Umwelt & Klimaschutz

Kommerzialisierung der Nachhaltigkeit

Wenig Nachhaltigkeit und viel WTO auf dem UN-Gipfel in Johannesburg. Von Shalmali Guttal

Am 26. August hat im südafrikanischen Die AutorinJohannesburg der UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung (WSSD) begonnen. Unsere Autorin, die in Bangkok für das kleine unabhängige Institut Focus on the Global South arbeitet, setzt sich im Folgenden mit dem Textentwurf auseinander, der auf dem Gipfel als Verhandlungsgrundlage dienen wird. Der Artikel entstand unmittelbar nach der letzten Vorbereitungskonferenz Anfang Juni auf Bali. Der Entwurf wurde seitdem nicht mehr geändert.

Die Verhandlungen stecken in einer Sackgasse. Beobachter der Vorbereitungskonferenzen sprechen von tiefen Gräben sowohl zwischen Nord und Süd als auch zwischen verschiedenen Lagern im Norden und im Süden. Im Zentrum der Blockade stehen Handelsliberalisierung, Regularien und Rechenschaftspflicht für Konzerne, nationales Umfeld für private Investitionen, Entwicklungsfinanzierung, Technologietransfer, technische Hilfe sowie der Know-how-Aufbau. Japan, die USA, Kanada, Australien und Neuseeland (die JUSCANZ-Gruppe) haben die meisten Versuche torpediert, spezifische Ziele und Zeitpläne für zwischenstaatliche Verpflichtungen und multilaterale Initiativen zu setzen. Die Europäische Union hingegen hat großes Geschrei um die Ratifizierung multilateraler Umweltabkommen gemacht, um dahinter ihre Suche nach neuen Märkten zu verstecken. Und alle zusammen waren schnell zur Stelle, wenn es darum ging, Versuche zu blockieren die Handels- und Investitionsliberalisierung zu regulieren oder die Macht der Konzerne zu beschränken. Auf der anderen Seite sind die Entwicklungsländer - zusammengeschlossen in der Gruppe G 77 und China - wie üblich durch die Verhandlungen gestolpert, unfähig, eine Position zu finden, die die Prioritäten der vielschichtigen Mitgliedschaft der Gruppe angemessen repräsentiert. Fortschrittliche Delegierte aus dem Süden waren in den Schlüsselverhandlungen entweder abwesend oder still.

Unterdessen stimmen offensichtlich die meisten Delegierten darin überein, dass ökonomische Globalisierung und das Regime der Welthandelsorganisation (WTO) nicht durch Gespräche über Nachhaltigkeit gestört werden dürfen.

Von Nachhaltigkeit keine Spur

Im ersten Paragraphen des Textes werden die Regierungen erneut auf die so genannten Rio-Prinzipien sowie auf die volle Umsetzung der Agenda 21, das Erreichen international anerkannter Entwicklungsziele und die Ergebnisse der UN-Konferenzen und internationalen Abkommen seit 1992 verpflichtet.

Genau hier liegt der erste fundamentale Rückschritt: Das wichtigste internationale Abkommen seit 1992 hat zur Gründung der WTO geführt. Abkommen, die in deren Rahmen verhandelt werden, haben eine weitaus größere Durchsetzbarkeit als solche anderer multilateraler Foren. Der Entwurf bekräftigt an verschiedenen Stellen die Verpflichtung der Regierungen zur Umsetzung der WTO-Abkommen und -Initiativen. Aber es benötigt gewaltige Einbildungskraft, um irgendeinen positiven Zusammenhang zwischen der WTO und nachhaltiger Entwicklung zu sehen.

Eigentlich soll im Rahmen des WSSD nachhaltige Entwicklung auf drei Säulen ruhen: Umwelt, Ökonomie und Soziales. Logischer Weise würde man bei einer derartigen Definition annehmen, dass ein Programm für nachhaltige Entwicklung Maßnahmen vorsehen würde, die Gleichheit sowie soziale, wirtschaftliche und Umweltgerechtigkeit unterstützen. Doch nichts dergleichen. Auch nichts von Umweltschutz, nichts von gleichen Chancen für alle Menschen, nichts von sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung, nichts vom Recht der Völker, eine gesunde Umwelt und ihre Lebensgrundlagen zu schützen.

