Kommentar

Clausewitz statt Gorbatschow

Man denkt immer, es muß doch mal Schluß sein. Es kann doch nicht ewig so weitergehen mit der Erosion linker Strukturen und oppositionellen Bewußtseins. Aber weit gefehlt, es geht weiter und ein Ende ist nicht in Sicht. 4.000 gingen im Januar '91 in Kiel spontan auf die Straße, als die ersten Bomben auf Bagdad fielen. Dieser Tage sind es 70, die nach mehrwöchigem Vorlauf zu einer Kundgebung kommen. Selbst die Szene ist spärlich vertreten. Doch das wundert kaum noch, wenn man hört, daß mancherorts alte Häuserkämpfer und andere Recken gerne die "Befreiungskämpfer" der UCK unterstützen würden, und es ganz in Ordnung finden, wenn deren Luftwaffe "die Menschenrechte verteidigt". Da kann einem die Wut über Kieler Gewerkschaftsfunktionäre, die auf ihrem 1. Mai das Podium für Kriegshetze freigeben, während in Jugoslawien Arbeiter in ihren Fabriken bombardiert werden, schon fast im Halse stecken bleiben. (Um die Verwirrung der Köpfe perfekt zu machen: Zur gleichen Zeit, als Simonis ihre Heuchelei vor dem Kieler Gewerkschaftshaus auskippte, demonstrierten in Ahrensburg 400 Nazis der JN gegen den Krieg.)

Doch so frustrierend diese Entwicklung auch ist, besonders verwundern kann sie nicht. Führung wie Basis der Gewerkschaften sind seit vielen Jahren fest in eine nationalistische Standortlogik eingebunden, die sie inzwischen mehr und mehr lähmt. Man will auf dem Weltmarkt bestehen, da ist es naheliegend, daß auch die dazugehörige Militärpolitik geschluckt wird, solange sie nur ausreichend ideologisch verbrämt ist.

Die Schwierigkeiten, Menschen gegen diesen Krieg auf die Straße zu bringen, haben sicherlich auch mit seiner demagogischen Verkleidung zu tun. Aber nicht nur. Dieser Krieg unterscheidet sich von allen anderen seit 1945: Diesmal darf Deutschland wieder mitschießen. Das macht es schon etwas schwieriger, gegen ihn zu protestieren oder gar Widerstand zu leisten. Streit im eigenen Hause hält nicht jeder aus. Schon gar nicht, wenn er eigentlich doch viel lieber mitgestalten möchte.

Mancher versucht, diesen Widerspruch mit einem Kunstgriff zu überdecken. Glaubt man Kieler Kundgebungsrednern, dann leben wir in einer Bananenrepublik. Das Land mit einer der stärksten Landstreitkräfte Europas, das jährlich 50 Mrd. DM im Ausland investiert und regelmäßig einen exorbitanten Handelsbilanzüberschuß ausweist, soll wie ein kleiner Junge vom bösen Onkel aus Amerika in den Schlamassel hineingezogen worden sein. Wer das glaubt, mag natürlich auch weiter davon träumen, man könne in diesem Land mitregieren, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

Eine wirksame Antikriegspolitik wird sich auf solchen Spökenkiekereien allerdings kaum aufbauen lassen. Dafür müßte schon die Politik kritisiert werden, die hinter dem Waffengang steckt. Aber damit macht man sich in einem Land, daß wie kaum ein anderes vom freien Zugang zu Absatzmärkten und Rohstoffquellen abhängt, natürlich nur wenig Freunde.

(wop)