Palästina-Debatte

Keine einfachen Antworten

(Bezug: Kommentar Demarkationslinien)

Ein wesentliches Merkmal der deutschen Diskussion über die schwelende Krise in Nahost ist sicherlich die weitgehende Ausblendung der Realität, des menschlichen Leids auf allen Seiten sowie der enormen Gefahren für den Frieden in der gesamten Region. Links wie rechts zieht man es - in schlechter deutscher Tradition - vor, auf den eigenen Bauchnabel zu starren, den Konflikt als Projektionsfläche lang gehegter Ressentiments und liebgewonnener Grabenkämpfe zu nutzen. Unbenommen ist dabei, dass auch die linke Palästina-Solidarität vor allem der älteren Generationen - von der rechten ganz zu schweigen - weniger das Interesse der Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan im Auge hat, als dem Impuls nachgibt, einmal so richtig Dampf abzulassen. Die Gründe dafür sind vermutlich vor allem psychologischer Natur: Israel ist - genauso wie die USA - ein einfacher Gegner, gegen den zu wettern nicht viel Rückgrat bedarf. Aber entbindet uns der Widerwillen gegen diese feigen Reflexe, die Antisemitismus zu nennen selten übertrieben ist, von der Verantwortung, genauer hinzuschauen, nach den Fakten und dem menschlichen Leid zu fragen?

Handelt es sich tatsächlich um einzelne "Übergriffe" und "Begleiterscheinungen", wenn im Zuge der angeblichen Jagd nach Terroristen Menschen gezielt erschossen (ohne Gerichtsverfahren und Notwehrsituation), die Infrastruktur mehrerer Westbankstädte systematisch zerstört und Menschen wiederholt als Schutzschilde genutzt werden? Und kann man mit leichter Hand drüber hinweggehen, wenn die Einreise der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte verhindert wird? Nur weil sich Reaktionäre - solche, die deutschnationale Traditionslinien der Liberalen beleben wollen, als auch die Heerscharen kleiner Spießer - in heuchlerischer Art über Menschenrechtsverletzungen aufregen, dürfen Linke es nicht mehr?

Nein, hier soll nicht der Terror gegen unbeteiligte Zivilisten relativiert werden, egal von welcher Seite begonnen. Aber die Frage sei erlaubt, ob es tatsächlich um die Bekämpfung der Selbstmordanschläge geht. Nicht nur die Tasache, dass der die israelischen Operation befehlende Regierungschef Sharon nachweislich (in Israel aktenkundig) für das Massaker im Beiruter Palästinenserlager Sabra und Shatyla verantwortlich war, lässt daran zweifeln. Eben so sehr das Ergebnis. Nicht die Brutalität der israelischen Militärs der letzten Wochen, keine Ausgangssperre und auch nicht die Zäune, die jetzt um Bethlehem und andere Städte gezogen werden, haben die Attentate verhindern können. Sie gehen weiter. Mehr noch: Das Vorgehen der Armee hat Wut, Hass und Verzweiflung noch weiter gesteigert. Zahlreich sind die Mahnungen der israelischen Friedensbewegung, die zuletzt Anfang Mai immerhin 100.000 Menschen auf die Straßen Tel Avivs brachte, dass die Offensive hunderte, wenn nicht Tausende neue "Märtyrer" schaffen wird. Die Entwicklung scheint ihr recht zu geben.

Die Demarkationslinie, die W. Jard vorschwebt, deckt sich offenbar mit den Forderungen der israelischen Friedensbewegung: Rückzug aus den besetzten Gebieten und Aufgabe der Siedlungen, die, um das mal zu betonen, gegen jedes internationale Recht verstoßen und ganz erheblich zum Problem beitragen. Am Vorabend der jüngsten Offensive hatte die arabische Liga übrigens einen Friedensplan vorgestellt, der eben das forderte und im Gegenzug die staatliche Anerkennung Israels durch seine Mitglieder vorschlug. Anstatt zumindest darüber zu verhandeln, griff Sharon lieber zum Schwert.

Auf der bundesweiten Demonstration gegen den Bush-Besuch forderte Ruben Kaminer als Vertreter der israelischen Friedensbewegung, dass die militärische, ökonomische und politische Unterstützung Israels durch den Westen aufhören müsse, solange sich an der Jerusalemer Regierungspolitik nichts ändere. Sicher: Für die deutsche Linke ist es verdammt kompliziert, diese Forderung hierzulande aufzugreifen. Einfache Lösungen sind angesichts der vielen falschen Freunde, die man sich damit einhandeln kann, nicht zur Hand. Die Alternative ist allerdings nicht nur internationale Isolierung -- von Brasilien über Frankreich bis nach Thailand gibt es aus den Reihen der diversen sozialen Bewegungen Solidaritätsreisen nach Palästina, mit denen versucht wird, die Autonomiebehörde und die Zivilbevölkerung vor der israelischen Armee zu schützen. Eine Folge von Untätigkeit könnte auch sein, dass man sich unversehens mit der Bundesregierung in einem Boot findet, wenn es um den nächsten Krieg geht, dessen Opfer aller Voraussicht nach der Irak (sowie der Frieden in der ganzen Region inclusive Israel) sein wird. (wop)

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