Betrieb & Gewerkschaft

Tarifbewegung M+E Industrie:

Jetzt streikt’s

"Jetzt streikt’s" titelte metall-extra in der vor dem Streikbeginn am 6. Mai bundesweit in den Betrieben verteilten Ausgabe. Der 6,5 Prozent Forderung der IG Metall stand zuletzt ein 3-Prozent-Angebot von Gesamtmetall gegenüber. Die IG Metall hatte Kompromissbereitschaft bei vier Prozent signalisiert. In den zur Urabstimmung gerufenen Bezirken Berlin-Brandenburg-Sachsen und Baden-Württemberg votierten 85-90 Prozent der streikfähigen IGM-Mitglieder für Streik. 75 Prozent sind nach IGM-Satzung erforderlich! Die Wahlbeteiligung lag im Südwesten über 96 Prozent.

Soweit 12 Stunden vor Streikbeginn zum Redaktionsschluss der LinX bekannt, werden bis zum Erscheinen dieser Ausgabe in drei Tarifgebieten im Südwestbezirk in 80 Betrieben die Belegschaften tageweise gestreikt haben. Flexi-Streik nennt die IGM das Konzept der roulierenden Streiks in diesem Arbeitskampf. Bestimmte Betriebe sollen mehr als einmal zum kurzen Streik aufgerufen werden. Kein einfaches Unterfangen bei der "Wenn Streik – dann richtig!"-Stimmung unter den Organisierten!

Ein wesentlicher Grund für das Flex-Streik-Konzept ist der von der CDU/CSU/FDP-Regierung 1985, gegen massiven Widerstand vor allem der IG Metall, zum Anti-Streikparagraphen novellierte § 116 Arbeitsförderungsgesetz, der heute unter § 146 im Sozialgesetzbuch III steht: Bei streikbedingten Produktionsausfällen in anderen Betrieben erhalten die dort von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer kein Kurzarbeitergeld vom Arbeitsamt. Kalte Aussperrung genannt! Es bleibt ggf. nur der Weg zum Sozialamt, mit dem bekannten "Kopfstand" bezüglich der familiären Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Die amtierende SPD/Grünen-Regierung hat, der DGB Wahlhilfe zum Trotz, keine Rücknahme des Antistreikparagraphen in Aussicht gestellt!

Mit dem Flexi-Streik Konzept will die IG Metall Gesamtmetall Gründe (Logistikprobleme etc.) für Kalte Aussperrungen entziehen. Sollten die Kapitalisten stattdessen zum Mittel der Heißen Aussperrung greifen, hat die IGM vorsorglich mit einem "Flächenbrand" gedroht. Entgegen vorheriger Verlautbarungen hat Gesamtmetallpräsident Martin Kannegiesser, kurz vor der Urabstimmung, Gegenaussperrungen angedroht. Im Arbeitskampf 1984 in Hessen und Baden-Württemberg lag das Verhältnis von Streikenden zu Ausgesperrten bei 1:10!

Im Falle einer Streikausweitung über die beiden Tarifbezirke hinaus, könnte der schon favorisierte Bezirk Küste in die Urabstimmung gehen. Womit ein – in der letzten LinX schon prognostizierter – Streik in Kieler Metallbetrieben möglich wäre. So der IGM-Vorstand in Frankfurt so entscheidet. Die Streikleitungen der Betriebe sind im Nordbezirk benannt und geschult!

Die IGM Kiel will sich in der jetzigen Phase nicht auf eine "Zuschauerrolle" beschränken: Die Belegschaften in den tarifgebundenen Betrieben wurden aufgerufen die bisherige Überstundenverweigerung fortzusetzen. Bei HDW geht der Boykott am Wochenende in die fünfte Woche. "Statt sonst über 400 werden nur zwei bis drei Dutzend zur Wochenendarbeit beim Betriebsrat gemeldet," so ein IGM-Vertrauensmann. Angesichts der samstäglich frühmorgens vor dem Werktor stehenden Vertrauensleute, verzichtet die Werftleitung klugerweise auf Konfrontationen. In Großbetrieben sind gewisse gegenseitige Verständigungen selbst in Arbeitskampfphasen nicht ungewöhnlich. Solange die Verbände nicht drücken! So bleiben den vor dem Tor ausharrenden Gewerkschaftern nur vereinzelte Beschäftigte der auf und für die Werft arbeitenden Firmen als willkommene "Agitationsopfer"! Ähnlich drastische Boykottmaßnahmen wurden aus anderen (Überstunden-) Betrieben nicht bekannt.

Auf eine Kalte Aussperrung bereiten sich, nach Gewerkschaftsangaben, die Betriebsräte und Streikleitungen der Betriebe Gelenkwellenwerk Kiel, Vossloh Schienenfahrzeugtechnik und Heidelberger vor. Von geplanten Streikhelfereinsätzen aus Kieler Betrieben in den Streikbetrieben im Osten wurde berichtet. Des weiteren werden vorsorglich hinsichtlich einer drohenden Abkoppelung des Nordens, nach einer Einigung im Südwesten oder Osten, Vorbereitungen getroffen: Der Bezirk Küste hatte, kurz vor Scheitern der Gesamtverhandlungen, mit Nordmetall ein - anders als im Südwesten aufgebautes – Entgeltrahmenabkommen ERA vereinbart. (Vgl. LinX 7-8/02) Ein Teilergebnis vorbehaltlich eines Gesamtergebnisses. Das kam nun nicht zustande. Womit, beim gemeinsamen Entgeltrahmenabkommen für Arbeiter und Angestellte, die Kuh an der Küste wieder auf dem Eis steht!

W. Jard

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