Aus dem Kieler Rat

Von Maulkörben und Maulaffen

Rat diskutierte in einer Aktuellen Stunde über den "Maulkorb" für die Künstlerische Leitung des Theaters

Bühnenreif ist inzwischen die Diskussion um die Zukunft des Kieler Stadttheaters, jedenfalls dann, wenn man wie viele der politischen Protagonisten davon ausgehen will, daß Theater zu unterhalten hat, anstatt zu bilden. Wer in diesem wenig unterhaltsamen, aber dafür bestens über die Intrigen der herrschenden Politik belehrenden Possenstück die Guten und wer die Bösen sind, läßt sich dabei kaum noch ausmachen. Mit Sicherheit auf der Seite böser Tyrannen steht aber der Kulturdezernent Heinz Rethage. Nicht mal 100 Tage im Amt, leistete er sich einen ersten veritablen Lapsus, vermutlich nicht den letzten. Doch erzählen wir das Schauerstück von Anfang an (Credits an Jürgen Fenske, SPD-Fraktionsvorsitzender und bereits im Stück "Wer fürchtet sich vor der Kaputtverlegung der Stadtgalerie?" als kulturbeflissener Debütant glänzend, dem wir die Idee zur Einteilung in Akte verdanken).

Prolog:

Seit geraumer Zeit geistert durch die Rathausflure die Idee, die konsequente Unterfinanzierung der städtischen Bühnen durch das neoliberale Allheilmittel "Umwandlung in eine GmbH" zu lösen. Darum geht es eigentlich im folgenden Plot, auch wenn es die Protagonisten nur selten aussprechen.

1. Akt:

Nach dem "Kulturkongreß" der Kieler SPD - der Renner in der letzten Spielzeit - will es jetzt auch die CDU wissen. "Kultur tut not - auch in Kiel" hat als Podiumsdiskussion am 10.5. Premiere, die jedoch ein Reinfall wird, weil ihr zwei der Hauptdarsteller fernbleiben, Operndirektorin Kirsten Harms und Generalmusikdirektor Ulrich Windfuhr.

2. Akt (Rückblende):

In einem Workshop beraten am 6.5. Theater und Politik über Strukturreformen für die Bühne. Hinter der Bühne kommt es zu hitzigen Diskussionen, bei denen sich insbesondere Opernchefin Harms "sehr emotional" (Kulturdezernent Rethage) gibt. "Wenn Frau Harms in diesem Zustand an die Öffentlichkeit geht", denkt sich Regieassistent Rethage, "ist das nicht förderlich", und schreibt ihr und Windfuhr darob einen Brief. Darin fordert er sie auf, bei öffentlichen Veranstaltungen "mit der Stimme der Verwaltung" zu sprechen, was für viele Zuschauer einen "Maulkorberlaß" darstellt. "Ich verlange nur, daß meine Mitarbeiter mich vorher informieren, wenn sie öffentlich Stellung nehmen", meint Rethage später. Dennoch kommt es am Abend des 9.5. bei der Premiere zu "Eugen Onegin" zu erregten Diskussionen.

3. Akt:

So sieht sich der Regisseur der Posse, OB Gansel, der bisher im Hintergrund gewirkt und seinen Regieassistenten die schmutzige Wäsche hat waschen lassen, zum Eingreifen gezwungen. Er schreibt Harms und Windfuhr einen weiteren Brief, in dem er Rethages Ansinnen "präzisiert" (Gansel). "Ich will die unguten alten Kieler Zeiten, in denen die Verwaltung mit 40 Stimmen spricht, nicht mehr haben. Als Operndirektorin ist Frau Harms bestimmten Loyalitäten verpflichtet, von denen ich erwarte, daß sie eingehalten werden", faßt er die Absicht des Schreibens später zusammen. Und droht: "In einem Stadttheater ist man da gebunden. Will man diese Bindung nicht, dann muß man eben Kultur auf eigene Rechnung machen. Wie etwa 'Die Kommödianten', denen ich an dieser Stelle zu ihrem Jubiläum gratulieren möchte. Das ist eine echte Leistung, und das mit minimalen öffentlichen Mitteln." Der Regisseur hat damit klar gemacht, wie er sich die Inszenierung des Stückes fürderhin denkt: Als GmbH natürlich.

