KERNspalte

Wenn etwas nicht stattfindet, brauchen wir auch nicht darüber zu berichten? Doch, extra! Eine 1. Klasse-Beerdigung bekam die für Oktober/November geplante bundesweite Sofortausstiegs-Demo auf einem Vorbereitungstreffen in Göttingen. Zu uneins waren sich die verbliebenen Aktiven über Ort, Inhalt, Gestaltung und Mobilisierung. Auch das Argument "Laßt doch erstmal die Bundesregierung machen" tauchte in verdeckter Form auf.

Trittin stellt in Aussicht, daß die Erkundung des Salzstocks in Gorleben als Endlager bald eingestellt werde. Offenbar soll die benachbarte Konditionierungsanlage aber trotzdem in Betrieb gehen, um die abgebrannten Brennelemente für die neu zu errichtenden Zwischenlager zu verpacken. Die BI Lüchow-Dannenberg kommentiert: "Der Trog bleibt der gleiche - nur die Schweine wechseln."

Der Chef der Bayernwerke, Majewski, droht dem Umweltministerium mit ca. 100 Atommülltransporten zu je 6 Brennelement-Behältern in die WAAs La Hague und Sellafield. Dies sei zur Erfüllung der Verträge notwendig. Wenn nicht bald transportiert wird, droht jedenfalls der Lagernotstand zunächst in Stade, Biblis, Philippsburg und Neckarwestheim. Eilig wird es auch wegen der Zulassung für die erwähnten Transportbehälter: Sie läuft in den nächsten Monaten aus. Für die Genehmigung ist das Bundesamt für Strahlenschutz zuständig. Die CDU-Regierung hatte die Transporte letztes Jahr wegen der Oberflächenkontamination der Behälter gestoppt.

Währenddessen zeichnet das Deutsche Atomforum auf seiner Homepage ein Schreckensszenario vom - real nicht existierenden - Atomausstieg: Verfassungswidrig, gegen den Willen der Mehrheit, deutlicher Strompreisanstieg, Klimakatastrophe, Versorgungsengpaß, 40.000 hochqualifizierte Arbeitslose, Aufgabe einer Hochtechnologie mit schlimmen Folgen für die Forschung, Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen wie Erdgas aus so unsicheren Zonen wie Rußland (ja, die Russen: erst kapitulieren sie, dann haben sie uns doch wieder im Würgegriff!), und trotzdem kein bißchen mehr Sicherheit, weil wir ja den Strom von umliegenden "Kern"kraftwerken aus Tschechien, Slowakei und Ukraine importieren müßten. Die übliche Propaganda eben, aber wichtig der Hinweis auf die juristische Strategie der Betreiber: "Der Eigentumsschutz des Grundgesetzes gilt auch für Kernkraftwerksbetreiber: Mit der Ausstiegsentscheidung würde ihnen die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen Nutzung ihres Eigentums, d.h. ihrer Anlagen, entzogen." Genau damit werden die EVUs europaweit juristisch vorgehen, wie es die schwedische Sydkraft schon vorgemacht hat (siehe Artikel zu Barsebäck).

Bundeskanzler Schröder, der beste Freund der Atomkonzerne, hat erstmals einen Rückzieher gemacht. Die unter der Vorgängerregierung schon zugesagten Kredite für die im Bau befindlichen ukrainischen Reaktoren Rovno-4 und Khmelnizki-2 von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung werden jetzt eingefroren, weil die beiden Regierungsfraktionen es so wollen. Es soll erstmal über ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternativen wie Gaskraftwerke nachgedacht werden, wie es der ukrainische Präsident Kutschma auch ursprünglich gewollt hatte. Der BUND hatte Schröder zuvor ein "schlimmes Demokratiedefizit" vorgeworfen und ihn als "Entscheidungshysteriker" bezeichnet. Nach dieser Protestnote produziert die Ukraine bereits jetzt das Doppelte ihres eigenen Energiebedarfs. Die Idee, die nach alten sowjetischen Plänen konzipierten und angefangenen Atomreaktoren, die in Deutschland niemals genehmigungsfähig wären und vom Atomforum bei Bedarf als "unsicher" klassifiziert werden (s.o.), fertigzustellen, kam vom Westen, insbesondere von Frankreich und Deutschland, wobei Siemens und Framatom soufflierend zur Seite gestanden hatten, denn natürlich sollte die Kreditvergabe eine Auftragsvergabe an diese Firmen voraussetzen.

Am 7.6. verabschiedete die Schweizer Regierung ein Gesetz, das in der Zukunft die Wiederaufarbeitung ihres Atommülls in La Hague verbietet. Am gleichen Tag einigten sich Atomindustrie und Bundesregierung weitgehend über die Besteuerung der Entsorgungsrückstellungen. Sie sollen zunächst aufgelöst und nachträglich besteuert werden. Das würde dem Finanzminister kurzfristig über 20 Mrd. DM bescheren. Danach soll den EVUs aber paradoxerweise erlaubt werden, diese Rückstellungen steuerfrei wieder aufzufüllen, wodurch ihnen in 10 Jahren Vorteile von etwa 7 Mrd. DM entstünden. Wir dürfen gespannt sein, auf welchem Wege die übrigen 13 Mrd. DM an die Atomkonzerne zurückerstattet werden, Geld, das ihnen übrigens nicht gehört, sondern das sie von uns Stromverbrauchern unnötigerweise eingezogen haben.

(BG)