Atomkraft

AKW Brunsbüttel:

Russisch Roulette an der Unterelbe

Wie bereits in der letzten Ausgabe (LinX 3/2002) berichtet, ist es im Dezember im Atomkraftwerk Brunsbüttel zu einem Zwischenfall gekommen, den die Betreiber (Hamburger Electricitäts-Werke-HEW) zwei Monate lang fahrlässig heruntergespielt haben. Inzwischen hat auch das Bundesumweltministerium in einer Stellungnahme gegenüber dem Umweltausschuss des Bundestages festgestellt, dass der Siedewasserreaktor an der Unterlelbe nur haarscharf an einem schweren Unfall vorbeigeschrammt ist.

Schema des Vorfalls in Brunsbüttel

Am 14. Dezember hatten die Sensoren im Leitstand des AKWs gemeldet, dass innerhalb des Sicherheitsbehälters (siehe Abbildung) Flüssigkeit ausgetreten ist. Immerhin 200 Liter innerhalb von vier Minuten. Außerdem hatten die Sensoren eine Erschütterung im Sicherheitsbehälter verzeichnet. Beides wurde erst auf der besagten Ausschusssitzung vergangene Woche in Berlin bekannt. Die Leitung des AKWs hatte sich um diese deutlichen Hinweise auf eine Explosion nicht weiter geschert, sondern sich damit begnügt, zwei Ventile abzusperren. Ein weiterer Flüssigkeitsverlust wurde so unterbunden, womit man es zunächst bewenden ließ und nicht weiter nachschaute, was eigentlich passiert war. Drei Tage später meldete man den Fall der Kieler Aufsichtsbehörde im Ministerium für Finanzen und Energie und bestand darauf, dass es sich um eine normale Leckage gehandelt habe, deren Ursache man bei der regulären Revision im Mai auf den Grund gehen wolle. Zu der wäre der Reaktor turnusgemäß herunter gefahren worden.

Doch es kam anders. Das Kieler Ministerium zwang nach einigem Hin und Her HEW dazu, die Reaktorleistung runterzufahren, damit nach der Ursache geforscht werden konnte. Und siehe da: Man fand heraus, dass die Zuleitung zum Deckelsprühsystem "über eine Länge von zwei bis drei Meter völlig zerborsten war. Ca. 25 Trümmerstücke lagen im Umkreis der beiden Bruchstellen", wie es in der Stellungnahme des Berliner Ministeriums letzte Woche hieß. Der Reaktor wurde sofort vollständig runtergefahren. Jetzt soll nach den Ursachen der Explosion geforscht werden. Offensichtlich war es in dem Rohrsystem zu einer Explosion gekommen, und zwar von Wasserstoff, das in AKW diesen Typs durch radioaktive Bestrahlung des Wassers entsteht, aber eigentlich durch Katalysatoren neutralisiert werden sollte.

Allerdings ist das beschädigte Rohr selbst nicht unmittelbar für die Sicherheit des Meilers relevant, womit der Betreiber Hamburger Electricitäts-Werke (HEW) auch seine zweimonatige Untätigkeit begründete. Die besondere Brisanz des Vorfalles besteht jedoch darin, dass die Explosion nur wenige Meter weiter zum Reaktordruckbehälter hin hätte erfolgen müssen, um auch ein Ventil zu zerstören, das diesen verschließt. Die Folge wäre gewesen, dass das Wasser aus dem Primärkühlkreislauf als Dampf in den Sicherheitsbehälter entwichen wäre. Die Notkühlung hätte einsetzen müssen, um zu verhindern, dass die Brennstäbe freigelegt werden. (In einem solchen Fall würde die Kernschmelze einsetzen, wie seinerzeit in Tschernobyl.) Interessant die Einschätzung des Bundesumweltministerium: Die Funktionsfähigkeit der Notkühlung sei theoretisch erwiesen. Praktisch hat man sie in der Tat in einem solchen Falle nie testen können, da sie u.a. den gesamten Sicherheitsbehälter fluten und damit den Reaktor unbrauchbar machen würde. Bei Greenpeace wies man in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich erst im Sommer letzten Jahres herausgestellt hatte, dass das AKW Philippsburg 2 längere Zeit ohne eine ausreichende Menge Wasser im Notkühlsystem gelaufen war. Aber neben dem technischen Versagen gibt es auch noch die Möglichkeit, dass die Bedienungsmannschaft die Notkühlung unterdrückt, wie 1986 in Tschernobyl. Ähnliches hatte es auch 1978 in Brunsbüttel gegeben, als dort nach einem Leck an einer Dampfleitung das automatische Abschaltsystem manipuliert und der Reaktor noch drei Stunden weiter gefahren wurde.

Bei HEW scheint man indes von all dem unbeeindruckt. Vor den Bundestagsausschuss für Umwelt zitiert, habe sich HEW-Vertreter Härtel uneinsichtig gezeigt, berichtet die PDS-Abgeordnete Eva Bulling-Schröter. Im Bundesministerium denkt man mittlerweile darüber nach, "ob die Zuverlässigkeit des Betreibers noch gegeben ist", da "er trotz vorliegender Meldungen auf der Warte nur die harmloseste Variante unterstellt hat und nicht bereit war, unverzüglich eine Inspektion durchzuführen". Laut Atomgesetz ist die Zuverlässigkeit der Betreiber eine der Voraussetzungen für die Betriebsgenehmigung eines AKW. Fraglich ist allerdings, ob bei den gegebenen politischen Kräfteverhältnissen Betriebsgenehmigungen mit einer entsprechenden Argumentation zurückgenommen werden können. Der Kieler Energiestaatssekretär Willi Voigt verwies jedoch im Gespräch mit jungen Welt darauf, dass ein derartiges Verfahren bestenfalls dazu führt, dass in den Betreibergesellschaften einige Personen ausgewechselt würden.

In Deutschland werden fünf weitere Siedewasserreaktoren betrieben, und zwar die Meiler Gundremmingen 1 und 2, Phillippsburg 1, Krümmel sowie Isar 1, die jetzt nach dem Willen des Bundesministeriums untersucht werden sollen. Brunsbüttel solle erst wieder ans Netz gehen, wenn der Vorfall vollständig aufgeklärt ist. (wop)

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