Ein interessanter Aspekt am Entwurf ist, wie Herausforderungen und die Verantwortung verteilt werden. Als das Hauptproblem der Industriestaaten werden verschwenderischer und unnachhaltiger Konsum angesehen. Entwicklungsländer machen sich darüber hinaus der unnachhaltigen Produktion schuldig. Aber die Industriestaaten hätten im Gegensatz zu den Entwicklungsländern Kapital, Technologie, Ressourcen, industrielle Strukturen und das Know-how. In den Entwicklungsländer leben auf der anderen Seite die meisten Armen und daher - folgt man der Logik des Entwurfs - ist Unnachhaltigkeit eine Folge der Armut. Die Entwicklungsländer seien es also, die nachhaltig wirtschaften müssen.

Es schließt sich eine Skizze an, wie nachhaltige Entwicklung angepackt werden sollte, die wenig mehr ist, als eine Bestätigung kolonialer Wirtschaftsbeziehungen: Die Entwicklungsländer sollen in allen Sektoren Schritte in Richtung nachhaltige Entwicklung unternehmen und dabei Technologie, Finanzmittel, Institutionen der Industriestaaten verwenden. Bezahlt werden soll das, indem den Industriestaaten der Zugriff auf die Märkte und natürlichen Ressourcen der Entwicklungsländer gewährt wird. Das Versprechen künftiger ausländischer Investitionen sowie finanzieller und technischer Unterstützung gilt nur, so lange die Entwicklungsländer bereit sind, die Maßnahmen umzusetzen, die der Entwurf für notwendig hält, um nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Hervorzuheben sind hier besonders die Schaffung eines "vorteilhaften nationalen Umfeldes" für wachsende ausländische Investitionen sowie die volle Umsetzung des auf dem Ministertreffen der WTO in Doha, Katar, im November letzten Jahres beschlossenen Arbeitsplanes.

Der Wolf wird zum Hirten gemacht

Dagegen wird das wachstum- und exportorientierte Entwicklungsmodell, das die reichen, industrialisierten Staaten und ihre noch reicheren Konzerne sowie die internationalen Institutionen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF), die WTO, und die regionalen Entwicklungsbanken propagieren, vom Entwurf nicht hinterfragt. Ebenso wenig die engherzigen ökonomischen Imperative des Profits und der Konzentration des Wohlstandes, die diese Modell antreiben und zu den ökologischen Katastrophen geführt haben, vor denen wir heute stehen. Dazu passt auch, dass die zerstörerischen Auswirkungen nicht anerkannt werden, die die Strukturanpassungsprogramme des IWF, die wachsende Militarisierung, die erdrückende Schuldenlast und die sich beständig verschlechternden Austauschverhältnisse (terms of trade) auf Ökonomie, Umwelt und Gesellschaft der Entwicklungsländer haben.

Statt dessen schlägt der Entwurf vor, dass die Kapazität der Entwicklungsländer ausgerechnet durch jene Akteure gestärkt werden soll, die für die strukturelle Krise verantwortlich sind: Die internationalen Finanzinstitutionen, die WTO, die regionalen Handelsblöcke und die privaten Konzerne. Hingegen wurden Forderungen, einen Rahmen zu schaffen, in dem Konzerne zur Rechenschaft gezogen werden können, abgelehnt.

Nachhaltige Globalisierung?

Sektion V des Entwurfs (Nachhaltige Entwicklung in einer globalisierten Welt) skizziert eine Reihe von Maßnahmen, die notwendig sind, "damit Globalisierung zu nachhaltiger Entwicklung führt": Allgemeine Liberalisierung der Wirtschaft, Handel und Investitionen unreguliert und exportorientiert, zusätzliche Macht für private Konzerne durch öffentlich-private "Partnerschaften" und weniger regelnde Verantwortung auf Seiten der Behörden. Zur gleichen Zeit wird von den Regierungen der Entwicklungsländer erwartet, dass sie die Vorschriften zur guten Regierungsführung (good governance) der internationalen Institutionen umsetzen.

Im Entwurf gibt es auch einige Passagen über die Stärkung der Position von Frauen, indigener Völker und Kleinbauern. Gleichzeitig ist der Text jedoch gegenüber der Tatsache blind, dass ihre machtlose Position das Resultat von Jahren der Marginalisierung ist, ihrer erzwungenen Trennung von Land, Wald und Wasserressourcen, die sie seit Generationen nachhaltig bewirtschaftet haben, Resultat dessen, dass man ihnen würdige und sichere Arbeitsplätze vorenthält. Mit der Logik des Profits und der Effizienz hat die wirtschaftliche Globalisierung die fundamentalen Rechte der Frauen, der indigenen Völker, der Kleinbauern, Fischer und Arbeiter unterminiert, ihnen und künftigen Generationen die Aussicht auf Bildung, Gesundheit, Entwicklung und Selbstbestimmung genommen. Geht es nach dem Entwurf, dann sollen sie jetzt auf Marktmechanismen zurückgreifen, um zu bekommen, was ihnen rechtmäßig gehört.

