Internationales

Kein Platz am Verhandlungstisch

Außer der Erlaßjahrkampagne, die mit 350.000 Menschen für einen "weitreichenden Schuldenerlaß für die ärmsten Länder" eine Menschenkette bildete, demonstrierten weitere 10.000 anläßlich des G-7-Gipfels am 19.6. in Köln gegen Armut, Rassismus und Krieg. Mit rhythmischen Klängen führte die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen die Demonstration an. Es folgten verschiedene sozialistische Gruppen mit zahlreichen roten Fahnen. Der kurdische Block - mit Abstand der größte auf der Demonstration - forderte die Freilassung Abdullah Öcalans und eine politische Lösung der kurdischen Frage. Mit dabei waren auch 600 Tamilen, mehrere Dritte-Welt-Solidaritätsgruppen und Kriegsgegner aus Deutschland.

Neben der verbreiteten Ansicht, mit der "Einstellung der Bombenangriffe" sei "Friede" auf dem Balkan eingekehrt, protestierten sie gegen den bereits am Tag zuvor gefällten Beschluß der G-7-Staaten, den 42 ärmsten Ländern der Welt 70 Mrd. $ Schulden zu erlassen. Das sei alles andere als ein "Durchbruch bei der Reduzierung der Schulden".

Die Anknüpfung des spärlichen Schuldenerlasses an Strukturprogramme des Internationalen Währungsfonds werde vielmehr die "Lage der Menschen in den armgehaltenen Ländern weiter verschlechtern", heißt es in der Presseerklärung der Veranstalter des Bündnisses Köln '99. Sie bemängeln außerdem, daß es nicht zur "dringend erforderlichen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte" kommt. Stattdessen hätten die Regierungschefs nur "unverbindliche Vorschläge zur Verbesserung der Bankenaufsicht und die Einsetzung eines weiteren Rats der Finanzminister und Notenbankchefs" verabschiedet.

"Wir sind nicht hierhergekommen, um einen Platz am Verhandlungstisch zu verlangen", brachte Professor Nanjundaswamy, Präsident des Bauernverbandes des Indischen Bundesstaates Karnataka, das Anliegen auf den Punkt, "sondern um an einer neuen Welt zu arbeiten, einer Welt, die von unten nach oben aufgebaut wird. Wir sind vielmehr hierhergekommen, um Brücken zwischen den Menschen zu bilden, die sich dem selbstzerstörerischen System der Weltwirtschaft und der politischen und militärischen Herrschaft widersetzen", so Nanjundaswamy weiter.

Um Weltwirtschaft ging es auch auf dem bereits am 18.6. beendeten zweitägigen Alternativgipfel. Auch dort setzte niemand Hoffnungen in den wenige hundert Meter weit enfernt tagenden G-7-Gipfel. "Vor einem Jahr, als die Vorbereitungen begannen, glaubten viele von uns, daß der Gipfel in eine Zeit politischer Aufbruchsstimmung fallen würde", so Peter Wahl von der Entwicklungsorganisation WEED in seiner Eröffnungsrede. Diese Hoffnungen seien "zerstoben". Stur werde an neoliberalen Dogmen festgehalten. Den Rest der Illusionen zerstörte der Krieg in Jugoslawien.

Während die Teilnehmer am ersten Tag in Foren zu den Themen "Flucht und Migration", "Zukunft der Arbeit" und über eine "andere Weltwirtschaft" diskutierten, ging es am nächsten Tag um Perspektiven. Neben den eher abstrakten Ansätzen neokeynesianistischer Wirtschaftsmodelle stellte sich ein Plenum die Frage nach den Akteuren grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen. Der russische Soziologe Boris Kargalitzky präsentierte einen kurzen historischen Abriß: Er beschrieb sowohl das Scheitern der Avantgarde-Parteien in der ersten Hälfte des Jahrhunderts als auch die Neuen Sozialen Bewegungen, die ihre erklärten Ziele nicht erreichen konnten und "uneffektiv" waren. Noch weniger hatte er für die heutigen Nichtregierungsorganisationen übrig, die sich als "Ersatz für die sozialen Bewegungen ansehen". Vor allem ihnen warf er Korruption auf politischer und ökonomischer Ebene vor.

Kargalitzky kam zu dem Schluß, daß es nun an der Zeit sei, "Parteikonzepte neu zu überdenken". Er schlug die Formierung neuer Parteien vor, die "weder Avantgarde, noch Wahlpartei" sein sollten. Stattdessen schwebt ihm ein "flexibles Parteikonzept" vor, das die Funktion einer "sozialen Avantgarde" übernimmt und als Hauptaufgabe die Koordination der sozialen Bewegungen ansieht. Das setze jedoch den "permantenten Dialog" der verschiedensten Spektren voraus.

Nachdem die Polizei bereits am Nachmittag gegenüber indischen Farmern der Interkontinentalen Karawane ihre Gastfreundlichkeit unter Beweis stellte und etwa 300 von ihnen mehrere Stunden in einer Straßenbahn festhielt und anschließend einen Platzverweis für die gesamte Innenstadt erteilte, attackierte die Polizei am frühen Abend den Alternativkongreß. Sie begründete ihr Vorgehen mit einem angeblichen "Störungsversuch" des in einem naheliegenden Gebäude stattfindenden Treffens der Präsidentengattinnen. Unter Anwendung massiver Gewalt sperrte die Polizei die Teilnehmer des Alternativgipfels, unter ihnen zahlreiche internationale Prominenz, für mehr als eine Stunde in den Räumen der Kölner Volkshochschule ein. Die Veranstalter verurteilten dieses Vorgehen als "Provokation", die jeder Grundlage entbehre. 300 Teilnehmer der Interkontinentalen Karawane aus Indien und Brasilien blieben aus Furcht vor weiteren Repressionen der Demonstration am Samstag fern.

(ghk, wop)