umweltschützerin Sunita Narain über die Verhandlungen, die Rolle der in der Gruppe der 77 und China (G77) zusammengeschlossenen Entwicklungsländer und über die Bedeutung der Frage der Gleichheit.

Sie ist Vizedirektorin des Center for Science and Environment (CSE) in New Delhi und eine langjährige Beobachterin der internationalen Klimaschutzverhandlungen. 1991 veröffentlichte sie zusammen mit ihrem CSE-Kollegen Anil Agarwal "Globale Erwärmung in einer ungleichen Welt". In dieser Schrift, die auch ins Deutsche übersetzt wurde, erklären die beiden indischen Wissenschaftler zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit, wie der Norden mit seiner verschwenderischen Lebensweise nicht nur das globale Klimasystem überbelastet, sondern auch den Umweltraum des Südens mitnutzt, jenen Anteil an den Treibhausgasemissionen, den das Klimasystem noch vertragen kann, und der den Menschen in den Entwicklungsländern zustünde.

Im Anhang veröffentlichen wir ein Glossar, das einige der verwendeten Fachbegriffe erklärt. (wop)

LinX: Seit Kyoto wird viel über den Handel mit Emissionen gesprochen. Wie steht das CSE dazu?

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Sunita Narain: Wir sind nicht per se dagegen. Wir denken nur, dass jede Form von Handel einen entsprechenden Rahmen braucht. Es stellt sich nämlich die Frage: Kann ich etwas verkaufen, das ich nicht besitze? Und was die Atmosphäre angeht, so beginnen heute Länder mit dem Emissionen-Handel, aber es gibt keine Zuteilung von Rechten und Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Atmosphäre. Für mich ist also jeder Emissionenhandel im Rahmen des Kyoto-Protokolls illegitim, da im gewissen Sinne Länder mit etwas Handel treiben, das sie nicht einmal besitzen.

LinX: Was meinen sie damit?

SN: Ich denke, dass endlich anerkannt und in die Verträge aufgenommen werden muss, dass die Atmosphäre ein globales Allgemeingut ist. Und das Klimaschutzregime, das für sie z.B. mit dem Kyoto-Protokoll errichtet wird, darf kein kolonialistisches sein, nach dem Motto, dir gehört, was du erobert hast. Wir leben in einer demokratischen Welt, und das bedeutet, dass jede Nation ein Anrecht am atmosphärischen Raum haben muss. Das ist das, was wir jetzt seit zehn Jahren den Regierungen sagen: Wir brauchen eine Zuteilung atmosphärischen Raumes auf einer Pro-Kopf-Basis. Jeder Mensch muss das gleiche Recht haben und die Nationen bekämen entsprechend ihrer Bevölkerungszahl Rechtstitel am atmosphärischem Raum, d.h. an den Emissionen, die das Klimasystem verträgt, zugeteilt. Das würde uns eine Reihe Anreize und Abschreckungsmechanismen liefern. Eine Nation, die ihren Anteil am atmosphärischen Raum überschritten hat, müsste Anteile anderer Nationen kaufen, die diese nicht ausgenutzt haben. Auch eine Art Emissionen-Handel, aber auf der Basis von Rechten und Verantwortlichkeiten.

LinX: Sind sie in diesem Sinne mit der Verhandlungsführung der G77 in Den Haag zufrieden?

SN: Nein, überhaupt nicht. Wir sind überzeugt, dass die G77 ohne eine Strategie in die Verhandlungen gegangen ist. Die Regierungen hatten sich keine Gedanken darüber gemacht, wie ihre Forderungen vorzubringen sind und welche Allianzen sie bilden muss. Ich hätte folgendes erwartet: Erstens hätte sich die G77 weniger Gedanken über Geld und Technologietransfer und mehr darüber machen sollen, wie ein ökologisch effektiver Klimavertrag auszusehen hat. Denn das ist nämlich im besonderen Interesse der G77, dass die Verträge auch tatsächlich ökologisch wirksam sind. Sie hätte daher von der Welt einen strengen Vertrag fordern müssen, ein Kyoto-Protokoll, an das sich gehalten wird, das überprüfbar ist und das ggf. Strafmechanismen wirksam werden lässt.

LinX: Frank Loy, der Chef der US-Delegation in Den Haag, sieht die finanziellen Mittel, über die diskutiert wurde, als eine Art Entwicklungshilfe. Teilen Sie diese Sicht?

SN: Nein, es geht um eine Schuld. Das ist genau was ich meine: G77 hätte nach Den Haag gehen sollen und sagen: "Wir sprechen nicht von Hilfe oder einem Almosen. Wir sprechen über die Tatsache, dass ihr die Atmosphäre verschmutzt habt und wir deshalb vom Ertrinken bedroht sind. Ihr seit die Verschmutzer und wir die Opfer. Deshalb geht es hier um eine Schuld. Ihr schuldet uns Geld, weil ihr den atmosphärischen Raum überausgebeutet habt."

LinX: Die Klimarahmenkonvention spricht von gemeinsamer aber unterschiedlicher Verantwortlichkeit. Was heißt das für Indien?

SN: Eins ist klar: Indien ist ein sehr armes Land, und seine Ausnutzung des atmosphärischen Raums ist sehr gering im Vergleich zum Rest der Welt. Es hat also keine bindenden Verpflichtungen. Ich sehe Indiens Verantwortung vor allem darin, Druck für ein effektiveres Klimaschutzregime zu machen, damit der Norden aus der Öl- und Kohlewirtschaft herauskommt. Außerdem ist es Indiens Verantwortung, anstatt nur in fossile Energieträger zu investieren, vom Norden zu verlangen, dass dieser für erneuerbare Energien in Indien bezahlt. Dann müssen wir nämlich nicht erst in die fossile Energiewirtschaft investieren, um später wieder auszusteigen. Indien hätte daher auf der Konferenz fordern müssen, dass nur regenerative Energie unter CDM gefördert werden darf.