Mehr Doha als Rio

Der Entwurf stellt in aller Klarheit die WTO in den Mittelpunkt zukünftiger Rahmenabkommen über nachhaltige Entwicklung. Auch weitere Handelsliberalisierung durch regionale Abkommen wird angeregt, sofern diese nicht mit dem WTO-System kollidieren. Die Rolle der WTO im Entwurf ist nicht verhandelbar und in verschiedensten Abschnitten wird betont, dass alle Maßnahmen konsistent mit den Regeln der WTO sein müssen. Unter anderem schlägt der Text vor:

- dass die mit der Erklärung von Doha begonnene Arbeit erfolgreich abgeschlossen werden muss; insbesondere werden die WTO-Mitglieder aufgefordert, sich an den Zeitplan zu halten, damit die Verhandlungen am 1. Januar 2005 erfolgreich abgeschlossen sind,

- dass weitere Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene ergriffen werden, um die Erklärung von Doha zu unterstützen,

- dass der Transfer handelsbezogener technischer Hilfe und Ausbildungsprogramme verstärkt wird,

- dass die Einfuhrprozeduren der Industriestaaten im Interesse von Exporteuren aus Entwicklungsländern vereinfacht werden,

- dass die Schnittpunkte zwischen Handels- und Umweltfragen identifiziert werden; der Entwurf fordert das WTO-Umweltkommitee auf, die Arbeit daran so schnell wie möglich aufzunehmen,

- dass öffentlich-private und mehrseitige "Partnerschaften" auf Gebieten wie Trinkwasser, Abfallwirtschaft, Elektrizität, Bildung usw. gefördert werden; viele dieser Branchen sind für die reicheren WTO-Mitglieder von besonderem Interesse und im Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) laufen bereits entsprechende Verhandlungen,

- dass das Abkommen über den Schutz Intellektuellen Eigentums (Trade Related Intellectual Property Rights, TRIPS) umgesetzt wird; begründet wird dies mit der Sicherung der Gesundheitsversorgung, ohne dass die desaströsen Auswirkungen des TRIPS-Abkommens auf lokale und nationale Artenvielfalt, traditionelles Wissen, genetische Ressourcen, Biopiraterie und für die jeweiligen nationalen Möglichkeiten einer Industrialisierung und der Entwicklung neuer Technologie in Entwicklungsländern diskutiert würden,

- dass nationale Märkte im Rahmen der Erklärung von Doha weiter für Waren geöffnet werden,

- dass die Industriestaaten sich dem Ziel verschreiben, zoll- und quotenfreien Zugang für die Exporte der am wenigsten entwickelten Staaten zu schaffen,

- dass den Entwicklungsländern, insbesondere den am wenigsten entwickelten Staaten und jenen mit Übergangsökonomien, beim WTO-Beitritt geholfen wird,

- dass im Agrarabkommen der WTO (Agreement on Agriculture, AoA) umfassend verhandelt wird, um den Marktzugang erheblich zu verbessern, alle Formen der Exportsubventionen langfristig abzuschaffen, nationale wettbewerbverzerrende Subventionen substantiell zu reduzieren und dabei nichthandelsbezogene Erwägungen zu berücksichtigen,

- dass den Entwicklungsländern geholfen wird, Kernstandards des Arbeitsrechts umzusetzen,

- dass die Kohärenz und gegenseitige Unterstützung zwischen den Regeln des multilateralen Handelssystems und der multilateralen Umweltabkommen im Sinne des in der WTO vereinbarten Arbeitsprogramms gefördert werden.

Viele Länder sind offensichtlich sehr willig, das Doha-Arbeitsprogramm in den in Johannesburg zu verabschiedenden Text einzuarbeiten. Auch die Art, wie in Bali verhandelt wurde, erinnerte sehr an die WTO: Ohne dass klare Übereinkünfte oder Konsens hergestellt würde, wurden zumeist die Textvorschläge der USA oder der EU behandelt und die G 77 und andere zu Zuschauern degradiert. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Vorschläge der G 77 wenig Unterstützung aus dem Norden bekamen. Die G 77 und China hatten sehr hartnäckig versucht, mehr in Sachen besonderer Konditionen für Entwicklungsländern herauszuholen, womit sie allerdings an den USA und der EU scheiterten.

