Debatte

Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann

Offener Brief an "andere Kieler", die die Scheiben bei der Burschenschaft Alemannia eingeworfen haben:

Die unten dokumentierte "Bekanntmachung" löste bei uns einiges an Unwohlsein über das Selbstverständnis der militanten AktivistInnen aus, die in der Nacht vor der Veranstaltung der Burschenschaft Alemannia die Scheiben des Veranstaltungsortes eingeworfen haben. Mit den ersten Überlegungen darauf was zu erwidern, kamen Fragen hoch: Lohnt es sich, sich über jeden ungedachten und dennoch veröffentlichten Kram zu ärgern? Wollen wir einen Text verfassen, der an die AktivistInnen adressiert ist? Oder sollte der Text nicht eher als Anlass genommen werden, aufgeworfene Fragen von Autonomie, Bewegung, Militanz, klandestiner Aktion verallgemeinert zu durchdenken und Perspektiven zu begründen? Eigentlich wären die Fragen der Reihe nach mit jein, jein und ja zu beantworten. Doch bevor wir die Anforderungen auf eine schriftliche Reaktion unsererseits zu hochschrauben und sie wegen anderer Prioritäten dann letztlich unter den Tisch fällt, wollen wir trotz der Eindeutigkeit des letzten ja uns in aller Kürze nur direkt auf Aspekte beziehen, welche die Gruppe "andere Kieler" ansprechen und mit gebotener Leidenschaft indiskutables andiskutieren. Doch zunächst noch mal der Anlass unserer Unruhe:

Bekanntmachung

Am 15.05.02 wurde in den Räumen der Burschenschaft Alemannia am Kieler Hindenburgufer eine Vortragsveranstaltung zum spanischen Bürgerkrieg (1936-39) durchgeführt. Der vortragende Referent an diesem Abend war ein ehemaliges Mitglied der deutschen Legion "Condor". Diese Elitetruppe der Nazis leistete in Vorbereitung der deutschen Angriffsfähigkeit Kriegshilfe für den spanischen Faschisten Franco, indem sie schlachtend und verwüstend über das Land herfiel.

Als nur unzulänglichen Ausdruck unseres Hasses über diese offene und bewusste Verhöhnung der Opfer der von Faschisten im letzten Jahrhundert angerichteten Massaker, haben wir in der Nacht vor der Veranstaltung einige Scheiben des Sitzes der Burschenschaft eingeworfen. Am Abend der Veranstaltung protestierten rund 30 Menschen auf der Strasse vor dem Sitz der Burschenschaft gegen die Durchführung. Nach einiger Zeit wurden sie von den Bullen auf den gegenüberliegenden Fußweg geschoben (dabei handelten sich einige Protestierende schmerzhafte Pfeffersprayverletzungen ein). Noch einige Zeit später verlief sich der Protest.

Wir stellen in Frage, dass ein solches Vorgehen dem Anlass angemessen ist. Tatsächlich gestört wird durch diese Form des Protestes nicht die Durchführung der Veranstaltung, nicht der Zugang der UnterstützerInnen der Veranstaltung, nicht die VeranstalterInnen (im konkreten Fall natürlich nur Männer), nicht der gesellschaftliche Zustand, der Veranstaltungen dieser Art selbstverständlich macht. Gestört werden höchstens die Bullen, die, statt im Garten zu sitzen, auf der Strasse rumhängen müssen.

Um nicht missverstanden zu werden: wir sind sehr für die Vielfalt und gegenseitige Ergänzung der Aktionsformen. Doch ist nicht einzusehen, dass eine Aktionsform offensichtlich durchgeführt wird, weil sie so schon immer gemacht wurde und mensch nicht darüber nachzudenken braucht. In diesem Zusammenhang sehen wir es als unser Versäumnis an, der Protestkundgebung keine Erklärung zu unserer Aktion zukommen gelassen zu haben. Dies hätte zumindest die Möglichkeit einer Anknüpfung eröffnet.

Liebe Grüße, "andere kieler"

Tief durchatmen. Wir sind keineswegs Angehörige der Glaserinnung und haben demzufolge kein ökonomisches, sondern gelegentlich politisches Interesse an eingeworfenen Fensterscheiben. Nicht an jedem Ort, nicht zu jeder Zeit und nicht mit jeder Begründung. Erst der Kontext eines geborstenen Fensters k a n n eine solche Aktivität immanent politisch machen. Das Burschenschafterhaus war der richtige Ort. Der Vorabend der Veranstaltung mit dem Angehörigen der Legion Condor war eine noch bessere Zeit als andere Nächte. Und mit eurer Begründung können wir leben auch wenn wir sie nicht ganz teilen.