4. Akt:

Irgendwie stimmt aber etwas nicht im Plot. Das stellt CDU-Fraktionsvorsitzender Arne Wulff in der Ratsversammlung (vom 20.5.) fest. Wieso datiert Rethages "Maulkorb"-Brief vom 5.5., also weit vor dem Eklat beim Opernabend vom 9.5., sogar vor dem Workshop? Rethage hat einen Hänger, weit und breit kein Souffleur in Sicht, der OB läßt ihn zappeln. Rethage improvisiert: "Solche Dinge haben eben einen gewissen Vorlauf."

Edina Dickhoff (Fraktionsvorsitzende der Grünen) erkennt deutliche Schwächen seitens des Regisseurs Gansel in der Anlage der Figuren: Laut Vertrag sind die Intendanten in künstlerischen Fragen eben nicht an die Verwaltung gebunden. "Kunst hat nicht von Politik abzuhängen, das war mal rot-grüner Konsens, und deswegen haben wir die Verträge auch so gemacht." Und wieso werde ein solcher Brief wie der fragliche, der laut SPD-Fraktionschef "doch eigentlich nur Selbstverständlichkeiten formuliert", vor einer Veranstaltung der CDU verschickt, nicht jedoch vor SPD-Kulturkongressen?

5. Akt:

Da es aber eigentlich um etwas ganz anderes als Maulkörbe geht, nimmt die SUK Rethage teilweise in Schutz, lobt seine "schonungslose Analyse, wo eingespart werden kann" (Ratsfrau Svenja Ketelsen). Wie dürfen wir dies deuten? Richtig: "Es ist Wahlkampf", weiß Fraktionschef Kottek. Er meint damit zwar das Scharmützel SPD/CDU, doch wie in jedem guten Stück, steht auch hier was zwischen den Zeilen: Macht sich die SUK schon mal bei der SPD einen weißen Fuß für die nächste Kommunalwahl, als deren Koalitionspartner. Auch in anderen Handlungssträngen des Ratsversammlungstheaters zeichnet sich derlei seit längerem ab. Kontraproduktiv in diesem Zusammenhang, aber sonst sehr treffend Kotteks mitreißender Monolog an Gansel: "Kiel hat einen König, der mit einer Zunge spricht. Und Kiel (weist auf Gansel) hat doch schon längst einen Generalintendanten!"

Die SPD sieht sich zum Schluß in einen "Kulturkampf" (Fenske) verwickelt. "Die Kulturdebatte wird heute überall, nicht nur in Kiel, als Finanzdebatte geführt", weiß Jürgen Fenske. Den Cliffhanger für die Wiederaufnahme der Posse in den nächsten Spielzeiten liefert er gleich mit: "Wir müssen gucken, wie wir für weniger Geld das gleiche bekommen oder wo wir eventuell auch minimieren können. Und Sie meinen gleich, daß davon das Abendland untergeht."

Epilog:

Das wird vielleicht nicht gleich passieren, aber, um mit Edina Dickhoff zu sprechen, "wie hier mit Kultur umgegangen wird, ist - milde ausgedrückt, um nicht ausfallend zu werden - unschön". Wie geht es weiter? Wird der böse König Gansel das Rotkäppchen Theater fressen? Oder wird er es einfach für einige hundert Haushaltssanierungsmillionen an einen seriösen Familienbetrieb (wie z.B. Leo Kirch & Sohn) verticken? Seien Sie also wieder dabei, wenn es wieder heißt: "Maulkörbe und Maulaffen". Teil 2 demnächst auf diesem Kanal.

(jm)