LinX: Statt dessen hat Indien sich sehr für die Aufnahme von Atomenergie in den CDM eingesetzt.

SN: Genau. Nur die dümmste - und das können Sie wirklich so schreiben -, idiotischste und rückschrittlichste Regierung kann auf die Idee kommen, Atomenergie in den CDM aufnehmen zu wollen. Das haben wir der indischen Regierung vorgehalten und das werden wir ihr auch weiter sagen.

LinX: Sehen Sie eine Verbindung mit dem indischen Atomwaffenprogramm?

SN: Nein. So weit ich sehe, könnte es eine Verbindung zu der Tatsache geben, dass die US-Industrie durch den Nichtverbreitungsvertrag (NPT) umfangreichen Beschränkungen beim Verkauf von atomarer Technologie nach Indien unterworfen ist. Aber die USA sind in dieser Sache keineswegs die Saubermänner. Sie drängen darauf, die entsprechende Ausrüstung an Indien zu verkaufen. Indien und die USA gehen in dieser Frage zusammen ins Bett. Ich denke, es geht darum, dass CDM den Türöffner spielen könnte. Russland hat in jüngster Zeit einiges an AKW-Technologie an Indien verkauft und sagt, dass es sich in dieser speziellen Frage nicht an den NPT gebunden fühlt. Der andere potentielle Anbieter fühlt sich also ein bisschen benachteiligt und versucht Bündnisse mit der indischen Atomlobby zu bilden. Das ist im Wesentlichen, was da vor sich geht.

LinX: Wie sehen Ihre Erfahrungen mit Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus dem Norden aus?

SN: Sehr enttäuschend. Amerikanische NGOs und ihre europäischen Partner stehen im Wesentlichen der US-Regierung sehr nahe, und das ist eines unserer größten Probleme.

LinX: Auch die Europäer?

SN: Nicht so sehr wie die Amerikaner, aber die europäischen lehnen sich den US-NGOs an, sie sind eine Art Mitläufer (followers).

Alles worum es ihnen geht, ist, die USA zur Ratifizierung des Kyoto-Protokolls zu bewegen. Und offensichtlich meinen sie, dass alles, was gegen die Interessen der USA geht, diese von der Ratifizierung abhalten könnte. Sie sind also stets sehr beschützend, wenn es um die Wünsche der US-Regierung geht. Z.B. haben wir in den letzten drei Jahren während der Klimaverhandlungen immer wieder die Frage der Gleichheit auf den Tisch gebracht, und die US-NGOs haben sich geweigert, auch nur mit uns zu sprechen.

LinX: D.h. das Climate Action Network (CAN) spricht nicht mit Ihnen?

SN: Bis zur diesjährigen Konferenz in Den Haag, wo einige NGOs, die zu CAN gehören, erstmals die Frage der Gleichheit aufwarfen, hat CAN das Thema komplett ignoriert. Bisher haben sie nicht einmal darüber öffentlich gesprochen. Nehmen wir das Beispiel CDM. Wir haben schon 1998 in Buenos Aires darauf hingewiesen, dass CDM fehlerhaft und sogar kontraproduktiv ist, wenn es für die jeweils kostengünstigsten Lösungen genutzt werden kann, wie z.B. Kohlekraftwerke. CAN hat nicht einmal zugehört, so fixiert waren die US-NGOs darauf, CDM durchzubekommen.

Die US-NGOs sind stark in CAN vertreten und sehr darauf konzentriert, das Protokoll in den USA ratifiziert zu bekommen. Die europäischen NGOs auf der anderen Seite wollen die US-NGOs vor allem bei Laune halten. Die NGOs aus dem Süden schließlich sind sehr schlecht in CAN vertreten. Ich denke, dass es auf jeden Fall wesentlich mehr Anstrengung braucht, selbstbewussten NGOs aus dem Süden die Teilnahme an CAN zu ermöglichen.

LinX: Das ist sicherlich auch eine Frage des Geldes?

SN: Ja. Das Geld ist ein großes Problem. Schauen ie sich nur an, wie der Süden auf der COP vertreten war: Die USA haben 98 Delegierte geschickt, aber Indien nur 12. Das gleich gilt für NGOs. Wir sprechen von einer globalen Zivilgesellschaft, aber in Wirklichkeit ist es eine Zivilgesellschaft des Nordens. Wenn wir nicht ganz bewusst für den Aufbau personeller Kapazitäten und finanzielle Mittel sorgen, um wesentlich mehr NGOs aus dem Süden zu Konferenzen wie dieser zu bringen, wird die Welt niemals richtig auf ihnen vertreten sein. Und das ist genau das, woran es dem Verhandlungsprozess gebricht.

LinX: Wir danken für das Gespräch.


Was ist in Bonn geplant?

Die Klimakonferenz findet vom 16. bis zum 27.7. in Bonn statt. Das internationale Netzwerk The Rising Tide (Die steigende Flut) versucht Übernachtungsmöglichkeiten für Leute zu organisieren, die sich an den vielfältigen Protestaktionen beteiligen wollen. Am 15. soll eine Fahrradkarawane in Bonn eintreffen, am 16. ist eine Fahrraddemonstration geplant. Weitere Demonstrationen am 19., 21. und 27. Dazwischen Workshops und andere Aktionen. Weitere Infos bei The Rising Tide oder hier.

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