Doch auch dazu in aller Kürze: Wir beurteilen die Veranstaltung mit einem Angehörigen der Legion Condor in der Betonung eher als Ausdruck eines selbstbewußten Traditionsverständnisses einer kryptofaschistischen Burschenschaft denn als eine "offene und bewußte Verhöhnung der Opfer" des Nationalsozialismus. Aber darüber wollen wir hier nicht streiten. Der zweite Aspekt eurer Begründung ist schon eher streitbar bzw. wirft Fragen auf: Wenn kaputte Fenster für euch ein "unzulänglicher Ausdruck unseres Hasses" sind, stellt sich die Frage, was denn ein zulänglicher Ausdruck gewesen wäre, und was euch denn daran gehindert hat, diesen zu setzen. Auch wir empfinden für politische Feinde - im Gegensatz zu Gegnern - einen bewahrenswerten Hass. Doch wenn ihr Faschisten o.ä. nur hassen würdet, dann solltet ihr sie doch lieber quälen, oder? Nein, natürlich nicht! Die wesentliche Perspektive bleibt doch die des Kampfes gegen Faschisten, unglücklich machende Verhältnisse und für eine ganz andere Gesellschaft, oder? Vermutlich teilt ihr das auch. So stellt ihr ja nicht die Frage nach bestmöglicher praktischer Umsetzung des Hasses, sondern nach Formen des Protestes, der Störung und des Widerstands.

Und da wird dann euer Blick auf die Blockade und euer sich davon abgrenzendes Selbstverständnis wirklich ärgerlich. Wenn wir das richtig verstehen, gab es aus eurer Sicht weder eine zulängliche Aktivität (Fenstereinwurf) noch ein dem Anlass angemessenes Vorgehen (Blockade). Unzulänglich waren die kaputten Scheiben nicht wegen mangelndem Hassfaktor, sondern - und das ist der richtige und naheliegend Aspekt eurer Selbstkritik - wegen fehlendem Bekanntheitsgrad. Sogar die betroffenen Burschenschafter gingen nicht von einem Zusammenhang mit den Protesten aus, sondern von gewöhnlichem Vandalismus. Schade, wir hätten uns sicherlich vor Ort und ganz öffentlich gefreut. Zumindest wenn uns der billigpädagogische Impetus von euch erspart geblieben wäre:

Antifa 3000

Den TeilnehmerInnen der Blockade unterstellt ihr, dass sie die Form nicht wählten, sondern reflexhaft herstellten, "weil sie so schon immer gemacht wurde und mensch darüber nicht nachzudenken braucht." Mit dieser völligen Deklassierung der Blockade wirkt euer Bekenntnis zu einer Akzeptanz unterschiedlicher Aktionsformen wie eine leere Texthülse. Gerade wenn ihr euch für eine klandestine Praxis entschieden habt, ist diese unverschämte Deklassierung tausend mal unverständlich und bei euch auch völlig unlogisch argumentiert: Wenn eure Aktion nicht doppelt klandestin gewesen wäre, hätte doch gerade die öffentliche Form der Blockade ihr eine gewisse Bedeutung verschaffen können, wie generell klandestine Formen von Anbindungen an öffentliche Formen leben. Oder was meint ihr mit der (verpassten) "Möglichkeit einer Anknüpfung"? Stattdessen sprecht ihr im dritten Absatz eurer verspäteten "Bekanntmachung" an die demokratische Weltöffentlichkeit der Blockade auch noch jeden sinnvollen Charakter ab. Ihr hattet am Veranstaltungsabend vielleicht besseres zu tun: Die Blockade hat sowenig wie die kaputten Fenster die Veranstaltung verhindert. Aber natürlich wurde der Zugang zur Veranstaltung behindert - sonst wäre es ja auch keine Blockade gewesen. Und natürlich hat sie den "gesellschaftliche(n) Zustand, der Veranstaltungen dieser Art selbstverständlich macht" ent-selbstverständlicht und das auch mit einem Redebeitrag und mitgeführten Transparenten begründet. Ein Indiz, dass die Form der polizeilich nicht angemeldeten Blockade auch gestört hat, läßt sich auch aus dem Einsatz der Bullen ableiten, deren Auftrag sicherlich nicht war "im Garten zu sitzen", sondern die Durchführung der Veranstaltung zu sichern, da die Grenze vom zugelassenen Nein zu seiner unerwünschten Umsetzung durch die Menschenansammlung überschritten wurde.

Wir schlagen vor, ähnliche und bessere Blockaden auch in Zukunft zu gegebenem Anlass zu unternehmen, denn dass eine solche Praxis zum wesentlichen Bestandteil oppositioneller Politik gehört, ist keine Denkfaulheit, sondern begründet sich aus dem Ziel, wieder in Bewegung zu kommen. Und da wollen wir an der Form des Straßenprotestes nicht vorbei.

Mit aller Freundlichkeit: Kommt mal wieder runter und macht gerne zu gegebenem Anlass weiter - aber bitte nicht so!

Liebe Grüsse,

Waldorf und Stadler im Juli 2002

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