Deregulierter Handel als nachhaltige Entwicklung

Obwohl die WTO-Präambel einige Passagen über die Verbesserung der sozialen Wohlfahrt und der Förderung von Entwicklung enthält, handelt es sich bei ihr um keine Entwicklungsorganisation. Ihre Mitglieder sind hochgradig ungleich, sie arbeitet intransparent, ist nicht rechenschaftspflichtig und schützt die Interessen großer Konzerne, die ihre Basis zumeist in den reichen Staaten des Nordens haben, aber international agieren.

Die WTO mit nachhaltiger Entwicklung gleichzusetzen tötet jeden fortschrittlichen Inhalt, der dem Konzept von Nachhaltigkeit oder Entwicklung noch geblieben ist. Das von der WTO verfolgte wirtschaftliche Modell basiert und verewigt ausbeutende und unnachhaltige Formen der Produktion sowie Konsumtion und fördert Exportabhängigkeit sowie Verschuldung auf der nationalen, lokalen und individuellen Ebene. Länder, die im WTO-System das Rennen machen, sind jene, die schon zuvor erhebliche Vorteile in Form von Kapitalakkumulation, gut entwickelter Technologie sowie industriellen und institutionellen Kapazitäten hatten.

Im Globalisierungsmodell der WTO werden alle Dinge des täglichen Lebens, der Erholung, der Freizeitgestaltung und sogar humanitärer Krisen zu Geschäftsmöglichkeiten. Entsprechend gibt es wachsenden Druck, unregulierten Handel und unkontrollierte Investitionen in allen Bereichen grundlegender Bedürfnisse zuzulassen: Nahrung, Landwirtschaft, Wasser, Gesundheit, sanitäre Einrichtungen, Umweltschutz, Bildung, Notdienste, Tourismus, Beerdigungsdienste usw. Die WTO-Abkommen für Landwirtschaft (AoA) und Dienstleistungen (GATS) werden sicherstellen, dass jeder Aspekt unseres Lebens, von der Geburt bis zum Tod, kommerzialisiert und aus unseren Händen und unserer Jurisdiktion genommen wird.

Auch die Ergebnisse des WTO-Ministertreffens in Doha stellen kein Entwicklungsprogramm dar. Der Erklärung fehlt es an jeder spezifischen Verpflichtung, die seit langem bekannte Ungleichheit zu beheben, die darin besteht, dass Entwicklungsländer weder die Kapazität noch das Gewicht haben, entwicklungsfreundliche Handelsverträge auszuhandeln. Dennoch hat man in das Doha-Arbeitsprogramm noch neue Punkte aufgenommen, so dass nun auch über Investitionen, Wettbewerb, Handelsabwicklung und öffentliche Ausschreibungen verhandelt werden wird. Unter anderem wird damit die Arbeitslast für die schon jetzt unterbesetzten und unterfinanzierten Delegationen der Entwicklungsländer erhöht.

Entsprechend ist die zentrale Rolle, die die WTO und ihr Doha-Arbeitsprogramm im Johannesburg-Entwurf spielen, besorgniserregend. Darüber hinaus beschwört die Politik, wie sie im Entwurf festgehalten ist, letztendlich die zunehmende Unterordnung der UN-Agenturen unter Weltbank und IWF, die von den G 7 und den OECD-Staaten mit ungleich größeren Finanzmitteln ausgestattet sind.

Dies zuzulassen, bedeutet, unsere Umwelt, unsere Kultur, unsere sozialen und ökonomischen Potenziale und unsere fundamentalen Rechte an private Konzerne abzutreten, die künftig weniger denn je damit rechnen müssen, für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Obwohl noch große Teile des Textes in eckigen Klammer stehen, was bedeutet, dass man sich über die Passagen noch nicht einig ist, lassen die bisherigen Verhandlungen keinen Raum für Hoffnung, dass der letztendlich in Johannesburg verabschiedete Text eine wesentlich Verbesserung des Entwurfs darstellen könnte.

Die Herausforderung, vor der die NGOs stehen, ist nicht, die Änderung dieses oder jenes Paragraphen durchzudrücken, sondern unsere Regierungen zu zwingen, einen Plan für nachhaltige Entwicklung auf den Tisch zu legen anstelle eines Papiers, das Deregulierung von Handel und Investitionen anstrebt. (Übersetzung: wop, der Artikel erschien zuerst in der jungen Welt)

Siehe auch LinX 16/02

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